Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verschiedenartigen Religionen auf das Gemüth richtig getroffen; die katholische
Kirche beschäftigt die Phantasie und läßt in der Erwartung des Wunders, welches
das Gemüth mit seinem Gott versöhnen soll, im Leben selbst der Willkür und
Leidenschaft freien Spielraum, während der Protestantismus eine Einheit und
Integrität des Charakters und des Gemüths im Laufe des ganzen Lebens gebie¬
terisch verlangt. Dieser Gegensatz, den ein sonst sehr scharfsinniger Philosoph
höchst verkehrt so ausgedrückt hat, daß im Katholicismus das Herz, im Protestan¬
tismus der Verstand vorwiegt, während man wenigstens mit demselben Recht das
Umgekehrte behaupten könnte, findet in der Rivalität der beiden Königinnen eine
sehr glückliche Grundlage. Ein objectiver, oder was dasselbe heißt, ein gerechter
Dichter, der sich zu seinem eigenen Glauben mit einer gewissen Freiheit verhält,
wird aus beide" Seiten die Vorzüge und Schwächen herauszufinden wissen; er
würde bei der strengen Einheit des Lebens und Geistes, welche der Protestantismus
fordert, die Neigung zur Verschlossenheit und zur Heuchelei aufspüren und ebenso
auf der andern Seite bei der Freiheit, welche die blos wunderbare Vermittelung
mit Gott dem Gemüth läßt, die wildesten Ausbrüche der Leidenschaft und des
Fanatismus zu erklären wissen. Bis so weit ist von Schiller der Gegensatz der
beiden Gruppen, Elisabeth, Burleigh und Leicester auf der einen, Maria und
Mortimer auf der andern Seite, glücklich gesunden. Auch die versöhnenden Fi¬
guren fehlen uicht. Aber man kann nicht leugnen, daß das Herz des Dichters
ganz entschieden aus Seite des Katholicismus ist; hier wird Alles beschönigt,
während in den drei Personen, welche die andere Weltanschauung repräsentiren,
nur die Nachtseite vou dem Wesen ihrer Religion erscheint. Göthe würde diesen
Gegensatz viel seiner und objectiver gegeben haben. Diese ungerechte Unpartei¬
lichkeit ist nur aus dem Wesen der romantischen Bildung zu erklären, welche den
Anfang unsers Jahrhunderts charakterisirt, und welcher Schiller bis zu einem ge¬
wissen Grad ebensogut angehörte, als die eigentliche Schule; jener Bildung, die,
durch skeptische Reflexionen in der Sicherheit ihres Glaubens verwirrt, sich mit
überreifer Phantasie ihre Heiligthümer mit gleichem Eiser aus deu Pagoden
Indiens wie ans den Heilgen Eichenwäldern der nordischen Barbaren zusammen¬
suchte. Wir sollen uns von diesem schonen Spiel nicht täuschen lassen. Der
englische Protestantismus ist zwar knorrig und rühmt sich der harten Eichenherzen
seines Volks, aber der Pulsschlag dieses Herzens ist darum nicht weniger inten¬
siv, weil er sich nicht in fieberhaften Sprünge!,, sondern in ruhiger Gleichförmig¬
keit bewegt, und jene königliche Magdalene, welche das Gedicht zu einer Heiligen
verklären möchte, ist eine trügerische Sirene, an ihren schönen Händen klebt ver¬
