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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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in seinen Reisebildern ein Epigramm von Immermann mit, welches unsern Dichter
aus das Tiefste kränkte und zu seinem zweiten Aristophanischen Lustspiel Veran¬
lassung gab:


Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zu viel, die Armen, und vomircn dann Ghaselen.

Ein Ausdruck, der zwar ziemlich grob ist, dem ich aber im Wesentlichen beipflichten
muß. Von allen fremdartigen Verhärten, die man uns octroyirt hat, halte ich
das Ghasel für die unerquicklichste. Es hat denselben Fehler wie die spanischen
Assonanzen; es gibt eine eintönige Form, die sich ohne rhythmische Gliederung
weiter spinnt, die keinen Anfang und kein Ende hat, es ist also nicht eine Erwei¬
terung unsrer Poesie, sondern ein Abfall zu einer roheren, weniger entwickelten
Form. Außerdem ist es dem Genius der deutschen Sprache zuwider. Wir haben
einmal nicht jene Freude an dem sinnlichen Wohlklang der Sylben und Buchstaben:
will man das Ghasel unserm Ohr auch nur vernehmlich machen, so muß man
die Endwvrter künstlich formen; dadurch hört die melodische Unbefangenheit auf,
und auch der Sinn wird gewaltsam verrenkt. Was den Inhalt betrifft, so ist
die Kenntniß jener persischen Anakreontischen Dichter für-uns culturhistorisch von
großem Werth; es ist eine Form der Humanität, an deren Spiegel wir uns
erfreuen können. Es ist aber ein großer Irrthum, in dieser Form nun selber
empfinden und dichten zu wollen; denn wenn schon jeder Inhalt der Poesie eine
eigne adäquate Form verlangt, eine Form, die der Dichter nicht erst erfinden,
sondern die er in seinen eignen melodischen Reminiscenzen finden soll, so ist das
bei der Anakreontischen Poesie in noch weit höherem Grade der Fall. Trink-
und Liebeslieder müssen in der Weise unsres Volks, unsrer Kneipe gesungen
werden; wenn wir, um einen Schoppen Wein zu trinken, erst die weite Reise
nach Schiras machen, oder gar in den Trümmern von Persepolis darnach graben
sollen, so ist das gar zu unbequem, gar zu feierlich für das leichte Vergnügen.
Welcher Liebende hört nicht gern die Nachtigall? aber um auf Bulbul zu lauschen,
müßte er erst sein einheimisches, blondhaariges und blauäugiges Mädchen im
Stich lassen.

Platen hat übrigens eine richtige Empfindung davon gehabt, daß diese Flucht
zu fremden Weisen das Zeichen einer innern Leere sei; er sagt in einem Gedicht:


in seinen Reisebildern ein Epigramm von Immermann mit, welches unsern Dichter
aus das Tiefste kränkte und zu seinem zweiten Aristophanischen Lustspiel Veran¬
lassung gab:


Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zu viel, die Armen, und vomircn dann Ghaselen.

