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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Panorama zurück, um die technische Ausführung in das Auge zu fassen, so be¬
gegnen wir der höchsten und feinsten Vollendung. Der eigenthümliche Styl der
Berliner Bildhauerschule erschöpft sich nicht in der lebensvollen Gesammtansfassung
eines Gegenstandes, welche die Wirklichkeit in ihrer vollen Kraft und Wahrheit
zum Vorbilde nimmt, und hier Gestalten von historischer eben sowol als persönlicher
Realität geschaffen hat; er setzt sich fort durch alle Formen der Detaillirung und
verfolgt seine entschiedene Richtung ans das Charakteristische bis in eine dem
Leben abgelauschte Durchbildung aller Theile, welche bald kräftiger, bald zarter
dem Gegenstände sich anschließt. Die scharfe, genane und saubere Ausarbeitung
der Kopfe und Hände wie der Stoffe zeigt überall dieselbe geistige Richtung in
wirksamer Thätigkeit. Vielleicht wird matt gegen die Lebenswahrheit der plastischen
Darstellung den Einwurf erheben wollen, daß alle Kriegergestalten am Postamente,
die doch offenbar der ganzen Anordnung nach im Felde gedacht sind, barhaupt
dastehen wider militärische Disciplin und Wahrscheinlichkeit. Ich will zur Be¬
gründung dieser unläugbaren Thatsache nicht etwa ans jene Courtoisie hinweisen,
welche sich in der Aufstellung der Gestalt August Wilhelm's schon einmal bethätigte
und sich vielleicht darin gefallen könnte, nur den König bedeckten Hauptes erscheinen
zu lassen. Hier liegt gewiß ein ästhetisches Motiv zu Grunde, und in der That
läßt sich nicht in Abrede stellen, daß eine Masse von etwa zwanzig Dreiecken, den
sämmtlichen Gestalten ans die Köpfe gestülpt, fast mwermeidlich eine störende
Geschmacklosigkeit in die Formen gebracht haben würde. In solchem Vermeiden
einer vielleicht sogar für den Eindruck der Gestchtöpartien nachtheiligen Unschönheit
kann ich ein Abweichen von den Grundsätzen des auf Lebenswahrheit gerichteten
Styls nicht erkennen, da es die eigentliche Charakteristik der dargestellten Personen
nicht trifft.

Der obere, länglich schmale Theil des Postaments, ans dem die Reiterstatue
fußt, trägt als Eckstücke die allegorischen Gestalten der Gerechtigkeit mit Schwert
und Gesetzestafel, der Weisheit mit einer Papyrusrolle und dem Spiegel der Selbst-
erkenntniß, der Stärke mit der Keule und der Mäßigung mit dem Zügel als
Symbol ihrer Bedeutung. Die Reliefs, welche die Wände bedecken, stellen in
der Weise des Rococo die Antike und das Phantastische mit dem Zopfcostnm zu¬
sammen. Ans dem ersten Relief sitzen König Friedrich Wilhelm der Erste nebst
Gemahlin. Zwei Engel fliegen herbei, von denen der eine das Kind Friedrich
in Gestalt eines Säuglings trägt, der andere einen Palmzweig schwingt. Die
Königin breitet ihnen die Arme entgegen, um das Kind zu empfangen. In der
einen Ecke liegt eine weibliche Gestalt mit einer Urne, unter der ich mir etwa die
Nymphe der Spree als allegorische Verbildlichnng des Geburtsortes denken kann.
Ans dem zweiten Relief unterrichtet Klio den Knaben Friedrich, jene im antiken
Gewände, dieser mit Zopf "ut Kamaschen. Klio sitzt ans einem Polsterstuhl, den
sie überdies, wie es scheint, aus Respect gegen den dnrchlanchtigen Schüler


Panorama zurück, um die technische Ausführung in das Auge zu fassen, so be¬
gegnen wir der höchsten und feinsten Vollendung. Der eigenthümliche Styl der
Berliner Bildhauerschule erschöpft sich nicht in der lebensvollen Gesammtansfassung
eines Gegenstandes, welche die Wirklichkeit in ihrer vollen Kraft und Wahrheit
zum Vorbilde nimmt, und hier Gestalten von historischer eben sowol als persönlicher
Realität geschaffen hat; er setzt sich fort durch alle Formen der Detaillirung und
verfolgt seine entschiedene Richtung ans das Charakteristische bis in eine dem
Leben abgelauschte Durchbildung aller Theile, welche bald kräftiger, bald zarter
dem Gegenstände sich anschließt. Die scharfe, genane und saubere Ausarbeitung
der Kopfe und Hände wie der Stoffe zeigt überall dieselbe geistige Richtung in
wirksamer Thätigkeit. Vielleicht wird matt gegen die Lebenswahrheit der plastischen
Darstellung den Einwurf erheben wollen, daß alle Kriegergestalten am Postamente,
die doch offenbar der ganzen Anordnung nach im Felde gedacht sind, barhaupt
dastehen wider militärische Disciplin und Wahrscheinlichkeit. Ich will zur Be¬
gründung dieser unläugbaren Thatsache nicht etwa ans jene Courtoisie hinweisen,
welche sich in der Aufstellung der Gestalt August Wilhelm's schon einmal bethätigte
und sich vielleicht darin gefallen könnte, nur den König bedeckten Hauptes erscheinen
zu lassen. Hier liegt gewiß ein ästhetisches Motiv zu Grunde, und in der That
läßt sich nicht in Abrede stellen, daß eine Masse von etwa zwanzig Dreiecken, den
sämmtlichen Gestalten ans die Köpfe gestülpt, fast mwermeidlich eine störende
Geschmacklosigkeit in die Formen gebracht haben würde. In solchem Vermeiden
einer vielleicht sogar für den Eindruck der Gestchtöpartien nachtheiligen Unschönheit
kann ich ein Abweichen von den Grundsätzen des auf Lebenswahrheit gerichteten
Styls nicht erkennen, da es die eigentliche Charakteristik der dargestellten Personen
nicht trifft.

