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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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essende auffinden lassen, wird heute Niemand mehr bestreiten, während andere
Stücke, z. B. Iphigenie und Tasso, vollkommen frei von dieser Verirrung sind.

Der übertriebene Werth, den man damals ans Calderon legte, ist sowol
ein Symptom, als ein mitwirkender Grund dieser falschen Richtung. Calderon
hat eben so durch seine Form wie durch seinen Inhalt einen höchst nachtheiligen
Einfluß auf unsre Bühne gehabt. Durch seine Form, deun man lernte von
ihm, durch das wechselnde Versmaß und durch den Blüthenreichthum der Sprache
der jedesmaligen Stimmung einen sinnlichen Ausdruck geben, was an sich schon
dem eigentlichen Wesen des Rhythmus widerspricht, noch viel mehr aber dem
Genius der Deutschen Sprache. Wenn man die wunderbare Mischung von un¬
gereimten Jamben, Knittelversen, modernen lyrischen Rhythmen und antiken Maßen
im Faust noch immer gelten läßt, so ist das wol nur daraus zu erklären, daß man
sich dieses Gedicht trotz der vielfachen Aufsührnngsversuche doch immer nur als
ein für die Lecture geschriebenes Experiment vorstellt, und daß man sich durch
die Schönheit des Einzelnen über den Mangel an Harmonie im Ganzen täuschen
läßt. Eine solche Täuschung ist bei der Geschmacklosigkeit und dem Schwulst
Werner's und seiner Nachfolger nicht mehr möglich. -- Noch schlimmer hat Cal¬
deron durch seinen Inhalt gewirkt, welcher insofern seinem Mißbrauch des Form¬
wechsels entsprach, als sich Beides in sinnliche Eindrücke, oder, bestimmter gesagt,
in Operneffecte auslöst. Wenn man in seiner überweisen Unparteilichkeit so weit
kam, eiuen haarsträubenden Unsinn, wie die Andacht zum Kreuz, die Morgenröthe
von Copacavaua, die Sibylle des Orients und dergleichen, nicht blos in Be¬
ziehung auf das wirklich dabei aufgewandte poetische Talent, sondern auch als
Kunstwerk im Ganzen zu bewundern, so lag das nicht blos in jener romantischen
Sehnsucht nach irgend einer Religion, auf die man sich stützen wollte, welches auch
ihr Inhalt sein mochte, sondern namentlich in der Neigung, die Kunst sinnlich
auf sich einwirken zu lassen. Wenn Calderon seine geistig wirkenden Mächte voll¬
ständig außerhalb der menschlichen Seele verlegt, in den Himmel oder in die
Hölle, und den Menschen als ein gleichgiltiges Substrat dieser überirdischen
Mächte darstellt, so ist das uicht blos ein Ausfluß der Religion, der er angehörte,
-- denn seine häufig genug hervortretende Frivolität läßt uns schwer aus die
Idee der Bigotterie verfallen, -- sondern vorzugsweise der Ausdruck eiuer falschen
ästhetischen Theorie und Praxis, die freilich wieder mit dem Wesen des Katholi-
licismus zusammenhängt.

Die ersten Nachahmungen der Calderon'schen Manier von Schlegel, Schütz
und Andern waren weiter Nichts, als Schulexercitien in ungewöhnlichen Versen
und in ungewöhnlichen sitttlichen Vorstellungen. Sie machen daher eigentlich nur
den Eindruck der Langenweile; den sittlichen Sinn zu beleidigen, sind sie bei
ihrer Leerheit kaum geeignet. Bei Werner dagegen tritt durch das energische
Bestreben, jene ungewöhnlichen Formen und Vorstellungen in Beziehung zu dem


essende auffinden lassen, wird heute Niemand mehr bestreiten, während andere
Stücke, z. B. Iphigenie und Tasso, vollkommen frei von dieser Verirrung sind.

Der übertriebene Werth, den man damals ans Calderon legte, ist sowol
ein Symptom, als ein mitwirkender Grund dieser falschen Richtung. Calderon
hat eben so durch seine Form wie durch seinen Inhalt einen höchst nachtheiligen
Einfluß auf unsre Bühne gehabt. Durch seine Form, deun man lernte von
ihm, durch das wechselnde Versmaß und durch den Blüthenreichthum der Sprache
der jedesmaligen Stimmung einen sinnlichen Ausdruck geben, was an sich schon
dem eigentlichen Wesen des Rhythmus widerspricht, noch viel mehr aber dem
Genius der Deutschen Sprache. Wenn man die wunderbare Mischung von un¬
gereimten Jamben, Knittelversen, modernen lyrischen Rhythmen und antiken Maßen
im Faust noch immer gelten läßt, so ist das wol nur daraus zu erklären, daß man
sich dieses Gedicht trotz der vielfachen Aufsührnngsversuche doch immer nur als
ein für die Lecture geschriebenes Experiment vorstellt, und daß man sich durch
die Schönheit des Einzelnen über den Mangel an Harmonie im Ganzen täuschen
läßt. Eine solche Täuschung ist bei der Geschmacklosigkeit und dem Schwulst
Werner's und seiner Nachfolger nicht mehr möglich. — Noch schlimmer hat Cal¬
deron durch seinen Inhalt gewirkt, welcher insofern seinem Mißbrauch des Form¬
wechsels entsprach, als sich Beides in sinnliche Eindrücke, oder, bestimmter gesagt,
in Operneffecte auslöst. Wenn man in seiner überweisen Unparteilichkeit so weit
kam, eiuen haarsträubenden Unsinn, wie die Andacht zum Kreuz, die Morgenröthe
von Copacavaua, die Sibylle des Orients und dergleichen, nicht blos in Be¬
ziehung auf das wirklich dabei aufgewandte poetische Talent, sondern auch als
Kunstwerk im Ganzen zu bewundern, so lag das nicht blos in jener romantischen
Sehnsucht nach irgend einer Religion, auf die man sich stützen wollte, welches auch
ihr Inhalt sein mochte, sondern namentlich in der Neigung, die Kunst sinnlich
auf sich einwirken zu lassen. Wenn Calderon seine geistig wirkenden Mächte voll¬
ständig außerhalb der menschlichen Seele verlegt, in den Himmel oder in die
Hölle, und den Menschen als ein gleichgiltiges Substrat dieser überirdischen
Mächte darstellt, so ist das uicht blos ein Ausfluß der Religion, der er angehörte,
— denn seine häufig genug hervortretende Frivolität läßt uns schwer aus die
Idee der Bigotterie verfallen, — sondern vorzugsweise der Ausdruck eiuer falschen
ästhetischen Theorie und Praxis, die freilich wieder mit dem Wesen des Katholi-
licismus zusammenhängt.