I. S. ruchtes Blut.




verschiedenartigen Religionen auf das Gemüth richtig getroffen; die katholische
Kirche beschäftigt die Phantasie und läßt in der Erwartung des Wunders, welches
das Gemüth mit seinem Gott versöhnen soll, im Leben selbst der Willkür und
Leidenschaft freien Spielraum, während der Protestantismus eine Einheit und
Integrität des Charakters und des Gemüths im Laufe des ganzen Lebens gebie¬
terisch verlangt. Dieser Gegensatz, den ein sonst sehr scharfsinniger Philosoph
höchst verkehrt so ausgedrückt hat, daß im Katholicismus das Herz, im Protestan¬
tismus der Verstand vorwiegt, während man wenigstens mit demselben Recht das
Umgekehrte behaupten könnte, findet in der Rivalität der beiden Königinnen eine
sehr glückliche Grundlage. Ein objectiver, oder was dasselbe heißt, ein gerechter
Dichter, der sich zu seinem eigenen Glauben mit einer gewissen Freiheit verhält,
wird aus beide» Seiten die Vorzüge und Schwächen herauszufinden wissen; er
würde bei der strengen Einheit des Lebens und Geistes, welche der Protestantismus
fordert, die Neigung zur Verschlossenheit und zur Heuchelei aufspüren und ebenso
auf der andern Seite bei der Freiheit, welche die blos wunderbare Vermittelung
mit Gott dem Gemüth läßt, die wildesten Ausbrüche der Leidenschaft und des
Fanatismus zu erklären wissen. Bis so weit ist von Schiller der Gegensatz der
beiden Gruppen, Elisabeth, Burleigh und Leicester auf der einen, Maria und
Mortimer auf der andern Seite, glücklich gesunden. Auch die versöhnenden Fi¬
guren fehlen uicht. Aber man kann nicht leugnen, daß das Herz des Dichters
ganz entschieden aus Seite des Katholicismus ist; hier wird Alles beschönigt,
während in den drei Personen, welche die andere Weltanschauung repräsentiren,
nur die Nachtseite vou dem Wesen ihrer Religion erscheint. Göthe würde diesen
Gegensatz viel seiner und objectiver gegeben haben. Diese ungerechte Unpartei¬
lichkeit ist nur aus dem Wesen der romantischen Bildung zu erklären, welche den
Anfang unsers Jahrhunderts charakterisirt, und welcher Schiller bis zu einem ge¬
wissen Grad ebensogut angehörte, als die eigentliche Schule; jener Bildung, die,
durch skeptische Reflexionen in der Sicherheit ihres Glaubens verwirrt, sich mit
überreifer Phantasie ihre Heiligthümer mit gleichem Eiser aus deu Pagoden
Indiens wie ans den Heilgen Eichenwäldern der nordischen Barbaren zusammen¬
suchte. Wir sollen uns von diesem schonen Spiel nicht täuschen lassen. Der
englische Protestantismus ist zwar knorrig und rühmt sich der harten Eichenherzen
seines Volks, aber der Pulsschlag dieses Herzens ist darum nicht weniger inten¬
siv, weil er sich nicht in fieberhaften Sprünge!,, sondern in ruhiger Gleichförmig¬
keit bewegt, und jene königliche Magdalene, welche das Gedicht zu einer Heiligen
verklären möchte, ist eine trügerische Sirene, an ihren schönen Händen klebt ver¬
I. S. ruchtes Blut.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91220"/>
          <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> verschiedenartigen Religionen auf das Gemüth richtig getroffen; die katholische<lb/>
Kirche beschäftigt die Phantasie und läßt in der Erwartung des Wunders, welches<lb/>
das Gemüth mit seinem Gott versöhnen soll, im Leben selbst der Willkür und<lb/>
Leidenschaft freien Spielraum, während der Protestantismus eine Einheit und<lb/>
Integrität des Charakters und des Gemüths im Laufe des ganzen Lebens gebie¬<lb/>
terisch verlangt. Dieser Gegensatz, den ein sonst sehr scharfsinniger Philosoph<lb/>
höchst verkehrt so ausgedrückt hat, daß im Katholicismus das Herz, im Protestan¬<lb/>
tismus der Verstand vorwiegt, während man wenigstens mit demselben Recht das<lb/>
Umgekehrte behaupten könnte, findet in der Rivalität der beiden Königinnen eine<lb/>
sehr glückliche Grundlage. Ein objectiver, oder was dasselbe heißt, ein gerechter<lb/>
Dichter, der sich zu seinem eigenen Glauben mit einer gewissen Freiheit verhält,<lb/>
wird aus beide» Seiten die Vorzüge und Schwächen herauszufinden wissen; er<lb/>
würde bei der strengen Einheit des Lebens und Geistes, welche der Protestantismus<lb/>
fordert, die Neigung zur Verschlossenheit und zur Heuchelei aufspüren und ebenso<lb/>
auf der andern Seite bei der Freiheit, welche die blos wunderbare Vermittelung<lb/>
mit Gott dem Gemüth läßt, die wildesten Ausbrüche der Leidenschaft und des<lb/>
Fanatismus zu erklären wissen. Bis so weit ist von Schiller der Gegensatz der<lb/>
beiden Gruppen, Elisabeth, Burleigh und Leicester auf der einen, Maria und<lb/>
Mortimer auf der andern Seite, glücklich gesunden. Auch die versöhnenden Fi¬<lb/>