Der obere, länglich schmale Theil des Postaments, ans dem die Reiterstatue
fußt, trägt als Eckstücke die allegorischen Gestalten der Gerechtigkeit mit Schwert
und Gesetzestafel, der Weisheit mit einer Papyrusrolle und dem Spiegel der Selbst-
erkenntniß, der Stärke mit der Keule und der Mäßigung mit dem Zügel als
Symbol ihrer Bedeutung. Die Reliefs, welche die Wände bedecken, stellen in
der Weise des Rococo die Antike und das Phantastische mit dem Zopfcostnm zu¬
sammen. Ans dem ersten Relief sitzen König Friedrich Wilhelm der Erste nebst
Gemahlin. Zwei Engel fliegen herbei, von denen der eine das Kind Friedrich
in Gestalt eines Säuglings trägt, der andere einen Palmzweig schwingt. Die
Königin breitet ihnen die Arme entgegen, um das Kind zu empfangen. In der
einen Ecke liegt eine weibliche Gestalt mit einer Urne, unter der ich mir etwa die
Nymphe der Spree als allegorische Verbildlichnng des Geburtsortes denken kann.
Ans dem zweiten Relief unterrichtet Klio den Knaben Friedrich, jene im antiken
Gewände, dieser mit Zopf »ut Kamaschen. Klio sitzt ans einem Polsterstuhl, den
sie überdies, wie es scheint, aus Respect gegen den dnrchlanchtigen Schüler


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[0300] Panorama zurück, um die technische Ausführung in das Auge zu fassen, so be¬ gegnen wir der höchsten und feinsten Vollendung. Der eigenthümliche Styl der Berliner Bildhauerschule erschöpft sich nicht in der lebensvollen Gesammtansfassung eines Gegenstandes, welche die Wirklichkeit in ihrer vollen Kraft und Wahrheit zum Vorbilde nimmt, und hier Gestalten von historischer eben sowol als persönlicher Realität geschaffen hat; er setzt sich fort durch alle Formen der Detaillirung und verfolgt seine entschiedene Richtung ans das Charakteristische bis in eine dem Leben abgelauschte Durchbildung aller Theile, welche bald kräftiger, bald zarter dem Gegenstände sich anschließt. Die scharfe, genane und saubere Ausarbeitung der Kopfe und Hände wie der Stoffe zeigt überall dieselbe geistige Richtung in wirksamer Thätigkeit. Vielleicht wird matt gegen die Lebenswahrheit der plastischen Darstellung den Einwurf erheben wollen, daß alle Kriegergestalten am Postamente, die doch offenbar der ganzen Anordnung nach im Felde gedacht sind, barhaupt dastehen wider militärische Disciplin und Wahrscheinlichkeit. Ich will zur Be¬ gründung dieser unläugbaren Thatsache nicht etwa ans jene Courtoisie hinweisen, welche sich in der Aufstellung der Gestalt August Wilhelm's schon einmal bethätigte und sich vielleicht darin gefallen könnte, nur den König bedeckten Hauptes erscheinen zu lassen. Hier liegt gewiß ein ästhetisches Motiv zu Grunde, und in der That läßt sich nicht in Abrede stellen, daß eine Masse von etwa zwanzig Dreiecken, den sämmtlichen Gestalten ans die Köpfe gestülpt, fast mwermeidlich eine störende Geschmacklosigkeit in die Formen gebracht haben würde. In solchem Vermeiden einer vielleicht sogar für den Eindruck der Gestchtöpartien nachtheiligen Unschönheit kann ich ein Abweichen von den Grundsätzen des auf Lebenswahrheit gerichteten Styls nicht erkennen, da es die eigentliche Charakteristik der dargestellten Personen nicht trifft. Der obere, länglich schmale Theil des Postaments, ans dem die Reiterstatue fußt, trägt als Eckstücke die allegorischen Gestalten der Gerechtigkeit mit Schwert und Gesetzestafel, der Weisheit mit einer Papyrusrolle und dem Spiegel der Selbst- erkenntniß, der Stärke mit der Keule und der Mäßigung mit dem Zügel als Symbol ihrer Bedeutung. Die Reliefs, welche die Wände bedecken, stellen in der Weise des Rococo die Antike und das Phantastische mit dem Zopfcostnm zu¬ sammen. Ans dem ersten Relief sitzen König Friedrich Wilhelm der Erste nebst Gemahlin. Zwei Engel fliegen herbei, von denen der eine das Kind Friedrich in Gestalt eines Säuglings trägt, der andere einen Palmzweig schwingt. Die Königin breitet ihnen die Arme entgegen, um das Kind zu empfangen. In der einen Ecke liegt eine weibliche Gestalt mit einer Urne, unter der ich mir etwa die Nymphe der Spree als allegorische Verbildlichnng des Geburtsortes denken kann. Ans dem zweiten Relief unterrichtet Klio den Knaben Friedrich, jene im antiken Gewände, dieser mit Zopf »ut Kamaschen. Klio sitzt ans einem Polsterstuhl, den sie überdies, wie es scheint, aus Respect gegen den dnrchlanchtigen Schüler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/300>, abgerufen am 29.05.2024.