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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Liberi, LxaM6, ?ratsrni^." Nie sind wol stolzere Worte durch die Zustände
mehr Lügen gestraft worden. Daß man auf Französischem Boden ist, zeigt
schon bei der Einfahrt in das gewölbte Festungsthor Straßburgs die in
riesigen goldenen Lettern prangende Inschrift desselben "?c>res et'^usterM?".

Die äußere Gestaltung Straßburgs in seinen Bauten ist noch ganz die einer
alten Deutschen Reichsstadt. Neue Häuser, die ein modernes Aeußere haben,
sieht man nnr wenig, der alterthümlichen, hohen Giebelhäuser mit vielen Erkern
und Zinnen und hervorspringenden Seitenwänden aber desto mehr. Auch die
Straßen sind eng, krumm gewunden, und von malerischer Unregelmäßigkeit, wie
unsre Deutschen Vorfahren sie in ihren alten Reichsstädten zu haben pflegten.
Straßburg hat manche Gasse, wo die Nachbarn aus ihren drei bis vier Stock
hohen Häusern sich bequem die Hände über die Straße reichen können. -Uebrigens
sind auch einige recht hübsche und große freie Plätze hier, besonders der "?Iaee
Kledsr" mit der Statue dieses hier gebornen Feldherrn, "?lac<z vroZ-lis" mit
der Mairie und dem Theater, und der "?1aL6 Kuttenbel'x" mit der Statue
dieses Namens.

An allen diesen alten echt Deutschen Häusern sieht man aber fast nur Französische
Schilder; die Straßen führen Französische Namen. Selten daß einem Schilde
eines Handwerkers eine kleine Deutsche Uebersetzung in unscheinbaren Lettern bei¬
gefügt ist, während sich die Französische ans dem Hauptplatze spreizt. Bei den sehr
zahlreichen "si-asseriss" ist am Häufigsten das Wort "Brauerei" beigefügt, sie
erinnern überhaupt in Straßburg uoch am Meisten an das alte Deutschthum der
Stadt. Fast so zahlreich, wenn auch nicht von so großartigem Umfang wie in
München, sind hier, wie in allen Elsassischen Städten, die Brauereien, selbst die
echten Franzosen sollen sich merkwürdig schnell die Deutsche Sitte des BiertrinkenS
angewöhnen, wenigstens sieht man unter den Gästen in den weiten Bierhallen
viele rothhosige Soldaten sitzen. Als Straßburg uoch ein Hauptsammelplatz poli¬
tischer Flüchtlinge war, hatten Dieselben in diesen wohlfeilen Bierstuben größten-
theils ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Unzählige Pläne zur Umgestaltung aller
Weltverhältnisse find hier gemacht worden, die eben so leicht zerplatzten, wie die
kleinen trüben Schaumblasen des hier in den großen Thonkrügen gereichten Ge¬
tränkes. Viel Leid und bitteres Elend hat Straßburg in den letzten Jahren
unter den zahlreichen Deutschen Flüchtlingen ansehen müssen. Manch edles Herz
ist hier in hoffnungsloser Verzweiflung gebrochen, mancher kräftige Jüngling, der
nur zu hart für seine Jugendthorheit büßen mußte, hat hier aus Verzweiflung
und gänzlicher Entblößung von allen materiellen Mitteln die Capotte des
Soldaten der Fremdenlegion in Algier angezogen, oder ist sonst in Hunger und
Kummer untergegangen. Daß aber auch nnter diesen Tausenden von politischen
Flüchtlingen, die die Jahre -1831 und 1832, und dann in viel größerer Zahl
1848 und -18^9 Hieher geliefert haben, viel wildes wüstes Gesindel gewesen ist,


Liberi, LxaM6, ?ratsrni^." Nie sind wol stolzere Worte durch die Zustände
mehr Lügen gestraft worden. Daß man auf Französischem Boden ist, zeigt
schon bei der Einfahrt in das gewölbte Festungsthor Straßburgs die in
riesigen goldenen Lettern prangende Inschrift desselben „?c>res et'^usterM?".

Die äußere Gestaltung Straßburgs in seinen Bauten ist noch ganz die einer
alten Deutschen Reichsstadt. Neue Häuser, die ein modernes Aeußere haben,
sieht man nnr wenig, der alterthümlichen, hohen Giebelhäuser mit vielen Erkern
und Zinnen und hervorspringenden Seitenwänden aber desto mehr. Auch die
Straßen sind eng, krumm gewunden, und von malerischer Unregelmäßigkeit, wie
unsre Deutschen Vorfahren sie in ihren alten Reichsstädten zu haben pflegten.
Straßburg hat manche Gasse, wo die Nachbarn aus ihren drei bis vier Stock
hohen Häusern sich bequem die Hände über die Straße reichen können. -Uebrigens
sind auch einige recht hübsche und große freie Plätze hier, besonders der „?Iaee
Kledsr" mit der Statue dieses hier gebornen Feldherrn, „?lac<z vroZ-lis" mit
der Mairie und dem Theater, und der „?1aL6 Kuttenbel'x" mit der Statue
dieses Namens.

An allen diesen alten echt Deutschen Häusern sieht man aber fast nur Französische
Schilder; die Straßen führen Französische Namen. Selten daß einem Schilde
eines Handwerkers eine kleine Deutsche Uebersetzung in unscheinbaren Lettern bei¬
gefügt ist, während sich die Französische ans dem Hauptplatze spreizt. Bei den sehr
zahlreichen „si-asseriss" ist am Häufigsten das Wort „Brauerei" beigefügt, sie
erinnern überhaupt in Straßburg uoch am Meisten an das alte Deutschthum der
Stadt. Fast so zahlreich, wenn auch nicht von so großartigem Umfang wie in
München, sind hier, wie in allen Elsassischen Städten, die Brauereien, selbst die
echten Franzosen sollen sich merkwürdig schnell die Deutsche Sitte des BiertrinkenS
angewöhnen, wenigstens sieht man unter den Gästen in den weiten Bierhallen
viele rothhosige Soldaten sitzen. Als Straßburg uoch ein Hauptsammelplatz poli¬
tischer Flüchtlinge war, hatten Dieselben in diesen wohlfeilen Bierstuben größten-
theils ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Unzählige Pläne zur Umgestaltung aller
Weltverhältnisse find hier gemacht worden, die eben so leicht zerplatzten, wie die
kleinen trüben Schaumblasen des hier in den großen Thonkrügen gereichten Ge¬
tränkes. Viel Leid und bitteres Elend hat Straßburg in den letzten Jahren
unter den zahlreichen Deutschen Flüchtlingen ansehen müssen. Manch edles Herz
ist hier in hoffnungsloser Verzweiflung gebrochen, mancher kräftige Jüngling, der
nur zu hart für seine Jugendthorheit büßen mußte, hat hier aus Verzweiflung
und gänzlicher Entblößung von allen materiellen Mitteln die Capotte des
Soldaten der Fremdenlegion in Algier angezogen, oder ist sonst in Hunger und
Kummer untergegangen. Daß aber auch nnter diesen Tausenden von politischen
Flüchtlingen, die die Jahre -1831 und 1832, und dann in viel größerer Zahl
1848 und -18^9 Hieher geliefert haben, viel wildes wüstes Gesindel gewesen ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/350>, abgerufen am 15.05.2024.