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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Einmal die gehässige Form, in der auch diese neue rettende That aufgetreten
ist, wie alle frühern Thaten des Ministeriums Manteuffel. Wenn man den reac-
tionairen Weg im Ganzen übersieht, den dieses Ministerium seit dem Nov. 18i8
zurückgelegt hat, so würde man geneigt sein, ihm eine Art von Kühnheit und
Ausdauer in seinen Plänen beizulegen; in seinen einzelnen Schritten dagegen
zeigt sich eine Kleinlichkeit und daneben eine fliegende Hitze, die man kaum als
ein Symptom der Kraft auslegen dürfte. Daß die Negierung die Ergänzung
des organischen Gesetzes über die Provinzial- und Kreisvertretung während der
Dauer der Kammern absichtlich hinausgeschoben hat, daß es dieselben über seine
Absichten im Dunkeln ließ, um nach ihrer Auslosung die Sache gleichsam bei¬
läufig abzumachen, würde man vielleicht als das Zeichen einer raffinirten Macchia-
vellistischen Politik annehmen müssen, wenn es nicht zugleich die Proben einer
starken Unsicherheit und eines noch immer fortdauernden Schwankens in den An¬
sichten an sich trüge. Allerdings ist die Rückkehr zu den Provinzialständen von
der Kreuzzeitnngspartei ausgegangen, die sich jetzt nach dem "Bruch mit der
Revolution" des Ministeriums vollständig bemächtigt hat, weil dieses selbst keinen
Inhalt hat; allein wir dürfen nur in dem Organ der Partei die frühere Anregung
dieser Frage vergleichen, um das Schwanken des Ministeriums auch in ihr wie¬
derzufinden. Man möchte freilich gern zu den Provinzialständen zurückkehren, theils
aus doctrinairem Eigensinn, theils weil der Grundbesitz in ihnen vorzugs¬
weise repräsentirt war; allein man scheut sich wieder davor, weil auch dieses
ständische Institut, wie die Erfahrung gelehrt hat, vom Geist des Liberalismus
inficirt war. Ju der Motivirung, die der Minister seinem Rescript vor¬
ausschickt, sind ebenfalls zwei verschiedene Vorstellungen durch einander ge¬
mischt. Theils beruft er sich (so namentlich in dem rechtfertigenden Artikel der
Preußischen Zeitung vom 12. Juni) auf die formale Bestimmung, daß die zur
Ausführung der Kreis- und Proviuzialordmmg erforderlichen vorübergehenden
Bestimmungen von dem Minister des Innern getroffen werden sollen, und rechnet
dazu auch die Anordnung der >neu zu bildenden provisorischen Organe, die dazu
nöthig sind; theils aber beruft er sich auf das Recht der angeblich noch nicht auf¬
gehobenen Stände. Eine solche Vermischung der Gesichtspunkte muß ein gerechtes
Mißtrauen hervorrufen, namentlich wenn man die Commentare der herrschenden
Partei damit vergleicht.

Ein zweiter Umstand ist noch wichtiger. Die durch ein Ministerialrescript
neu geschaffenen, oder die nach der alten Verfassung restaurirten Versammlungen
sind nicht nur ein bedenkliches Symptom für zukünftige Entwürfe, sondern sie
sollen anch augenblicklich Functionen ausüben, die wesentlich in die innere Gesetzgebung
eingreifen, und zu welchen ihre Berechtigung wenigstens fraglich ist. Sie sollen
nämlich die Commissionen wählen, welche über, die Einführung und Vertheilung
der Klassen - und klasfificirten Einkommensteuer in den Bezirken und Provinzen


Einmal die gehässige Form, in der auch diese neue rettende That aufgetreten
ist, wie alle frühern Thaten des Ministeriums Manteuffel. Wenn man den reac-
tionairen Weg im Ganzen übersieht, den dieses Ministerium seit dem Nov. 18i8
zurückgelegt hat, so würde man geneigt sein, ihm eine Art von Kühnheit und
Ausdauer in seinen Plänen beizulegen; in seinen einzelnen Schritten dagegen
zeigt sich eine Kleinlichkeit und daneben eine fliegende Hitze, die man kaum als
ein Symptom der Kraft auslegen dürfte. Daß die Negierung die Ergänzung
des organischen Gesetzes über die Provinzial- und Kreisvertretung während der
Dauer der Kammern absichtlich hinausgeschoben hat, daß es dieselben über seine
Absichten im Dunkeln ließ, um nach ihrer Auslosung die Sache gleichsam bei¬
läufig abzumachen, würde man vielleicht als das Zeichen einer raffinirten Macchia-
vellistischen Politik annehmen müssen, wenn es nicht zugleich die Proben einer
starken Unsicherheit und eines noch immer fortdauernden Schwankens in den An¬
sichten an sich trüge. Allerdings ist die Rückkehr zu den Provinzialständen von
der Kreuzzeitnngspartei ausgegangen, die sich jetzt nach dem „Bruch mit der
Revolution" des Ministeriums vollständig bemächtigt hat, weil dieses selbst keinen
Inhalt hat; allein wir dürfen nur in dem Organ der Partei die frühere Anregung
dieser Frage vergleichen, um das Schwanken des Ministeriums auch in ihr wie¬
derzufinden. Man möchte freilich gern zu den Provinzialständen zurückkehren, theils
aus doctrinairem Eigensinn, theils weil der Grundbesitz in ihnen vorzugs¬
weise repräsentirt war; allein man scheut sich wieder davor, weil auch dieses
ständische Institut, wie die Erfahrung gelehrt hat, vom Geist des Liberalismus
inficirt war. Ju der Motivirung, die der Minister seinem Rescript vor¬
ausschickt, sind ebenfalls zwei verschiedene Vorstellungen durch einander ge¬
mischt. Theils beruft er sich (so namentlich in dem rechtfertigenden Artikel der
Preußischen Zeitung vom 12. Juni) auf die formale Bestimmung, daß die zur
Ausführung der Kreis- und Proviuzialordmmg erforderlichen vorübergehenden
Bestimmungen von dem Minister des Innern getroffen werden sollen, und rechnet
dazu auch die Anordnung der >neu zu bildenden provisorischen Organe, die dazu
nöthig sind; theils aber beruft er sich auf das Recht der angeblich noch nicht auf¬
gehobenen Stände. Eine solche Vermischung der Gesichtspunkte muß ein gerechtes
Mißtrauen hervorrufen, namentlich wenn man die Commentare der herrschenden
Partei damit vergleicht.

