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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Ja, antwortet die Harfe, ich will das Haupt den Sängern beiden mit Kränzen
krönen, trotz der etwas schwierigen Aufgabe:

Wenn nur diese verdammten Freiligrath'schen Wuchtreime erst wieder aus der
Mode gekommen wären! Auch unsre Dichterin, der es durchaus nicht an Talent
fehlt, wird durch sie verführt, und neben jenen bereits angeführten haben wir: Qual¬
bedrückte, Sicgsbeglückte; gramverloren, auserkoren u. s. w. dicht neben einander. --
Herr Tellkampf sündigt durch den entgegengesetzten Fehler. Sein Gedicht, das einen
ganz zweckmäßigen Stoff behandelt, nämlich eine idyllische Episode aus der Schlacht
bei Leipzig, ungefähr in der Manier von Goethe's Hermann und Dorothea, könnte
recht gut sein, wenn etwas mehr plastische Kraft darin wäre, wenn er die Hexameter
nicht allzu leichtfertig behandelte (Daktylen, wie: "Auch gönn' ich," oder: "Drum send'
ich" n. f. w. kommen auf jeder Seite vor) und wenn die Sprache nicht gar zu sehr
nach dem Schlafrock schmeckte. Wenn fortwährend das höfliche "Sie" vorkommt; wenn
Napoleon sagt:


Ihre Güte, Madame, gewährt mir freundlich im Voraus,
Was zu bitten ich kam .....
Denn Kameradschaft übt des Kriegers gastliches Haus mit
Anmuth stets und Gunst, wenn die edle Fran es regieret --
Sire, versetzte die zart geschmeichelte Fran u. s. w.

oder wenn eine Dame erklärt:


Doctor, sagen Sie Nein, unleidlich ist mir Ihr Stummseiu.

Oder:


Hole der Teufel den Rath, versetzte der eifrige Waidmann.

-- so ist das doch allzu stark gegen die poetische Convenienz, und man wird an den
bekannten Hexameter erinnert:


Meine Herren und Damen, ich wünsche gesegnete Mahlzeit.

Die Ausstattung des Buches ist sehr brillant, und es eignet sich vortrefflich für
Sammlungen schöner Bücher. -- Dagegen ist von dem letzten der angeführten Gedichte
nicht viel Gutes zu sagen. Der bekannte Stoff, den Müller in seinem Roman, Mosenthal
in seinem Drama bearbeitet haben, und den wir aus Bürgers eigenen Elegien schon mehr
als hinreichend kennen, ist zu häßlich, als daß auch der talentvollste Dichter Etwas
daraus machen könnte. Als Kennzeichen des Genius darstellen, was um der Ausfluß
eines dissoluten Lebens und einer völligen Charakterlosigkeit ist, gehört zu den schlimm¬
sten Verschrobenheiten, und kann nicht ernstlich genug gerügt werden.


Ja, antwortet die Harfe, ich will das Haupt den Sängern beiden mit Kränzen
krönen, trotz der etwas schwierigen Aufgabe:

Wenn nur diese verdammten Freiligrath'schen Wuchtreime erst wieder aus der
Mode gekommen wären! Auch unsre Dichterin, der es durchaus nicht an Talent
fehlt, wird durch sie verführt, und neben jenen bereits angeführten haben wir: Qual¬
bedrückte, Sicgsbeglückte; gramverloren, auserkoren u. s. w. dicht neben einander. —
Herr Tellkampf sündigt durch den entgegengesetzten Fehler. Sein Gedicht, das einen
ganz zweckmäßigen Stoff behandelt, nämlich eine idyllische Episode aus der Schlacht
bei Leipzig, ungefähr in der Manier von Goethe's Hermann und Dorothea, könnte
recht gut sein, wenn etwas mehr plastische Kraft darin wäre, wenn er die Hexameter
nicht allzu leichtfertig behandelte (Daktylen, wie: „Auch gönn' ich," oder: „Drum send'
ich" n. f. w. kommen auf jeder Seite vor) und wenn die Sprache nicht gar zu sehr
nach dem Schlafrock schmeckte. Wenn fortwährend das höfliche „Sie" vorkommt; wenn
Napoleon sagt:


Ihre Güte, Madame, gewährt mir freundlich im Voraus,
Was zu bitten ich kam .....
Denn Kameradschaft übt des Kriegers gastliches Haus mit
Anmuth stets und Gunst, wenn die edle Fran es regieret —
Sire, versetzte die zart geschmeichelte Fran u. s. w.

oder wenn eine Dame erklärt:


Doctor, sagen Sie Nein, unleidlich ist mir Ihr Stummseiu.

Oder:


Hole der Teufel den Rath, versetzte der eifrige Waidmann.

— so ist das doch allzu stark gegen die poetische Convenienz, und man wird an den
bekannten Hexameter erinnert:


Meine Herren und Damen, ich wünsche gesegnete Mahlzeit.

Die Ausstattung des Buches ist sehr brillant, und es eignet sich vortrefflich für
Sammlungen schöner Bücher. — Dagegen ist von dem letzten der angeführten Gedichte
nicht viel Gutes zu sagen. Der bekannte Stoff, den Müller in seinem Roman, Mosenthal
in seinem Drama bearbeitet haben, und den wir aus Bürgers eigenen Elegien schon mehr
als hinreichend kennen, ist zu häßlich, als daß auch der talentvollste Dichter Etwas
daraus machen könnte. Als Kennzeichen des Genius darstellen, was um der Ausfluß
eines dissoluten Lebens und einer völligen Charakterlosigkeit ist, gehört zu den schlimm¬
sten Verschrobenheiten, und kann nicht ernstlich genug gerügt werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/370>, abgerufen am 14.05.2024.