Ein Ausdruck, der zwar ziemlich grob ist, dem ich aber im Wesentlichen beipflichten
muß. Von allen fremdartigen Verhärten, die man uns octroyirt hat, halte ich
das Ghasel für die unerquicklichste. Es hat denselben Fehler wie die spanischen
Assonanzen; es gibt eine eintönige Form, die sich ohne rhythmische Gliederung
weiter spinnt, die keinen Anfang und kein Ende hat, es ist also nicht eine Erwei¬
terung unsrer Poesie, sondern ein Abfall zu einer roheren, weniger entwickelten
Form. Außerdem ist es dem Genius der deutschen Sprache zuwider. Wir haben
einmal nicht jene Freude an dem sinnlichen Wohlklang der Sylben und Buchstaben:
will man das Ghasel unserm Ohr auch nur vernehmlich machen, so muß man
die Endwvrter künstlich formen; dadurch hört die melodische Unbefangenheit auf,
und auch der Sinn wird gewaltsam verrenkt. Was den Inhalt betrifft, so ist
die Kenntniß jener persischen Anakreontischen Dichter für-uns culturhistorisch von
großem Werth; es ist eine Form der Humanität, an deren Spiegel wir uns
erfreuen können. Es ist aber ein großer Irrthum, in dieser Form nun selber
empfinden und dichten zu wollen; denn wenn schon jeder Inhalt der Poesie eine
eigne adäquate Form verlangt, eine Form, die der Dichter nicht erst erfinden,
sondern die er in seinen eignen melodischen Reminiscenzen finden soll, so ist das
bei der Anakreontischen Poesie in noch weit höherem Grade der Fall. Trink-
und Liebeslieder müssen in der Weise unsres Volks, unsrer Kneipe gesungen
werden; wenn wir, um einen Schoppen Wein zu trinken, erst die weite Reise
nach Schiras machen, oder gar in den Trümmern von Persepolis darnach graben
sollen, so ist das gar zu unbequem, gar zu feierlich für das leichte Vergnügen.
Welcher Liebende hört nicht gern die Nachtigall? aber um auf Bulbul zu lauschen,
müßte er erst sein einheimisches, blondhaariges und blauäugiges Mädchen im
Stich lassen.

Platen hat übrigens eine richtige Empfindung davon gehabt, daß diese Flucht
zu fremden Weisen das Zeichen einer innern Leere sei; er sagt in einem Gedicht:


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[0216] in seinen Reisebildern ein Epigramm von Immermann mit, welches unsern Dichter aus das Tiefste kränkte und zu seinem zweiten Aristophanischen Lustspiel Veran¬ lassung gab: Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen, Essen sie zu viel, die Armen, und vomircn dann Ghaselen. Ein Ausdruck, der zwar ziemlich grob ist, dem ich aber im Wesentlichen beipflichten muß. Von allen fremdartigen Verhärten, die man uns octroyirt hat, halte ich das Ghasel für die unerquicklichste. Es hat denselben Fehler wie die spanischen Assonanzen; es gibt eine eintönige Form, die sich ohne rhythmische Gliederung weiter spinnt, die keinen Anfang und kein Ende hat, es ist also nicht eine Erwei¬ terung unsrer Poesie, sondern ein Abfall zu einer roheren, weniger entwickelten Form. Außerdem ist es dem Genius der deutschen Sprache zuwider. Wir haben einmal nicht jene Freude an dem sinnlichen Wohlklang der Sylben und Buchstaben: will man das Ghasel unserm Ohr auch nur vernehmlich machen, so muß man die Endwvrter künstlich formen; dadurch hört die melodische Unbefangenheit auf, und auch der Sinn wird gewaltsam verrenkt. Was den Inhalt betrifft, so ist die Kenntniß jener persischen Anakreontischen Dichter für-uns culturhistorisch von großem Werth; es ist eine Form der Humanität, an deren Spiegel wir uns erfreuen können. Es ist aber ein großer Irrthum, in dieser Form nun selber empfinden und dichten zu wollen; denn wenn schon jeder Inhalt der Poesie eine eigne adäquate Form verlangt, eine Form, die der Dichter nicht erst erfinden, sondern die er in seinen eignen melodischen Reminiscenzen finden soll, so ist das bei der Anakreontischen Poesie in noch weit höherem Grade der Fall. Trink- und Liebeslieder müssen in der Weise unsres Volks, unsrer Kneipe gesungen werden; wenn wir, um einen Schoppen Wein zu trinken, erst die weite Reise nach Schiras machen, oder gar in den Trümmern von Persepolis darnach graben sollen, so ist das gar zu unbequem, gar zu feierlich für das leichte Vergnügen. Welcher Liebende hört nicht gern die Nachtigall? aber um auf Bulbul zu lauschen, müßte er erst sein einheimisches, blondhaariges und blauäugiges Mädchen im Stich lassen. Platen hat übrigens eine richtige Empfindung davon gehabt, daß diese Flucht zu fremden Weisen das Zeichen einer innern Leere sei; er sagt in einem Gedicht:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/216>, abgerufen am 03.06.2024.