Die ersten Nachahmungen der Calderon'schen Manier von Schlegel, Schütz
und Andern waren weiter Nichts, als Schulexercitien in ungewöhnlichen Versen
und in ungewöhnlichen sitttlichen Vorstellungen. Sie machen daher eigentlich nur
den Eindruck der Langenweile; den sittlichen Sinn zu beleidigen, sind sie bei
ihrer Leerheit kaum geeignet. Bei Werner dagegen tritt durch das energische
Bestreben, jene ungewöhnlichen Formen und Vorstellungen in Beziehung zu dem


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[0454] essende auffinden lassen, wird heute Niemand mehr bestreiten, während andere Stücke, z. B. Iphigenie und Tasso, vollkommen frei von dieser Verirrung sind. Der übertriebene Werth, den man damals ans Calderon legte, ist sowol ein Symptom, als ein mitwirkender Grund dieser falschen Richtung. Calderon hat eben so durch seine Form wie durch seinen Inhalt einen höchst nachtheiligen Einfluß auf unsre Bühne gehabt. Durch seine Form, deun man lernte von ihm, durch das wechselnde Versmaß und durch den Blüthenreichthum der Sprache der jedesmaligen Stimmung einen sinnlichen Ausdruck geben, was an sich schon dem eigentlichen Wesen des Rhythmus widerspricht, noch viel mehr aber dem Genius der Deutschen Sprache. Wenn man die wunderbare Mischung von un¬ gereimten Jamben, Knittelversen, modernen lyrischen Rhythmen und antiken Maßen im Faust noch immer gelten läßt, so ist das wol nur daraus zu erklären, daß man sich dieses Gedicht trotz der vielfachen Aufsührnngsversuche doch immer nur als ein für die Lecture geschriebenes Experiment vorstellt, und daß man sich durch die Schönheit des Einzelnen über den Mangel an Harmonie im Ganzen täuschen läßt. Eine solche Täuschung ist bei der Geschmacklosigkeit und dem Schwulst Werner's und seiner Nachfolger nicht mehr möglich. — Noch schlimmer hat Cal¬ deron durch seinen Inhalt gewirkt, welcher insofern seinem Mißbrauch des Form¬ wechsels entsprach, als sich Beides in sinnliche Eindrücke, oder, bestimmter gesagt, in Operneffecte auslöst. Wenn man in seiner überweisen Unparteilichkeit so weit kam, eiuen haarsträubenden Unsinn, wie die Andacht zum Kreuz, die Morgenröthe von Copacavaua, die Sibylle des Orients und dergleichen, nicht blos in Be¬ ziehung auf das wirklich dabei aufgewandte poetische Talent, sondern auch als Kunstwerk im Ganzen zu bewundern, so lag das nicht blos in jener romantischen Sehnsucht nach irgend einer Religion, auf die man sich stützen wollte, welches auch ihr Inhalt sein mochte, sondern namentlich in der Neigung, die Kunst sinnlich auf sich einwirken zu lassen. Wenn Calderon seine geistig wirkenden Mächte voll¬ ständig außerhalb der menschlichen Seele verlegt, in den Himmel oder in die Hölle, und den Menschen als ein gleichgiltiges Substrat dieser überirdischen Mächte darstellt, so ist das uicht blos ein Ausfluß der Religion, der er angehörte, — denn seine häufig genug hervortretende Frivolität läßt uns schwer aus die Idee der Bigotterie verfallen, — sondern vorzugsweise der Ausdruck eiuer falschen ästhetischen Theorie und Praxis, die freilich wieder mit dem Wesen des Katholi- licismus zusammenhängt. Die ersten Nachahmungen der Calderon'schen Manier von Schlegel, Schütz und Andern waren weiter Nichts, als Schulexercitien in ungewöhnlichen Versen und in ungewöhnlichen sitttlichen Vorstellungen. Sie machen daher eigentlich nur den Eindruck der Langenweile; den sittlichen Sinn zu beleidigen, sind sie bei ihrer Leerheit kaum geeignet. Bei Werner dagegen tritt durch das energische Bestreben, jene ungewöhnlichen Formen und Vorstellungen in Beziehung zu dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/454>, abgerufen am 15.05.2024.