guren fehlen uicht. Aber man kann nicht leugnen, daß das Herz des Dichters<lb/>
ganz entschieden aus Seite des Katholicismus ist; hier wird Alles beschönigt,<lb/>
während in den drei Personen, welche die andere Weltanschauung repräsentiren,<lb/>
nur die Nachtseite vou dem Wesen ihrer Religion erscheint. Göthe würde diesen<lb/>
Gegensatz viel seiner und objectiver gegeben haben. Diese ungerechte Unpartei¬<lb/>
lichkeit ist nur aus dem Wesen der romantischen Bildung zu erklären, welche den<lb/>
Anfang unsers Jahrhunderts charakterisirt, und welcher Schiller bis zu einem ge¬<lb/>
wissen Grad ebensogut angehörte, als die eigentliche Schule; jener Bildung, die,<lb/>
durch skeptische Reflexionen in der Sicherheit ihres Glaubens verwirrt, sich mit<lb/>
überreifer Phantasie ihre Heiligthümer mit gleichem Eiser aus deu Pagoden<lb/>
Indiens wie ans den Heilgen Eichenwäldern der nordischen Barbaren zusammen¬<lb/>
suchte. Wir sollen uns von diesem schonen Spiel nicht täuschen lassen. Der<lb/>
englische Protestantismus ist zwar knorrig und rühmt sich der harten Eichenherzen<lb/>
seines Volks, aber der Pulsschlag dieses Herzens ist darum nicht weniger inten¬<lb/>
siv, weil er sich nicht in fieberhaften Sprünge!,, sondern in ruhiger Gleichförmig¬<lb/>
keit bewegt, und jene königliche Magdalene, welche das Gedicht zu einer Heiligen<lb/>
verklären möchte, ist eine trügerische Sirene, an ihren schönen Händen klebt ver¬<lb/><note type="byline"> I. S.</note> ruchtes Blut. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] verschiedenartigen Religionen auf das Gemüth richtig getroffen; die katholische Kirche beschäftigt die Phantasie und läßt in der Erwartung des Wunders, welches das Gemüth mit seinem Gott versöhnen soll, im Leben selbst der Willkür und Leidenschaft freien Spielraum, während der Protestantismus eine Einheit und Integrität des Charakters und des Gemüths im Laufe des ganzen Lebens gebie¬ terisch verlangt. Dieser Gegensatz, den ein sonst sehr scharfsinniger Philosoph höchst verkehrt so ausgedrückt hat, daß im Katholicismus das Herz, im Protestan¬ tismus der Verstand vorwiegt, während man wenigstens mit demselben Recht das Umgekehrte behaupten könnte, findet in der Rivalität der beiden Königinnen eine sehr glückliche Grundlage. Ein objectiver, oder was dasselbe heißt, ein gerechter Dichter, der sich zu seinem eigenen Glauben mit einer gewissen Freiheit verhält, wird aus beide» Seiten die Vorzüge und Schwächen herauszufinden wissen; er würde bei der strengen Einheit des Lebens und Geistes, welche der Protestantismus fordert, die Neigung zur Verschlossenheit und zur Heuchelei aufspüren und ebenso auf der andern Seite bei der Freiheit, welche die blos wunderbare Vermittelung mit Gott dem Gemüth läßt, die wildesten Ausbrüche der Leidenschaft und des Fanatismus zu erklären wissen. Bis so weit ist von Schiller der Gegensatz der beiden Gruppen, Elisabeth, Burleigh und Leicester auf der einen, Maria und Mortimer auf der andern Seite, glücklich gesunden. Auch die versöhnenden Fi¬ guren fehlen uicht. Aber man kann nicht leugnen, daß das Herz des Dichters ganz entschieden aus Seite des Katholicismus ist; hier wird Alles beschönigt, während in den drei Personen, welche die andere Weltanschauung repräsentiren, nur die Nachtseite vou dem Wesen ihrer Religion erscheint. Göthe würde diesen Gegensatz viel seiner und objectiver gegeben haben. Diese ungerechte Unpartei¬ lichkeit ist nur aus dem Wesen der romantischen Bildung zu erklären, welche den Anfang unsers Jahrhunderts charakterisirt, und welcher Schiller bis zu einem ge¬ wissen Grad ebensogut angehörte, als die eigentliche Schule; jener Bildung, die, durch skeptische Reflexionen in der Sicherheit ihres Glaubens verwirrt, sich mit überreifer Phantasie ihre Heiligthümer mit gleichem Eiser aus deu Pagoden Indiens wie ans den Heilgen Eichenwäldern der nordischen Barbaren zusammen¬ suchte. Wir sollen uns von diesem schonen Spiel nicht täuschen lassen. Der englische Protestantismus ist zwar knorrig und rühmt sich der harten Eichenherzen seines Volks, aber der Pulsschlag dieses Herzens ist darum nicht weniger inten¬ siv, weil er sich nicht in fieberhaften Sprünge!,, sondern in ruhiger Gleichförmig¬ keit bewegt, und jene königliche Magdalene, welche das Gedicht zu einer Heiligen verklären möchte, ist eine trügerische Sirene, an ihren schönen Händen klebt ver¬ I. S. ruchtes Blut.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/27
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/27>, abgerufen am 15.05.2024.