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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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warb. Ob ein glücklicher Erfolg der ersten Bewerbung sein Wesen verändert hätte,
ob er durch die Nothwendigkeit, aus bestimmte Anträge eine bestimmte Antwort
zu geben, zugleich zu der Erkenntniß gekommen sein würde, daß jede Bestimmt¬
heit auf einer gewissen Endlichkeit, auf einer Beschränkung in der Wahl der Ge¬
sichtspunkte beruht, und daß die Unendlichkeit derselben keineswegs ein höherer
Standpunkt ist -- dies zu berechnen, würde schwer sein. Wahrscheinlich würde
er innerhalb des Parlaments wie draußen bei seinem Mangel an Disciplin und
bei seiner Unfähigkeit, das Nothwendige einer Disciplin zum Gelingen irgend
eines bestimmten Werks zu begreifen, sehr bald in die Rolle eines Verstimmten
zurückgetreten sein, und mit etwas mehr Anstand und Geschick, als die Demo¬
kraten, aber doch im Wesentlichen nicht anders, Klagelieder über deu Untergang
edler Ideale, über die Täuschung berechtigter Hoffnungen angestimmt haben.
Diesen subjectiven Ausdruck der Klage konnte er nun verschmähen, da ihm eine
unmittelbare Theilnahme an dem Aufbau der neuen Zeit versagt war, und so hat
er sich denn wieder in die höhnische Mephistophelesmaske des zeitlosen "Menschen
an sich" gehüllt, der die Wirrnisse der Jahrhunderte an sich vorüberbrausen sieht,
ohne in seinem Herzen davon ergriffen zu verden, denn er ist nur ein Schatten,
den die unvollkommene Menschheit in den lichtleeren Aether wirft.

Aber auch in dieser Maske kann die wesentliche und unvermeidliche Bethei¬
ligung der menschlichen Totalität an dem, was die Menschheit leidet und irrt,
nicht verläugnet werden. Trotz der ängstlichen Flucht vor allem Pathos, trotz
dem beständigen Lächeln, welches sich gern den Anschein der Frivolität geben
möchte, hat dieser soiwcraine Witz doch etwas sentimentales und Trauervolles,
und je kälter die Hand ein trügerisches Bild nach dem andern zerpflückt, desto
heftiger zittert sie. Indem die Kritik eine Größe nach der andern auflöst, em¬
pfindet sie diese scheinbaren Siege als einen Selbstverlust, und ist jedesmal in der
Stimmung des Pyrrhus, um auszuruhen: Noch einen solchen Sieg, und ich bin
verloren!

Wenn Bruno Bauer zu folgendem Resultate kommt: "Die ganze Revolution
war eine Täuschung. Aus dem allgemeinen Pauperismus hervorgegangen, ein
blutiges Zwischenspiel der sanften passiven Auslosung, in der die Gegensätze der
ganzen bisherigen Bildung absterben und in Verwesung übergehen, schien sie dem
unbestimmten Etwas, dem die Sehnsucht der Völker nachstrebte, Blut und Leben
einzugießen, Gestalt und Form zu geben. Allein die neue Gestaltung war den
ausgelösten Kräften zu schwer; das Blut des März vertrocknete in der Dürre des
Revolutionssommers, oder es wurde von den Regierungen eingesaugt, die für
einen Augenblick ihren Absolutismus damit stärkten und demselben den Schein
der revolutionairen Kraft mittheilten.---Als die Regierungen die Ver¬
einbarung als den Zweck der Märzrevolution proclamirten, gestanden sie es ein,
daß die regierende Spitze zur Masse herabgesunken sei, erklärten sie den Bund


warb. Ob ein glücklicher Erfolg der ersten Bewerbung sein Wesen verändert hätte,
ob er durch die Nothwendigkeit, aus bestimmte Anträge eine bestimmte Antwort
zu geben, zugleich zu der Erkenntniß gekommen sein würde, daß jede Bestimmt¬
heit auf einer gewissen Endlichkeit, auf einer Beschränkung in der Wahl der Ge¬
sichtspunkte beruht, und daß die Unendlichkeit derselben keineswegs ein höherer
Standpunkt ist — dies zu berechnen, würde schwer sein. Wahrscheinlich würde
er innerhalb des Parlaments wie draußen bei seinem Mangel an Disciplin und
bei seiner Unfähigkeit, das Nothwendige einer Disciplin zum Gelingen irgend
eines bestimmten Werks zu begreifen, sehr bald in die Rolle eines Verstimmten
zurückgetreten sein, und mit etwas mehr Anstand und Geschick, als die Demo¬
kraten, aber doch im Wesentlichen nicht anders, Klagelieder über deu Untergang
edler Ideale, über die Täuschung berechtigter Hoffnungen angestimmt haben.
Diesen subjectiven Ausdruck der Klage konnte er nun verschmähen, da ihm eine
unmittelbare Theilnahme an dem Aufbau der neuen Zeit versagt war, und so hat
er sich denn wieder in die höhnische Mephistophelesmaske des zeitlosen „Menschen
an sich" gehüllt, der die Wirrnisse der Jahrhunderte an sich vorüberbrausen sieht,
ohne in seinem Herzen davon ergriffen zu verden, denn er ist nur ein Schatten,
den die unvollkommene Menschheit in den lichtleeren Aether wirft.

Aber auch in dieser Maske kann die wesentliche und unvermeidliche Bethei¬
ligung der menschlichen Totalität an dem, was die Menschheit leidet und irrt,
nicht verläugnet werden. Trotz der ängstlichen Flucht vor allem Pathos, trotz
dem beständigen Lächeln, welches sich gern den Anschein der Frivolität geben
möchte, hat dieser soiwcraine Witz doch etwas sentimentales und Trauervolles,
und je kälter die Hand ein trügerisches Bild nach dem andern zerpflückt, desto
heftiger zittert sie. Indem die Kritik eine Größe nach der andern auflöst, em¬
pfindet sie diese scheinbaren Siege als einen Selbstverlust, und ist jedesmal in der
Stimmung des Pyrrhus, um auszuruhen: Noch einen solchen Sieg, und ich bin
verloren!

Wenn Bruno Bauer zu folgendem Resultate kommt: „Die ganze Revolution
war eine Täuschung. Aus dem allgemeinen Pauperismus hervorgegangen, ein
blutiges Zwischenspiel der sanften passiven Auslosung, in der die Gegensätze der
ganzen bisherigen Bildung absterben und in Verwesung übergehen, schien sie dem
unbestimmten Etwas, dem die Sehnsucht der Völker nachstrebte, Blut und Leben
einzugießen, Gestalt und Form zu geben. Allein die neue Gestaltung war den
ausgelösten Kräften zu schwer; das Blut des März vertrocknete in der Dürre des
Revolutionssommers, oder es wurde von den Regierungen eingesaugt, die für
einen Augenblick ihren Absolutismus damit stärkten und demselben den Schein
der revolutionairen Kraft mittheilten.---Als die Regierungen die Ver¬
einbarung als den Zweck der Märzrevolution proclamirten, gestanden sie es ein,
daß die regierende Spitze zur Masse herabgesunken sei, erklärten sie den Bund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/254>, abgerufen am 14.05.2024.