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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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muthen wagt. In Frankfurt wurde der Fränkische Graf freilich altfränkisch genannt.
Aber wie weit sind wir wieder zurückgeschleudert, da er hier als ultraliberal
gilt! -- Wir müssen jedoch noch weiter zurückgehen in der constitutionellen An¬
schauung, um einen andern Oppvsitionsmann -- d. h. Opposttionsmaun gegen
die Ultrareaction dieser Versammlung -- zu finden. Dort am obern Ende der
nur Lebenslänglichen erblickt man die Köpfe zweier Greise, Beide so gegensätzlich
wie möglich. Der kleinere mit dem beinahe kindlich glatten Frauengesicht und der
Brille ist Graf August Seinsheim, das Moll-Echo der Durmelodien seines Bruders,
aber immerhin Echo. Dagegen gehört das edel und scharf geschnittene Antlitz
seines Nachbars dem Nestor der Kammer, dem Grafen von Reigersberg. Er
hat viel erlebt und gesehen, und in allen Lebensverhältnissen den Ruf eines wol
starren, aber grundbraven und überzeugungstreuen Mannes hinterlassen. Er war
der letzte Präsident des Reichskammergerichts zu Wetzlar, hat die Baierische Ver-
fassungsurkunde 1818 gegengezeichnet, und später noch in Griechenland gewirkt.
Er ist vielleicht bei den Grundsätzen und Principien des Jahres 1818 stehen ge¬
blieben, höchstens bis zu deuen der dreißiger Jahre vorgedrungen. Dennoch gilt
er in dieser Versammlung wenigstens für einen Halbdemokraten -- weil er streng
constitutionell ist. Diese Richtung trat hier allerdings immer fast ausschließlich
in einer Specialität auf, in der ständischen Controle des Staatsschuldenweseus.
Aber auch in andern Fragen hat er neuerdings öfters Gelegenheit gehabt, sein
Princip zu verfechten. Meistens freilich fruchtlos. Denn hier gilt der Mehrheit
für überlebt und abgethan, was die moderne Welt eben so nennt, nur aus dem
entgegengesetzten Standpunkte: der streng juristische Drang nach Wahrheit des
constitutionellen Schulbegrisss, wie ihn die Restauration aufgestellt hatte, um
freilich -- die Verwirklichung zu untergraben. So bettelarm sind wir geworden,
daß wir jetzt nach Vvrfechtern selbst nur dieses Zustandes aufschauen müssen!

So eben antwortet hier unter den Erblichen Einer mit entschiedenstem "Nein"
auf die Frage des Präsidenten nach seiner Zustimmung zu dem Gesetze. Sein
Aussehen könnte glauben macheu, es sei ihm dessen polizeiliche Strenge zu groß.
Er bat Etwas von altliberalem Typus, halblanges blondes Haar, rothblonden
wirren Bart mit weißen Einmischungen, ein übellauniges, tiesgefurchtes Gesicht,
umgeschlagenen Hemdkragen über leicht gebundenem Halstuch, etwas, schlottrige
Kleidung und durchaus unaristokratische Bewegungen. Aber er stimmte nur gegen
das Gesetz, weil's ihm nicht genug maßregelt; er findet in dessen Milde eine
Bedrohung des Staats und namentlich der Kirche; er würde höchstens die ver¬
schärfenden Anträge des Vicepräsidenten unterstützt haben, wenn er nicht überhaupt
fände, daß es lächerlich, die Gewalt durch Gesetze irgendwie zu normiren. Das
ist der Hauptfaiseur "des constitutionell-monarchischen Vereins"; er hat Münchens
Armee S000 si. geschenkt, als die Lota vertrieben war; er ist sich immer gleich
geblieben, und Görres gilt ihm noch heut als der einzige Apostel historisch-potiti-


muthen wagt. In Frankfurt wurde der Fränkische Graf freilich altfränkisch genannt.
Aber wie weit sind wir wieder zurückgeschleudert, da er hier als ultraliberal
gilt! — Wir müssen jedoch noch weiter zurückgehen in der constitutionellen An¬
schauung, um einen andern Oppvsitionsmann — d. h. Opposttionsmaun gegen
die Ultrareaction dieser Versammlung — zu finden. Dort am obern Ende der
nur Lebenslänglichen erblickt man die Köpfe zweier Greise, Beide so gegensätzlich
wie möglich. Der kleinere mit dem beinahe kindlich glatten Frauengesicht und der
Brille ist Graf August Seinsheim, das Moll-Echo der Durmelodien seines Bruders,
aber immerhin Echo. Dagegen gehört das edel und scharf geschnittene Antlitz
seines Nachbars dem Nestor der Kammer, dem Grafen von Reigersberg. Er
hat viel erlebt und gesehen, und in allen Lebensverhältnissen den Ruf eines wol
starren, aber grundbraven und überzeugungstreuen Mannes hinterlassen. Er war
der letzte Präsident des Reichskammergerichts zu Wetzlar, hat die Baierische Ver-
fassungsurkunde 1818 gegengezeichnet, und später noch in Griechenland gewirkt.
Er ist vielleicht bei den Grundsätzen und Principien des Jahres 1818 stehen ge¬
blieben, höchstens bis zu deuen der dreißiger Jahre vorgedrungen. Dennoch gilt
er in dieser Versammlung wenigstens für einen Halbdemokraten — weil er streng
constitutionell ist. Diese Richtung trat hier allerdings immer fast ausschließlich
in einer Specialität auf, in der ständischen Controle des Staatsschuldenweseus.
Aber auch in andern Fragen hat er neuerdings öfters Gelegenheit gehabt, sein
Princip zu verfechten. Meistens freilich fruchtlos. Denn hier gilt der Mehrheit
für überlebt und abgethan, was die moderne Welt eben so nennt, nur aus dem
entgegengesetzten Standpunkte: der streng juristische Drang nach Wahrheit des
constitutionellen Schulbegrisss, wie ihn die Restauration aufgestellt hatte, um
freilich — die Verwirklichung zu untergraben. So bettelarm sind wir geworden,
daß wir jetzt nach Vvrfechtern selbst nur dieses Zustandes aufschauen müssen!

So eben antwortet hier unter den Erblichen Einer mit entschiedenstem „Nein"
auf die Frage des Präsidenten nach seiner Zustimmung zu dem Gesetze. Sein
Aussehen könnte glauben macheu, es sei ihm dessen polizeiliche Strenge zu groß.
Er bat Etwas von altliberalem Typus, halblanges blondes Haar, rothblonden
wirren Bart mit weißen Einmischungen, ein übellauniges, tiesgefurchtes Gesicht,
umgeschlagenen Hemdkragen über leicht gebundenem Halstuch, etwas, schlottrige
Kleidung und durchaus unaristokratische Bewegungen. Aber er stimmte nur gegen
das Gesetz, weil's ihm nicht genug maßregelt; er findet in dessen Milde eine
Bedrohung des Staats und namentlich der Kirche; er würde höchstens die ver¬
schärfenden Anträge des Vicepräsidenten unterstützt haben, wenn er nicht überhaupt
fände, daß es lächerlich, die Gewalt durch Gesetze irgendwie zu normiren. Das
ist der Hauptfaiseur „des constitutionell-monarchischen Vereins"; er hat Münchens
Armee S000 si. geschenkt, als die Lota vertrieben war; er ist sich immer gleich
geblieben, und Görres gilt ihm noch heut als der einzige Apostel historisch-potiti-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/498>, abgerufen am 15.05.2024.