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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Die Unmöglichkeit eines Ministeriunis Stanley oder Graham im gegen¬
wärtigen Augenblicke mußte Lord I. Russell'ö Stellung nicht wenig verstärke", wenn
er sie nur einigermaßen hätte zu benutzen gewußt. Aber im Gefühl seiner Un-
entbehrlichkeit hat er, seitdem er wieder an der Spitze der Geschäfte steht, Nichts
gethan, was die Basis seiner Partei hätte erweitern können. Anstatt seinen un¬
fähigen Kanzler der Schatzkammer, oder wenigstens dessen Budget, über Bord
zu werfen, legte er Letzteres zur großen Verwunderung des Hauses zum zweiten
Male ganz unverändert vor; dafür mußte er sich auch gefallen lassen, daß ihm die
Einkommensteuer, statt auf drei Jahre, nur ans ein Jahr bewilligt wurde, und
sich nach Ablauf dieser Zeit zu einer Revision derselben verpflichten. Noch selt¬
samer war sein Verfahren mit der päpstlichen Titelbill. Er konnte sie ganz fallen
lassen, und damit, wenn nicht die ministerielle Mitwirkung, so doch die parla¬
mentarische Unterstützung der Peelitcn sich sichern, auch die treulosen Jrländer
wieder zu seinem Banner zurückführen. Oder er konnte die Synoden noch von
der königlichen Genehmigung abhängig, und damit bei der großen Masse der
Protestanten sich beliebt machen. Er that keines von beiden; hingegen wußte
er mit großer Geschicklichkeit Alle vor den Kops zu stoßen. Er strich von den
vier Paragraphen der Bill drei aus, und behielt einen bei. Er strich die drei,
welche dein verletzten protestantischen Selbstgefühl der Engländer noch am Ersten
Genugthuung versprachen, und behielt den einen bei, der, da er unverändert
geblieben war, die Wirksamkeit der Bill ans Irland ausdehnte, und die Interessen
der unter ganz andern Bedingungen existirenden Irischen katholischen Kirche ans
das Ernstlichste zu verletzen drohte. Durch die Weglassung weckte das Ministerium
die Opposition der eifrigen Protestanten, dnrch die Beibehaltung machte es die
Feindschaft der bisherigen ministeriellen Irischen Mitglieder nnr noch bitterer. Ein
Mangel an aufrichtiger Zusammenwirkung der einzelnen Cabinetsmitglieder zeigte
sich in manchen kleinern Vorfällen. So giebt der Lordkanzler einmal im Oberhause
die Antwort, er wisse nicht, in welchem Hanse die Bill zur Reform des Kanzlei¬
gerichtshofs zuerst eingebracht werden solle, und an demselben Abend legt Lord
I. Russell die Bill dem Unterhause vor. Es ist hier nicht der Ort, alle die
kleinen Niederlagen des Cabinets aufzuzählen, wo es bei weniger wichtigen An¬
trägen in der Minorität blieb, blos weil man nicht für die nöthige Anzahl
ministerieller Mitglieder gesorgt hatte, oder weil die Führer in allzugroßer Be¬
quemlichkeit ihr Gefolge ohne Parole ließen, aber den fast unerhörten Fall müssen
wir noch anführen, daß, als Lord I. Russells Antrag auf Abänderung des Eides
der Parlamentsmitglieder (wegen des Eintrittes des Baron Rothschild's ins Unter¬
haus) aus der Tagesordnung stand, sich nicht einmal 40 Mitglieder eingefunden
hatten -- so daß der Antrag für diese Session verloren ist. Und das war eine
Maßregel, zu deren Durchführung sich Lord Russell seit mehrern Sessionen ver¬
pflichtet hat! In andern Fällen findet der Chef des Cabinets freilich Mittel,


Die Unmöglichkeit eines Ministeriunis Stanley oder Graham im gegen¬
wärtigen Augenblicke mußte Lord I. Russell'ö Stellung nicht wenig verstärke», wenn
er sie nur einigermaßen hätte zu benutzen gewußt. Aber im Gefühl seiner Un-
entbehrlichkeit hat er, seitdem er wieder an der Spitze der Geschäfte steht, Nichts
gethan, was die Basis seiner Partei hätte erweitern können. Anstatt seinen un¬
fähigen Kanzler der Schatzkammer, oder wenigstens dessen Budget, über Bord
zu werfen, legte er Letzteres zur großen Verwunderung des Hauses zum zweiten
Male ganz unverändert vor; dafür mußte er sich auch gefallen lassen, daß ihm die
Einkommensteuer, statt auf drei Jahre, nur ans ein Jahr bewilligt wurde, und
sich nach Ablauf dieser Zeit zu einer Revision derselben verpflichten. Noch selt¬
samer war sein Verfahren mit der päpstlichen Titelbill. Er konnte sie ganz fallen
lassen, und damit, wenn nicht die ministerielle Mitwirkung, so doch die parla¬
mentarische Unterstützung der Peelitcn sich sichern, auch die treulosen Jrländer
wieder zu seinem Banner zurückführen. Oder er konnte die Synoden noch von
der königlichen Genehmigung abhängig, und damit bei der großen Masse der
Protestanten sich beliebt machen. Er that keines von beiden; hingegen wußte
er mit großer Geschicklichkeit Alle vor den Kops zu stoßen. Er strich von den
vier Paragraphen der Bill drei aus, und behielt einen bei. Er strich die drei,
welche dein verletzten protestantischen Selbstgefühl der Engländer noch am Ersten
Genugthuung versprachen, und behielt den einen bei, der, da er unverändert
geblieben war, die Wirksamkeit der Bill ans Irland ausdehnte, und die Interessen
der unter ganz andern Bedingungen existirenden Irischen katholischen Kirche ans
das Ernstlichste zu verletzen drohte. Durch die Weglassung weckte das Ministerium
die Opposition der eifrigen Protestanten, dnrch die Beibehaltung machte es die
Feindschaft der bisherigen ministeriellen Irischen Mitglieder nnr noch bitterer. Ein
Mangel an aufrichtiger Zusammenwirkung der einzelnen Cabinetsmitglieder zeigte
sich in manchen kleinern Vorfällen. So giebt der Lordkanzler einmal im Oberhause
die Antwort, er wisse nicht, in welchem Hanse die Bill zur Reform des Kanzlei¬
gerichtshofs zuerst eingebracht werden solle, und an demselben Abend legt Lord
I. Russell die Bill dem Unterhause vor. Es ist hier nicht der Ort, alle die
kleinen Niederlagen des Cabinets aufzuzählen, wo es bei weniger wichtigen An¬
trägen in der Minorität blieb, blos weil man nicht für die nöthige Anzahl
ministerieller Mitglieder gesorgt hatte, oder weil die Führer in allzugroßer Be¬
quemlichkeit ihr Gefolge ohne Parole ließen, aber den fast unerhörten Fall müssen
wir noch anführen, daß, als Lord I. Russells Antrag auf Abänderung des Eides
der Parlamentsmitglieder (wegen des Eintrittes des Baron Rothschild's ins Unter¬
haus) aus der Tagesordnung stand, sich nicht einmal 40 Mitglieder eingefunden
hatten — so daß der Antrag für diese Session verloren ist. Und das war eine
Maßregel, zu deren Durchführung sich Lord Russell seit mehrern Sessionen ver¬
pflichtet hat! In andern Fällen findet der Chef des Cabinets freilich Mittel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/320>, abgerufen am 14.05.2024.