Ein zweiter Umstand ist noch wichtiger. Die durch ein Ministerialrescript
neu geschaffenen, oder die nach der alten Verfassung restaurirten Versammlungen
sind nicht nur ein bedenkliches Symptom für zukünftige Entwürfe, sondern sie
sollen anch augenblicklich Functionen ausüben, die wesentlich in die innere Gesetzgebung
eingreifen, und zu welchen ihre Berechtigung wenigstens fraglich ist. Sie sollen
nämlich die Commissionen wählen, welche über, die Einführung und Vertheilung
der Klassen - und klasfificirten Einkommensteuer in den Bezirken und Provinzen


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[0481] Einmal die gehässige Form, in der auch diese neue rettende That aufgetreten ist, wie alle frühern Thaten des Ministeriums Manteuffel. Wenn man den reac- tionairen Weg im Ganzen übersieht, den dieses Ministerium seit dem Nov. 18i8 zurückgelegt hat, so würde man geneigt sein, ihm eine Art von Kühnheit und Ausdauer in seinen Plänen beizulegen; in seinen einzelnen Schritten dagegen zeigt sich eine Kleinlichkeit und daneben eine fliegende Hitze, die man kaum als ein Symptom der Kraft auslegen dürfte. Daß die Negierung die Ergänzung des organischen Gesetzes über die Provinzial- und Kreisvertretung während der Dauer der Kammern absichtlich hinausgeschoben hat, daß es dieselben über seine Absichten im Dunkeln ließ, um nach ihrer Auslosung die Sache gleichsam bei¬ läufig abzumachen, würde man vielleicht als das Zeichen einer raffinirten Macchia- vellistischen Politik annehmen müssen, wenn es nicht zugleich die Proben einer starken Unsicherheit und eines noch immer fortdauernden Schwankens in den An¬ sichten an sich trüge. Allerdings ist die Rückkehr zu den Provinzialständen von der Kreuzzeitnngspartei ausgegangen, die sich jetzt nach dem „Bruch mit der Revolution" des Ministeriums vollständig bemächtigt hat, weil dieses selbst keinen Inhalt hat; allein wir dürfen nur in dem Organ der Partei die frühere Anregung dieser Frage vergleichen, um das Schwanken des Ministeriums auch in ihr wie¬ derzufinden. Man möchte freilich gern zu den Provinzialständen zurückkehren, theils aus doctrinairem Eigensinn, theils weil der Grundbesitz in ihnen vorzugs¬ weise repräsentirt war; allein man scheut sich wieder davor, weil auch dieses ständische Institut, wie die Erfahrung gelehrt hat, vom Geist des Liberalismus inficirt war. Ju der Motivirung, die der Minister seinem Rescript vor¬ ausschickt, sind ebenfalls zwei verschiedene Vorstellungen durch einander ge¬ mischt. Theils beruft er sich (so namentlich in dem rechtfertigenden Artikel der Preußischen Zeitung vom 12. Juni) auf die formale Bestimmung, daß die zur Ausführung der Kreis- und Proviuzialordmmg erforderlichen vorübergehenden Bestimmungen von dem Minister des Innern getroffen werden sollen, und rechnet dazu auch die Anordnung der >neu zu bildenden provisorischen Organe, die dazu nöthig sind; theils aber beruft er sich auf das Recht der angeblich noch nicht auf¬ gehobenen Stände. Eine solche Vermischung der Gesichtspunkte muß ein gerechtes Mißtrauen hervorrufen, namentlich wenn man die Commentare der herrschenden Partei damit vergleicht. Ein zweiter Umstand ist noch wichtiger. Die durch ein Ministerialrescript neu geschaffenen, oder die nach der alten Verfassung restaurirten Versammlungen sind nicht nur ein bedenkliches Symptom für zukünftige Entwürfe, sondern sie sollen anch augenblicklich Functionen ausüben, die wesentlich in die innere Gesetzgebung eingreifen, und zu welchen ihre Berechtigung wenigstens fraglich ist. Sie sollen nämlich die Commissionen wählen, welche über, die Einführung und Vertheilung der Klassen - und klasfificirten Einkommensteuer in den Bezirken und Provinzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/481>, abgerufen am 15.05.2024.