Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wer sie eigentlich giebt. Vor noch nicht langer Zeit hat die Nationalzeituug ent¬
schieden dagegen protestirt, daß die Demokratie nnter Führern stände, oder durch
ein bestimmtes Organ sich vertreten ließe. Die Erklärung geht also lediglich von
einzelnen Individuen ans und präjudicirt das Verhalten der übrigen Demokraten
in keiner Weise. Sie ist aber insofern von Interesse, als sie Diejenigen unsrer
Partei, die noch immer in dem alten Wahne stehen, wir müßten in allen Dingen
die Initiative ergreifen, vor jeder voreiligen Annäherung an diejenige Partei, die
man unter dem Collectivbegriff der demokratischen zu verstehen pflegt, war¬
nen kann.

Bereits in einem frühern Artikel haben wir es ausgesprochen, daß wir die
Existenz einer demokratischen Partei in dem Sinne und der Ausdehnung, wie die
demokratischen Blätter sie aussprechen, nicht zugeben. Der erste beste Blick in
solche Schriften, wie die oben angeführten, muß uns davon überzeugen. In der
Monatschrift polemisirt Herr Ludwig Simon, der in Frankfurt auf der äußersten
Linken saß, mit großer Entschiedenheit gegen jene halbvcrriickte, halbverruchte
Partei, die in Herrn Engels und Aehnlichen ihre Führer, in der Neuen Rheini¬
schen Zeitung ihr Organ hatte. Er weist ganz.richtig nach, daß die Mittel, die
sie vorschlagen, jesuitisch, und daß ihr Zweck ein sinnloser ist; aber er ist doch
nicht ganz glücklich in seiner Polemik, denn die Behauptung von Engels, daß
eine Auflösung Deutschlands in Urcantone nach Art der Schweiz einer Ver¬
sumpfung des Deutschen Lebens gleichkommen würde, so wie die andere Behaup¬
tung, daß das allgemeine Wahlrecht wenigstens in manchen Ländern zu einer
Proletarierdictatur führen würde, hat er keineswegs widerlegt. Er bleibt bei
dem abstracten Princip der allgemeinen Wahlen stehen, und scheint gegen den
Inhalt desselben gleichgiltig zu sein, ohne zu erwägen, daß nnter solchen Voraus¬
setzungen die geschichtliche Kraft der Völker zu einer rettenden That schreiten
würde, ohne nach allgemeinem Wahlrecht, Verfassung, Eidschwur und dergleichen
zu fragen. Jedes blos formelle Princip, welches der vernünftigen Einsicht jede
Möglichkeit nimmt, der Massenherrschaft, d. h. der Herrschaft des Zufalls, der
Leidenschaft, der Laune, zuletzt der Rohheit, einen geordneten Widerstand ent¬
gegenzusetzen, ist ein höchst unfruchtbares. Die "eigentlichen" Demokraten gehen
von einer falschen Voraussetzung aus, die man irriger Weise uns zuschreibt,
von der Voraussetzung, daß sie im Fall einer Revolution, weil sie die verstän¬
digsten und wohlmeinendsten unter den Revolutionairs wären, auch die Herrschaft
über dieselben behaupten könnten. Eine wirkliche Revolution aber, wie sie unsre
Demokraten träumen, und wie sie in der Geschichte dnrch einen einzelnen Act noch
niemals erfolgt ist, d. h. eine vollständige Vernichtung der bestehenden Autorität
auch in den kleinsten Theilen des Staatslebens dnrch die insnrgirte Masse kann
zu nichts Anderem führen als zu einer Prätorianerherrschaft, und was aus dieser,
die als der absolute Unsinn nur in der Form einer Uebergangsperiode betrachtet


wer sie eigentlich giebt. Vor noch nicht langer Zeit hat die Nationalzeituug ent¬
schieden dagegen protestirt, daß die Demokratie nnter Führern stände, oder durch
ein bestimmtes Organ sich vertreten ließe. Die Erklärung geht also lediglich von
einzelnen Individuen ans und präjudicirt das Verhalten der übrigen Demokraten
in keiner Weise. Sie ist aber insofern von Interesse, als sie Diejenigen unsrer
Partei, die noch immer in dem alten Wahne stehen, wir müßten in allen Dingen
die Initiative ergreifen, vor jeder voreiligen Annäherung an diejenige Partei, die
man unter dem Collectivbegriff der demokratischen zu verstehen pflegt, war¬
nen kann.

