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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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sowol die Presse, als die ständische Mitwirkung in Preußen an Terrain gewonnen, und
auf diesen Staat kommt es ganz allein an. Daß die Kammern der Deutschen Staaten
in vielen Beziehungen schlechter gestellt sind, als im Jahre 1847, ist zwar für
den Augenblick ein sehr großer, unverkennbarer Nachtheil, aber es ist in anderer
Beziehung ein Gewinn, denn es hat der Illusion des Particularismus, die, man
wolle es doch nicht läugnen, in den Völkern eben so spukte, wie in den Fürsten,
eine sehr bedeutende Stütze entzogen. Außerdem haben wir in den drei letzten
Jahren wenigstens ungefähr unsre Kräfte mustern können; wir wissen, was wir
können und was wir nicht können.

Die Nutzanwendung dieser Betrachtung auf die gegenwärtige" Verhältnisse
ist folgende. Wir müssen aufhören, uns in unserm Parteistreben fortwährend ans
die Vergangenheit zu beziehen; wir müssen die handgreiflichen Thatsachen an¬
erkennen und anstatt der vielen Rechtsboden, die aus den letzten Jahren übrig
sind, uns auf deu Boden der gegebenen Verhältnisse stellen; wir müssen vor allen
Dingen es vermeiden, uns eben so aus dem wirklichen Staatsleben drängen zu
lassen, wie die Demokraten herausgedrängt sind; wir müssen niemals in den
wohlfeilen Heroismus der Letztern verfallen, uns an Situationen, deren wir nicht
Herr sind, überhaupt nicht zu betheiligen. Möchten unsre Freunde in Preußen
das wohl bei der Frage der Provinziallandtage bedenken, und nicht wieder in
einer Frage von wesentlich praktischem Interesse die Nechtsseite hervorkehren, die doch
keinem Richterspruch unterliegt! Möchten das Unsre Freunde in Sachsen bei den
bevorstehenden Wahlen und überall sonst in Deutschland bei ähnlichen Gelegen¬
heiten bedenken! Mochten sie vor allen Dingen die Idee eines engen Zusammen¬
wirkens mit der Demokratie verbannen! Das Letztere wäre nichts Anderes, als
ein Aufgehen in die Demokratie. Der Hilfe derselben bedürfen wir nicht, um
in dem Raum des Staatslebens, den wir einnehmen, uns zu erhalten. Freilich
wird man uns als Gethaner, nirgends wählen, denn dieser Beiname ist jetzt blos
ein historischer, etwa wie der Name der Girondisten; da aber bei Weitem der
größte Theil unsrer Partei aus Männern besteht, die, abgesehen von der histo¬
rischen Parteigliederuug, durch ihre Persönlichkeiten das Vertrauen des Volkes
haben, und da außerdem die ungeheure Masse des Volkes einen liberalen Depu¬
taten einem Manu von der Kreuzzeitung vorziehen wird, so können wir darüber
außer Sorgen sein. Im Uebrigen aber dürfen wir nicht vergessen, daß wir in
diesem Augenblicke die Minorität sind, nicht die Minorität gegen die principielle
Reaction, sondern die Minorität gegen die ängstlichen Centrnmsmänner, die für
jetzt in jeder Neuerung die Gefahr einer Revolution erblicken und die unsre Be¬
strebungen zwar im Allgemeinen loben, aber ohne sie für den Angenblick für prak¬
tisch zu halten. Wir haben nun die Aufgabe, die Majorität wieder zu gewinnen,
und wir müssen uns ihr unterziehen, wenn sie auch eine sehr mühsame, undank¬
bare und sehr wenig ästhetische ist, wenn sie uns mich nicht jeden Augenblick ver-


sowol die Presse, als die ständische Mitwirkung in Preußen an Terrain gewonnen, und
auf diesen Staat kommt es ganz allein an. Daß die Kammern der Deutschen Staaten
in vielen Beziehungen schlechter gestellt sind, als im Jahre 1847, ist zwar für
den Augenblick ein sehr großer, unverkennbarer Nachtheil, aber es ist in anderer
Beziehung ein Gewinn, denn es hat der Illusion des Particularismus, die, man
wolle es doch nicht läugnen, in den Völkern eben so spukte, wie in den Fürsten,
eine sehr bedeutende Stütze entzogen. Außerdem haben wir in den drei letzten
Jahren wenigstens ungefähr unsre Kräfte mustern können; wir wissen, was wir
können und was wir nicht können.

Die Nutzanwendung dieser Betrachtung auf die gegenwärtige» Verhältnisse
ist folgende. Wir müssen aufhören, uns in unserm Parteistreben fortwährend ans
die Vergangenheit zu beziehen; wir müssen die handgreiflichen Thatsachen an¬
erkennen und anstatt der vielen Rechtsboden, die aus den letzten Jahren übrig
sind, uns auf deu Boden der gegebenen Verhältnisse stellen; wir müssen vor allen
Dingen es vermeiden, uns eben so aus dem wirklichen Staatsleben drängen zu
lassen, wie die Demokraten herausgedrängt sind; wir müssen niemals in den
wohlfeilen Heroismus der Letztern verfallen, uns an Situationen, deren wir nicht
Herr sind, überhaupt nicht zu betheiligen. Möchten unsre Freunde in Preußen
das wohl bei der Frage der Provinziallandtage bedenken, und nicht wieder in
einer Frage von wesentlich praktischem Interesse die Nechtsseite hervorkehren, die doch
keinem Richterspruch unterliegt! Möchten das Unsre Freunde in Sachsen bei den
bevorstehenden Wahlen und überall sonst in Deutschland bei ähnlichen Gelegen¬
heiten bedenken! Mochten sie vor allen Dingen die Idee eines engen Zusammen¬
wirkens mit der Demokratie verbannen! Das Letztere wäre nichts Anderes, als
ein Aufgehen in die Demokratie. Der Hilfe derselben bedürfen wir nicht, um
in dem Raum des Staatslebens, den wir einnehmen, uns zu erhalten. Freilich
wird man uns als Gethaner, nirgends wählen, denn dieser Beiname ist jetzt blos
ein historischer, etwa wie der Name der Girondisten; da aber bei Weitem der
größte Theil unsrer Partei aus Männern besteht, die, abgesehen von der histo¬
rischen Parteigliederuug, durch ihre Persönlichkeiten das Vertrauen des Volkes
haben, und da außerdem die ungeheure Masse des Volkes einen liberalen Depu¬
taten einem Manu von der Kreuzzeitung vorziehen wird, so können wir darüber
außer Sorgen sein. Im Uebrigen aber dürfen wir nicht vergessen, daß wir in
diesem Augenblicke die Minorität sind, nicht die Minorität gegen die principielle
Reaction, sondern die Minorität gegen die ängstlichen Centrnmsmänner, die für
jetzt in jeder Neuerung die Gefahr einer Revolution erblicken und die unsre Be¬
strebungen zwar im Allgemeinen loben, aber ohne sie für den Angenblick für prak¬
tisch zu halten. Wir haben nun die Aufgabe, die Majorität wieder zu gewinnen,
und wir müssen uns ihr unterziehen, wenn sie auch eine sehr mühsame, undank¬
bare und sehr wenig ästhetische ist, wenn sie uns mich nicht jeden Augenblick ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/442>, abgerufen am 14.05.2024.