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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ihre Existenz erst durch Unverschämtheiten zu beweisen. Diese Aristokratie ist der
Gräfin Hahn unbekannt; ihre Assessoren und Negiernngsräthe, ihre Kammer¬
herren und reisenden Kosmopoliten müssen sich erst durch die stolze Herablassung,
mit der sie die unterwürfigen Bedienten behandeln, legitimiren, sie müssen ihre
aristokratische Geburt durch den Bau ihres Fußes, ihre aristokratische Bildung
durch die Feinheit ihres Stiefels beweisen. Diese Abhängigkeit von Schuster
und Schneider ist. weit entfernt von jener Sicherheit, mit welcher der echte Ari¬
stokrat im schlechtesten Flausrock das Gefühl in sich trägt, ein Pair aller Könige
zu sein. Ein burcaukra tisch er Staat, wie der Preußische, unterdrückt schon durch
seine Gymnasien, seine Prüfungen und seine Amtsgeschäfte unmerklich das Be¬
wußtsein der ständischen Unterschiede, und was die äußere Tracht des Militair-
standeS daran ändert, wird wenigstens zum Theil wieder durch die untergeordnete
pecuuiaire Stellung desselben aufgehoben. Seitdem es dahin gekommen ist, daß
man nicht blos in der Massenhaftigkeit, sondern auch in dem seinen Raffinement
des Luxus die Vorzüge der höher" Stellung sucht, ist der reiche Jude, der seiner
Tochter eine gute Bildung geben läßt, im Stande, sie mit allen Damen von
echtem Blut wetteifern zu lassen. Die ängstliche Genauigkeit, mit welcher die
Gräfin Hahn den Lüstre ihres Geschirrs und den Parfum ihrer Toilette beschreibt,
ist nur ein Zeichen dafür, daß der Adel, wie sie ihn versteht, seinen eigenen
Schwerpunkt verloren hat. Noch schlimmer ist es mit dem blasirten belletristi¬
schen Salongeschwätz. Wenn die vornehmen Damen ihre Noblesse darin zeigen
wollen, über Goethe und Schiller, die Peterskirche und das Coliseum, das Meer
und die Alpen, über Beethoven und Bach immense Gefühle zu hegen, sehen sie
sich der Gefahr ans, von dem ersten besten Notnrier überwunden zu werden.
Zudem kommt den Deutschen Schöngeistern das Alles erst aus der zweiten Hand, und
hat den Stempel des Gemachtem. Eine blos sociale Aristokratie ist schon an sich etwas
Unhaltbares, aber sie wird dadurch noch erträglicher, wenn sie mit einer gewissen
Naturkraft und mit der vollständigen Durchbildung der Franzosen auftritt, wie in
Balzac's Schilderungen ans dem Faubourg Se. Germain, die eigentlich eine
Fortsetzung der Chronik des Ovil an- Komet und der Geschichten aus der Regent¬
schaft sind. Damals aber trug die Aristokratie einen Degen an der Seile, feine
Spitzen und sammetne Gewänder; der moderne Frack hat einen demokratischen
Einfluß ausgeübt, als alle Predigte" der Communisten. Die Versuche unsrer
schönen Seelen dagegen, die Noblesse des Herzens mit der Noblesse der Kleidung
zu vereinigen, führen zu einem leeren und haltlosen Treiben, welches nothwen¬
diger Weise mit der Langenweile der Blasirtheit endigt. So steht eigentlich die an¬
geblich aristokratische Schriftstellerin genau ans derselbe" Stufe der Bildung, wie
das junge Deutschland und wie die Französischen Romanschreiber, nur daß die
Letzten in einer reinern Sprache schreiben und nicht, wie die Deutschen, den
Mangel ihres eigenen Ausdrucks durch Entlehnung aus der -Fremde überdecken,


ihre Existenz erst durch Unverschämtheiten zu beweisen. Diese Aristokratie ist der
Gräfin Hahn unbekannt; ihre Assessoren und Negiernngsräthe, ihre Kammer¬
herren und reisenden Kosmopoliten müssen sich erst durch die stolze Herablassung,
mit der sie die unterwürfigen Bedienten behandeln, legitimiren, sie müssen ihre
aristokratische Geburt durch den Bau ihres Fußes, ihre aristokratische Bildung
durch die Feinheit ihres Stiefels beweisen. Diese Abhängigkeit von Schuster
und Schneider ist. weit entfernt von jener Sicherheit, mit welcher der echte Ari¬
stokrat im schlechtesten Flausrock das Gefühl in sich trägt, ein Pair aller Könige
zu sein. Ein burcaukra tisch er Staat, wie der Preußische, unterdrückt schon durch
seine Gymnasien, seine Prüfungen und seine Amtsgeschäfte unmerklich das Be¬
wußtsein der ständischen Unterschiede, und was die äußere Tracht des Militair-
standeS daran ändert, wird wenigstens zum Theil wieder durch die untergeordnete
pecuuiaire Stellung desselben aufgehoben. Seitdem es dahin gekommen ist, daß
man nicht blos in der Massenhaftigkeit, sondern auch in dem seinen Raffinement
des Luxus die Vorzüge der höher» Stellung sucht, ist der reiche Jude, der seiner
Tochter eine gute Bildung geben läßt, im Stande, sie mit allen Damen von
echtem Blut wetteifern zu lassen. Die ängstliche Genauigkeit, mit welcher die
Gräfin Hahn den Lüstre ihres Geschirrs und den Parfum ihrer Toilette beschreibt,
ist nur ein Zeichen dafür, daß der Adel, wie sie ihn versteht, seinen eigenen
Schwerpunkt verloren hat. Noch schlimmer ist es mit dem blasirten belletristi¬
schen Salongeschwätz. Wenn die vornehmen Damen ihre Noblesse darin zeigen
wollen, über Goethe und Schiller, die Peterskirche und das Coliseum, das Meer
und die Alpen, über Beethoven und Bach immense Gefühle zu hegen, sehen sie
sich der Gefahr ans, von dem ersten besten Notnrier überwunden zu werden.
