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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Es ist aber eine sehr schlechte Entschuldigung, wenn man die neueste Gel¬
tung Preußens in den Dresdner Conferenzen dadurch begründet, daß Preußen
ja vorläufig nur eine abwartende Stellung einzunehmen habe, weil Oestreich
dieselben eingeleitet habe und daher die materiellen Vorlagen machen müsse, die
übrigens sehr bald an ihrer innern Unmöglichkeit scheitern würden. Das Ver¬
hältniß ist gerade umgekehrt. Nicht Oestreich hat die freien Conferenzen ge¬
fordert, sondern Preußen, Oestreich hat einfach zur Beschickung der Bundes¬
versammlung aufgefordert, und kann also bei seiner formellen Concession mit Recht
verlangen, daß Preußen erklärt, was es will. Ich will weiter gar nicht
darauf Bezug nehmen, daß es für Preußen denn doch nicht eine würdige
Stellung ist, dem Scheine nach mit Oestreich gemeinsame Vorlagen zu machen,
um sie an dem Widerstand der kleinern Staaten scheitern zu lassen, anch selbst,
wenn diese Politik ihr Ziel erreichte, was ihr in der That nicht gelingen wird.

Die Frage ist nnr die: Wie soll sich in diesem Streit, der zwischen den
beiden conservativen Fractionen ausgebrochen ist, unsere Partei verhalten? Da
der Augenschein lehrt, daß ihr jede unmittelbare Einwirkung verschlossen ist, und
da sie für keine von-beiden Seiten ein lebhaftes Interesse fühlen kann, so scheint
die beste Politik, ruhig abzuwarten, was aus der Sache werden soll. Es ist
überhaupt eine falsche Vorstellung, wenn man glaubt, eine Partei könne sich nur
dadurch halten, daß sie fortwährend in der Mitte der Action bleibt. Wenn
in England eine Partei unterlegen ist, so wartet sie ruhig auf den Umschwung
der öffentlichen Meinung und überläßt mittlerweile das Spiel ihren Gegnern.
Vielleicht wäre es zweckmäßiger und vortheilhafter für uns gewesen, wenn wir
diese Stellung schon in der Gothaer Zeit eingenommen hätten, anstatt uns als
Vertreter eiuer Sache zu geriren, die doch nur theilweise die unsrige war, ob¬
gleich das, was wirklich geschehen ist, für die Offenheit und Ehrlichkeit unserer
Freunde spricht. Aber seitdem der letzte Versuch,,das herrschende System durch
einen kühnen Streich zu stürzen, im vorigen December scheiterte, konnten wir
die xranÄv poUUMö vorläufig bei Seite lassen. Es gibt genng in den innern
Fragen zu thun, bei denen uns die Theilnahme, die uns verfassungsmäßig zu¬
steht, nicht entzogen werden kann.

Wir gewinnen durch diese vorläufige Passivität, daß der Zwiespalt nnter
unsern Gegnern, die nur der gemeinsame Haß gegen uns vereinigt, offen an den
Tag tritt. Wir ?ut in der Stellung der Whigs im Jahre 1688 und können
mit ziemlicher Gewißheit erwarten, daß innerhalb der Tories sehr bald der
nämliche Proceß eintreten wird, den uns Macaulay so anschaulich darstellt.
Wir könnten uoch nähere Analogien herbeiziehen. Wenigstens hat Herr v. Ger¬
aes mit dürren Wortni in seiner neuesten Rundschau, freilich zunächst nur in
lBeziehung auf die Ttelbill, angedeutet, die protestantische Kirche könne der
katholischen keinen Widerstand leisten, sie hab" auch eigentlich nicht diese Auf-


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Es ist aber eine sehr schlechte Entschuldigung, wenn man die neueste Gel¬
tung Preußens in den Dresdner Conferenzen dadurch begründet, daß Preußen
ja vorläufig nur eine abwartende Stellung einzunehmen habe, weil Oestreich
dieselben eingeleitet habe und daher die materiellen Vorlagen machen müsse, die
übrigens sehr bald an ihrer innern Unmöglichkeit scheitern würden. Das Ver¬
hältniß ist gerade umgekehrt. Nicht Oestreich hat die freien Conferenzen ge¬
fordert, sondern Preußen, Oestreich hat einfach zur Beschickung der Bundes¬
versammlung aufgefordert, und kann also bei seiner formellen Concession mit Recht
verlangen, daß Preußen erklärt, was es will. Ich will weiter gar nicht
darauf Bezug nehmen, daß es für Preußen denn doch nicht eine würdige
Stellung ist, dem Scheine nach mit Oestreich gemeinsame Vorlagen zu machen,
um sie an dem Widerstand der kleinern Staaten scheitern zu lassen, anch selbst,
wenn diese Politik ihr Ziel erreichte, was ihr in der That nicht gelingen wird.

Die Frage ist nnr die: Wie soll sich in diesem Streit, der zwischen den
beiden conservativen Fractionen ausgebrochen ist, unsere Partei verhalten? Da
der Augenschein lehrt, daß ihr jede unmittelbare Einwirkung verschlossen ist, und
da sie für keine von-beiden Seiten ein lebhaftes Interesse fühlen kann, so scheint
die beste Politik, ruhig abzuwarten, was aus der Sache werden soll. Es ist
überhaupt eine falsche Vorstellung, wenn man glaubt, eine Partei könne sich nur
dadurch halten, daß sie fortwährend in der Mitte der Action bleibt. Wenn
in England eine Partei unterlegen ist, so wartet sie ruhig auf den Umschwung
der öffentlichen Meinung und überläßt mittlerweile das Spiel ihren Gegnern.
Vielleicht wäre es zweckmäßiger und vortheilhafter für uns gewesen, wenn wir
diese Stellung schon in der Gothaer Zeit eingenommen hätten, anstatt uns als
Vertreter eiuer Sache zu geriren, die doch nur theilweise die unsrige war, ob¬
gleich das, was wirklich geschehen ist, für die Offenheit und Ehrlichkeit unserer
Freunde spricht. Aber seitdem der letzte Versuch,,das herrschende System durch
einen kühnen Streich zu stürzen, im vorigen December scheiterte, konnten wir
die xranÄv poUUMö vorläufig bei Seite lassen. Es gibt genng in den innern
Fragen zu thun, bei denen uns die Theilnahme, die uns verfassungsmäßig zu¬
steht, nicht entzogen werden kann.

Wir gewinnen durch diese vorläufige Passivität, daß der Zwiespalt nnter
unsern Gegnern, die nur der gemeinsame Haß gegen uns vereinigt, offen an den
Tag tritt. Wir ?ut in der Stellung der Whigs im Jahre 1688 und können
mit ziemlicher Gewißheit erwarten, daß innerhalb der Tories sehr bald der
nämliche Proceß eintreten wird, den uns Macaulay so anschaulich darstellt.
Wir könnten uoch nähere Analogien herbeiziehen. Wenigstens hat Herr v. Ger¬
aes mit dürren Wortni in seiner neuesten Rundschau, freilich zunächst nur in
lBeziehung auf die Ttelbill, angedeutet, die protestantische Kirche könne der
katholischen keinen Widerstand leisten, sie hab« auch eigentlich nicht diese Auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/39>, abgerufen am 13.05.2024.