Bereits in einem frühern Artikel haben wir es ausgesprochen, daß wir die
Existenz einer demokratischen Partei in dem Sinne und der Ausdehnung, wie die
demokratischen Blätter sie aussprechen, nicht zugeben. Der erste beste Blick in
solche Schriften, wie die oben angeführten, muß uns davon überzeugen. In der
Monatschrift polemisirt Herr Ludwig Simon, der in Frankfurt auf der äußersten
Linken saß, mit großer Entschiedenheit gegen jene halbvcrriickte, halbverruchte
Partei, die in Herrn Engels und Aehnlichen ihre Führer, in der Neuen Rheini¬
schen Zeitung ihr Organ hatte. Er weist ganz.richtig nach, daß die Mittel, die
sie vorschlagen, jesuitisch, und daß ihr Zweck ein sinnloser ist; aber er ist doch
nicht ganz glücklich in seiner Polemik, denn die Behauptung von Engels, daß
eine Auflösung Deutschlands in Urcantone nach Art der Schweiz einer Ver¬
sumpfung des Deutschen Lebens gleichkommen würde, so wie die andere Behaup¬
tung, daß das allgemeine Wahlrecht wenigstens in manchen Ländern zu einer
Proletarierdictatur führen würde, hat er keineswegs widerlegt. Er bleibt bei
dem abstracten Princip der allgemeinen Wahlen stehen, und scheint gegen den
Inhalt desselben gleichgiltig zu sein, ohne zu erwägen, daß nnter solchen Voraus¬
setzungen die geschichtliche Kraft der Völker zu einer rettenden That schreiten
würde, ohne nach allgemeinem Wahlrecht, Verfassung, Eidschwur und dergleichen
zu fragen. Jedes blos formelle Princip, welches der vernünftigen Einsicht jede
Möglichkeit nimmt, der Massenherrschaft, d. h. der Herrschaft des Zufalls, der
Leidenschaft, der Laune, zuletzt der Rohheit, einen geordneten Widerstand ent¬
gegenzusetzen, ist ein höchst unfruchtbares. Die „eigentlichen" Demokraten gehen
von einer falschen Voraussetzung aus, die man irriger Weise uns zuschreibt,
von der Voraussetzung, daß sie im Fall einer Revolution, weil sie die verstän¬
digsten und wohlmeinendsten unter den Revolutionairs wären, auch die Herrschaft
über dieselben behaupten könnten. Eine wirkliche Revolution aber, wie sie unsre
Demokraten träumen, und wie sie in der Geschichte dnrch einen einzelnen Act noch
niemals erfolgt ist, d. h. eine vollständige Vernichtung der bestehenden Autorität
auch in den kleinsten Theilen des Staatslebens dnrch die insnrgirte Masse kann
zu nichts Anderem führen als zu einer Prätorianerherrschaft, und was aus dieser,
die als der absolute Unsinn nur in der Form einer Uebergangsperiode betrachtet