Zudem kommt den Deutschen Schöngeistern das Alles erst aus der zweiten Hand, und
hat den Stempel des Gemachtem. Eine blos sociale Aristokratie ist schon an sich etwas
Unhaltbares, aber sie wird dadurch noch erträglicher, wenn sie mit einer gewissen
Naturkraft und mit der vollständigen Durchbildung der Franzosen auftritt, wie in
Balzac's Schilderungen ans dem Faubourg Se. Germain, die eigentlich eine
Fortsetzung der Chronik des Ovil an- Komet und der Geschichten aus der Regent¬
schaft sind. Damals aber trug die Aristokratie einen Degen an der Seile, feine
Spitzen und sammetne Gewänder; der moderne Frack hat einen demokratischen
Einfluß ausgeübt, als alle Predigte» der Communisten. Die Versuche unsrer
schönen Seelen dagegen, die Noblesse des Herzens mit der Noblesse der Kleidung
zu vereinigen, führen zu einem leeren und haltlosen Treiben, welches nothwen¬
diger Weise mit der Langenweile der Blasirtheit endigt. So steht eigentlich die an¬
geblich aristokratische Schriftstellerin genau ans derselbe» Stufe der Bildung, wie
das junge Deutschland und wie die Französischen Romanschreiber, nur daß die
Letzten in einer reinern Sprache schreiben und nicht, wie die Deutschen, den
Mangel ihres eigenen Ausdrucks durch Entlehnung aus der -Fremde überdecken,


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[0314] ihre Existenz erst durch Unverschämtheiten zu beweisen. Diese Aristokratie ist der Gräfin Hahn unbekannt; ihre Assessoren und Negiernngsräthe, ihre Kammer¬ herren und reisenden Kosmopoliten müssen sich erst durch die stolze Herablassung, mit der sie die unterwürfigen Bedienten behandeln, legitimiren, sie müssen ihre aristokratische Geburt durch den Bau ihres Fußes, ihre aristokratische Bildung durch die Feinheit ihres Stiefels beweisen. Diese Abhängigkeit von Schuster und Schneider ist. weit entfernt von jener Sicherheit, mit welcher der echte Ari¬ stokrat im schlechtesten Flausrock das Gefühl in sich trägt, ein Pair aller Könige zu sein. Ein burcaukra tisch er Staat, wie der Preußische, unterdrückt schon durch seine Gymnasien, seine Prüfungen und seine Amtsgeschäfte unmerklich das Be¬ wußtsein der ständischen Unterschiede, und was die äußere Tracht des Militair- standeS daran ändert, wird wenigstens zum Theil wieder durch die untergeordnete pecuuiaire Stellung desselben aufgehoben. Seitdem es dahin gekommen ist, daß man nicht blos in der Massenhaftigkeit, sondern auch in dem seinen Raffinement des Luxus die Vorzüge der höher» Stellung sucht, ist der reiche Jude, der seiner Tochter eine gute Bildung geben läßt, im Stande, sie mit allen Damen von echtem Blut wetteifern zu lassen. Die ängstliche Genauigkeit, mit welcher die Gräfin Hahn den Lüstre ihres Geschirrs und den Parfum ihrer Toilette beschreibt, ist nur ein Zeichen dafür, daß der Adel, wie sie ihn versteht, seinen eigenen Schwerpunkt verloren hat. Noch schlimmer ist es mit dem blasirten belletristi¬ schen Salongeschwätz. Wenn die vornehmen Damen ihre Noblesse darin zeigen wollen, über Goethe und Schiller, die Peterskirche und das Coliseum, das Meer und die Alpen, über Beethoven und Bach immense Gefühle zu hegen, sehen sie sich der Gefahr ans, von dem ersten besten Notnrier überwunden zu werden. Zudem kommt den Deutschen Schöngeistern das Alles erst aus der zweiten Hand, und hat den Stempel des Gemachtem. Eine blos sociale Aristokratie ist schon an sich etwas Unhaltbares, aber sie wird dadurch noch erträglicher, wenn sie mit einer gewissen Naturkraft und mit der vollständigen Durchbildung der Franzosen auftritt, wie in Balzac's Schilderungen ans dem Faubourg Se. Germain, die eigentlich eine Fortsetzung der Chronik des Ovil an- Komet und der Geschichten aus der Regent¬ schaft sind. Damals aber trug die Aristokratie einen Degen an der Seile, feine Spitzen und sammetne Gewänder; der moderne Frack hat einen demokratischen Einfluß ausgeübt, als alle Predigte» der Communisten. Die Versuche unsrer schönen Seelen dagegen, die Noblesse des Herzens mit der Noblesse der Kleidung zu vereinigen, führen zu einem leeren und haltlosen Treiben, welches nothwen¬ diger Weise mit der Langenweile der Blasirtheit endigt. So steht eigentlich die an¬ geblich aristokratische Schriftstellerin genau ans derselbe» Stufe der Bildung, wie das junge Deutschland und wie die Französischen Romanschreiber, nur daß die Letzten in einer reinern Sprache schreiben und nicht, wie die Deutschen, den Mangel ihres eigenen Ausdrucks durch Entlehnung aus der -Fremde überdecken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/314>, abgerufen am 30.05.2024.