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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ich sie aus dem Saale gehe", und sie ging hinaus." Offenbar hat der Graf
dem Ermordeten den Kops festgehalten und den Mund aufgesperrt, während
die Gräfin ihrem Bruder das Gift eingegossen hat. Die Brandwunde am Halse
und ans den Kleidern der Leiche rühren jedenfalls davon her, daß Gustav sich
lebhaft bewegt, und daß dabei die Gräfin daneben gegossen hat. Die Gräfin
schien auch zuletzt die Unhaltbarkeit ihrer Vertheidigung einzusehen; sie verlor im¬
mer mehr ihre anscheinende Unbefangenheit, und war in der letzten Sitzung leb¬
haft erschüttert.

Wenn man die Charaktere der Angeklagten, wie sie uns aus den Verhand¬
lungen entgegentreten, betrachtet, so kommt man in der That in Verlegenheit,
welchem der beiden Gatten man den Preis sittlicher Verworfenheit zuerkennen
soll. Die widerstandslose Bereitwilligkeit, mit welcher die Gräfin auf die gegen
ihren Bruder geschmiedeten Nachcpläne eingeht, die stumpfsinnige Kälte, mit
welcher sie die Todesstunde desselben nahen sieht, die ruhige Umsicht, mit der
sie bei der That hilft, und später die Spuren derselben verdeckt, scheinen eher
einem Dämon, als einem Menschen anzugehören. Der Graf ist aus gemeineren
Stoff geknetet. Ein zähes Beharren bei dem einmal gefaßten Plane, eine gleich¬
mäßige Stimmung anch bei den drohendsten Aussichten für sein Schicksal zeigen
den Maun; der Grundzug seines Charakters aber ist der schamlose Egoismus,
mit dem er sein Laster zur Schan trägt. In seiner ganzen Nachbarschaft war
er unter dem Namen "der alte Bock" bekannt; auf seinem Schlosse lebte er, selbst
während seine Fran daselbst wohnte, in der ungebundensten Liederlichkeit mit der
weiblichen Dienerschaft. Natürlich kamen diese Verhältnisse bei der Verhandlung
zur Sprache -- er hört die unsaubersten Details mit schamlosem Lachen an, und
als die Sprache aus ein achtzehnjähriges Mädchen kommt, das er in seinem
Schlafzimmer mit einem Benehmen zu verführen versucht hatte, dessen Einzelheiten
wir unsrer Feder nicht anvertrauen dürfen, entschuldigt er sich cynisch spottend
mit der Bemerkung: "Möglicher Weise habe er die Sittsamkeit des jungen Mäd¬
chens ans die Probe stellen wollen." Diese Kälte, mit der er der Verachtung
des Publicums trotzt, verläßt ihn auch nicht, wie sich die Beweise seiner Schuld
mit niederdrückender Schwere aus seinem Hanpte sammeln, und überall ist er mit
einer kaltblütigen Ausrede bereit. Sein Studium der giftigen Pflanzen erklärt er
damit, daß er den Plan gehabt, nach Amerika zu gehen, und dort darauf gerechnet
habe, das Geschäft seines Vaters, der mit den Indianern Gifthandel treibe, fort¬
zusetzen. Auch lasse sich die Qualität des Tabaks nach seinem Nicotingchalte
beurtheilen, weshalb die Experimente für ihn, der ein Tabaksgeschäst habe gründen
wollen, von besonderer Wichtigkeit gewesen seien.

Den halben Zugeständnissen seiner Frau begegnete er erst mit entschiedenem
Läugnen, daun mit räthselhaften Aeußerungen, daß seine Frau ihn fälschlich an¬
klage, aber wohl daran thue, bis er endlich mit der merkwürdigen Entdeckung her-


ich sie aus dem Saale gehe», und sie ging hinaus." Offenbar hat der Graf
dem Ermordeten den Kops festgehalten und den Mund aufgesperrt, während
die Gräfin ihrem Bruder das Gift eingegossen hat. Die Brandwunde am Halse
und ans den Kleidern der Leiche rühren jedenfalls davon her, daß Gustav sich
lebhaft bewegt, und daß dabei die Gräfin daneben gegossen hat. Die Gräfin
schien auch zuletzt die Unhaltbarkeit ihrer Vertheidigung einzusehen; sie verlor im¬
mer mehr ihre anscheinende Unbefangenheit, und war in der letzten Sitzung leb¬
haft erschüttert.

Wenn man die Charaktere der Angeklagten, wie sie uns aus den Verhand¬
lungen entgegentreten, betrachtet, so kommt man in der That in Verlegenheit,
welchem der beiden Gatten man den Preis sittlicher Verworfenheit zuerkennen
soll. Die widerstandslose Bereitwilligkeit, mit welcher die Gräfin auf die gegen
ihren Bruder geschmiedeten Nachcpläne eingeht, die stumpfsinnige Kälte, mit
welcher sie die Todesstunde desselben nahen sieht, die ruhige Umsicht, mit der
sie bei der That hilft, und später die Spuren derselben verdeckt, scheinen eher
einem Dämon, als einem Menschen anzugehören. Der Graf ist aus gemeineren
Stoff geknetet. Ein zähes Beharren bei dem einmal gefaßten Plane, eine gleich¬
mäßige Stimmung anch bei den drohendsten Aussichten für sein Schicksal zeigen
den Maun; der Grundzug seines Charakters aber ist der schamlose Egoismus,
mit dem er sein Laster zur Schan trägt. In seiner ganzen Nachbarschaft war
er unter dem Namen „der alte Bock" bekannt; auf seinem Schlosse lebte er, selbst
während seine Fran daselbst wohnte, in der ungebundensten Liederlichkeit mit der
weiblichen Dienerschaft. Natürlich kamen diese Verhältnisse bei der Verhandlung
zur Sprache — er hört die unsaubersten Details mit schamlosem Lachen an, und
als die Sprache aus ein achtzehnjähriges Mädchen kommt, das er in seinem
Schlafzimmer mit einem Benehmen zu verführen versucht hatte, dessen Einzelheiten
wir unsrer Feder nicht anvertrauen dürfen, entschuldigt er sich cynisch spottend
mit der Bemerkung: „Möglicher Weise habe er die Sittsamkeit des jungen Mäd¬
chens ans die Probe stellen wollen." Diese Kälte, mit der er der Verachtung
des Publicums trotzt, verläßt ihn auch nicht, wie sich die Beweise seiner Schuld
mit niederdrückender Schwere aus seinem Hanpte sammeln, und überall ist er mit
einer kaltblütigen Ausrede bereit. Sein Studium der giftigen Pflanzen erklärt er
damit, daß er den Plan gehabt, nach Amerika zu gehen, und dort darauf gerechnet
habe, das Geschäft seines Vaters, der mit den Indianern Gifthandel treibe, fort¬
zusetzen. Auch lasse sich die Qualität des Tabaks nach seinem Nicotingchalte
beurtheilen, weshalb die Experimente für ihn, der ein Tabaksgeschäst habe gründen
wollen, von besonderer Wichtigkeit gewesen seien.

Den halben Zugeständnissen seiner Frau begegnete er erst mit entschiedenem
Läugnen, daun mit räthselhaften Aeußerungen, daß seine Frau ihn fälschlich an¬
klage, aber wohl daran thue, bis er endlich mit der merkwürdigen Entdeckung her-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/402>, abgerufen am 15.05.2024.