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91555"/>
          <p xml:id="ID_994" prev="#ID_993"> wer sie eigentlich giebt. Vor noch nicht langer Zeit hat die Nationalzeituug ent¬<lb/>
schieden dagegen protestirt, daß die Demokratie nnter Führern stände, oder durch<lb/>
ein bestimmtes Organ sich vertreten ließe. Die Erklärung geht also lediglich von<lb/>
einzelnen Individuen ans und präjudicirt das Verhalten der übrigen Demokraten<lb/>
in keiner Weise. Sie ist aber insofern von Interesse, als sie Diejenigen unsrer<lb/>
Partei, die noch immer in dem alten Wahne stehen, wir müßten in allen Dingen<lb/>
die Initiative ergreifen, vor jeder voreiligen Annäherung an diejenige Partei, die<lb/>
man unter dem Collectivbegriff der demokratischen zu verstehen pflegt, war¬<lb/>
nen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_995" next="#ID_996"> Bereits in einem frühern Artikel haben wir es ausgesprochen, daß wir die<lb/>
Existenz einer demokratischen Partei in dem Sinne und der Ausdehnung, wie die<lb/>
demokratischen Blätter sie aussprechen, nicht zugeben. Der erste beste Blick in<lb/>
solche Schriften, wie die oben angeführten, muß uns davon überzeugen. In der<lb/>
Monatschrift polemisirt Herr Ludwig Simon, der in Frankfurt auf der äußersten<lb/>
Linken saß, mit großer Entschiedenheit gegen jene halbvcrriickte, halbverruchte<lb/>
Partei, die in Herrn Engels und Aehnlichen ihre Führer, in der Neuen Rheini¬<lb/>
schen Zeitung ihr Organ hatte. Er weist ganz.richtig nach, daß die Mittel, die<lb/>
sie vorschlagen, jesuitisch, und daß ihr Zweck ein sinnloser ist; aber er ist doch<lb/>
nicht ganz glücklich in seiner Polemik, denn die Behauptung von Engels, daß<lb/>
eine Auflösung Deutschlands in Urcantone nach Art der Schweiz einer Ver¬<lb/>
sumpfung des Deutschen Lebens gleichkommen würde, so wie die andere Behaup¬<lb/>
tung, daß das allgemeine Wahlrecht wenigstens in manchen Ländern zu einer<lb/>
Proletarierdictatur führen würde, hat er keineswegs widerlegt. Er bleibt bei<lb/>
dem abstracten Princip der allgemeinen Wahlen stehen, und scheint gegen den<lb/>
Inhalt desselben gleichgiltig zu sein, ohne zu erwägen, daß nnter solchen Voraus¬<lb/>
setzungen die geschichtliche Kraft der Völker zu einer rettenden That schreiten<lb/>
würde, ohne nach allgemeinem Wahlrecht, Verfassung, Eidschwur und dergleichen<lb/>
zu fragen. Jedes blos formelle Princip, welches der vernünftigen Einsicht jede<lb/>
Möglichkeit nimmt, der Massenherrschaft, d. h. der Herrschaft des Zufalls, der<lb/>
Leidenschaft, der Laune, zuletzt der Rohheit, einen geordneten Widerstand ent¬<lb/>
gegenzusetzen, ist ein höchst unfruchtbares. Die &#x201E;eigentlichen" Demokraten gehen<lb/>
von einer falschen Voraussetzung aus, die man irriger Weise uns zuschreibt,<lb/>
von der Voraussetzung, daß sie im Fall einer Revolution, weil sie die verstän¬<lb/>
digsten und wohlmeinendsten unter den Revolutionairs wären, auch die Herrschaft<lb/>
über dieselben behaupten könnten. Eine wirkliche Revolution aber, wie sie unsre<lb/>
Demokraten träumen, und wie sie in der Geschichte dnrch einen einzelnen Act noch<lb/>
niemals erfolgt ist, d. h. eine vollständige Vernichtung der bestehenden Autorität<lb/>
auch in den kleinsten Theilen des Staatslebens dnrch die insnrgirte Masse kann<lb/>
zu nichts Anderem führen als zu einer Prätorianerherrschaft, und was aus dieser,<lb/>
die als der absolute Unsinn nur in der Form einer Uebergangsperiode betrachtet</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0362] wer sie eigentlich giebt. Vor noch nicht langer Zeit hat die Nationalzeituug ent¬ schieden dagegen protestirt, daß die Demokratie nnter Führern stände, oder durch ein bestimmtes Organ sich vertreten ließe. Die Erklärung geht also lediglich von einzelnen Individuen ans und präjudicirt das Verhalten der übrigen Demokraten in keiner Weise. Sie ist aber insofern von Interesse, als sie Diejenigen unsrer Partei, die noch immer in dem alten Wahne stehen, wir müßten in allen Dingen die Initiative ergreifen, vor jeder voreiligen Annäherung an diejenige Partei, die man unter dem Collectivbegriff der demokratischen zu verstehen pflegt, war¬ nen kann. Bereits in einem frühern Artikel haben wir es ausgesprochen, daß wir die Existenz einer demokratischen Partei in dem Sinne und der Ausdehnung, wie die demokratischen Blätter sie aussprechen, nicht zugeben. Der erste beste Blick in solche Schriften, wie die oben angeführten, muß uns davon überzeugen. In der Monatschrift polemisirt Herr Ludwig Simon, der in Frankfurt auf der äußersten Linken saß, mit großer Entschiedenheit gegen jene halbvcrriickte, halbverruchte Partei, die in Herrn Engels und Aehnlichen ihre Führer, in der Neuen Rheini¬ schen Zeitung ihr Organ hatte. Er weist ganz.richtig nach, daß die Mittel, die sie vorschlagen, jesuitisch, und daß ihr Zweck ein sinnloser ist; aber er ist doch nicht ganz glücklich in seiner Polemik, denn die Behauptung von Engels, daß eine Auflösung Deutschlands in Urcantone nach Art der Schweiz einer Ver¬ sumpfung des Deutschen Lebens gleichkommen würde, so wie die andere Behaup¬ tung, daß das allgemeine Wahlrecht wenigstens in manchen Ländern zu einer Proletarierdictatur führen würde, hat er keineswegs widerlegt. Er bleibt bei dem abstracten Princip der allgemeinen Wahlen stehen, und scheint gegen den Inhalt desselben gleichgiltig zu sein, ohne zu erwägen, daß nnter solchen Voraus¬ setzungen die geschichtliche Kraft der Völker zu einer rettenden That schreiten würde, ohne nach allgemeinem Wahlrecht, Verfassung, Eidschwur und dergleichen zu fragen. Jedes blos formelle Princip, welches der vernünftigen Einsicht jede Möglichkeit nimmt, der Massenherrschaft, d. h. der Herrschaft des Zufalls, der Leidenschaft, der Laune, zuletzt der Rohheit, einen geordneten Widerstand ent¬ gegenzusetzen, ist ein höchst unfruchtbares. Die „eigentlichen" Demokraten gehen von einer falschen Voraussetzung aus, die man irriger Weise uns zuschreibt, von der Voraussetzung, daß sie im Fall einer Revolution, weil sie die verstän¬ digsten und wohlmeinendsten unter den Revolutionairs wären, auch die Herrschaft über dieselben behaupten könnten. Eine wirkliche Revolution aber, wie sie unsre Demokraten träumen, und wie sie in der Geschichte dnrch einen einzelnen Act noch niemals erfolgt ist, d. h. eine vollständige Vernichtung der bestehenden Autorität auch in den kleinsten Theilen des Staatslebens dnrch die insnrgirte Masse kann zu nichts Anderem führen als zu einer Prätorianerherrschaft, und was aus dieser, die als der absolute Unsinn nur in der Form einer Uebergangsperiode betrachtet

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/362
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/362>, abgerufen am 14.05.2024.