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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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(-- überhaupt fangen mit diesem Stück die Parenthesen an eine große Rolle zu
spielen, ungefähr wie im Fiesco: ans einer Seite "zuckt Hildegunde dreimal krampf¬
haft zusammen, sucht gewaltsam ihre innere Marter zu verbergen, spricht qualvoll,
bricht in wüthende Freude aus, schielt furchtbar nach Attila, legt die Hand aufs
Herz, und spricht in schmachtenden Ton, aber gräßlich nach unten blickend zu ihm,
umschlingt ihn furchtbar" u. s. w.); später wird sie durch eine englische Erscheinung
zu Gemüthskrämpfen angeregt, dann aber doch wieder von den bösen Geistern
gefaßt, und bringt zuerst Attila's Sohn, dann ihn selber um, der es auch gut¬
willig geschehen läßt; sie fährt zur Hölle, aber weil sie noch immer ihren
Bräutigam liebt, wird ihr eine gewisse Linderung ihrer Qualen verheißen. --
Die unsittliche Nvmerwelt ist ziemlich gut, wenn auch mit etwas zu dick auf-
getragenen Farben geschildert. Der bedeutendste Charakter unter ihnen ist Aötius,
der früher mit Attila zusammen erzogen ein kräftiger und wohldenkender Jüngling
war, baun aber in dem bittern Gefühl der allgemeinen Verachtung, in welchem
ihm alle Meuscheu wie wandelnde Leichen vorkomme", alle Ideen seiner Jugend
von sich wirft, und blos den kalt berechnenden Ehrgeiz bestehen läßt. Er fordert
Attila auf, die Träume vou Menschenrecht und Tugend aufzugeben, und die Welt
mit ihm zu theilen, da die Menschen doch nnr Puppen seien. Da Attila der
Versuchung widersteht, giebt er ihm Gift ein, wird, als dies entdeckt wird, pardon-
nirt, und fällt in der Schlacht. -- Der heilige Gegensatz gegen Attila ist Papst
Leo, natürlich eine Fortsetzung der Söhne des Thals, des heiligen Adelbert und
der Weihe der Kraft. Er sympathisirt mit Attila, und tadelt ihn nur, daß er ein
so großes Werk übernommen hat, während er doch nur ein Mensch war. Er
spricht über die Liebe und ähnliche Gegenstände in eben so mystischen Sonetten
und Stanzen, als der heilige Adelbert, sinkt dann von der Anstrengung erschöpft
zusammen, und ist mit sich selbst unzufrieden, daß er das Mysterium entweiht hat,
hält dem Hof "mit verstärktem schmetternden Pathos" lebhafte Strafpredigten,
hebt sich während seines Gebets allmälig immer höher, so daß er zuletzt "bis
auf die Fußspitzen in einer fast schwebenden Stellung steht," erklärt dem Attila,
auf den er wie aus die Andern mit elektrischer Kraft wirkt, daß Rom darum uicht
fallen könne, weil es der Sitz der heiligen Kirche sei, und verkündigt ihm dann,
nachdem er ihn einer moralischen Prüfung unterzogen, die Vergebung seiner
Sünden; um diese vollständig zu machen, bringt er dem Sterbenden die Prinzessin
Honoria, die beständig von Attila geträumt, wie Attila vou ihr, als Todesbraut,
segnet sie ein und schließt mit einigen mystischen Sentenzen das Stück.

Das folgende Stück: Wanda, Königin der Sarmaten, hat Werner
selbst ein romantisches Trauerspiel genannt. Es ist von den bisherigen Stücken
das schlechteste. Der Inhalt ist folgender. Die Königin Wanda hat früher einen
Rügenfürsten Rüdiger geliebt, ohne ihn zu kennen; sie hält ihn für todt, und
schwört in feierlicher Versammlung ihrer Großen, nie einem Manne angehören


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(— überhaupt fangen mit diesem Stück die Parenthesen an eine große Rolle zu
spielen, ungefähr wie im Fiesco: ans einer Seite „zuckt Hildegunde dreimal krampf¬
haft zusammen, sucht gewaltsam ihre innere Marter zu verbergen, spricht qualvoll,
bricht in wüthende Freude aus, schielt furchtbar nach Attila, legt die Hand aufs
Herz, und spricht in schmachtenden Ton, aber gräßlich nach unten blickend zu ihm,
umschlingt ihn furchtbar" u. s. w.); später wird sie durch eine englische Erscheinung
zu Gemüthskrämpfen angeregt, dann aber doch wieder von den bösen Geistern
gefaßt, und bringt zuerst Attila's Sohn, dann ihn selber um, der es auch gut¬
willig geschehen läßt; sie fährt zur Hölle, aber weil sie noch immer ihren
Bräutigam liebt, wird ihr eine gewisse Linderung ihrer Qualen verheißen. —
Die unsittliche Nvmerwelt ist ziemlich gut, wenn auch mit etwas zu dick auf-
getragenen Farben geschildert. Der bedeutendste Charakter unter ihnen ist Aötius,
der früher mit Attila zusammen erzogen ein kräftiger und wohldenkender Jüngling
war, baun aber in dem bittern Gefühl der allgemeinen Verachtung, in welchem
ihm alle Meuscheu wie wandelnde Leichen vorkomme», alle Ideen seiner Jugend
von sich wirft, und blos den kalt berechnenden Ehrgeiz bestehen läßt. Er fordert
Attila auf, die Träume vou Menschenrecht und Tugend aufzugeben, und die Welt
mit ihm zu theilen, da die Menschen doch nnr Puppen seien. Da Attila der
Versuchung widersteht, giebt er ihm Gift ein, wird, als dies entdeckt wird, pardon-
nirt, und fällt in der Schlacht. — Der heilige Gegensatz gegen Attila ist Papst
Leo, natürlich eine Fortsetzung der Söhne des Thals, des heiligen Adelbert und
der Weihe der Kraft. Er sympathisirt mit Attila, und tadelt ihn nur, daß er ein
so großes Werk übernommen hat, während er doch nur ein Mensch war. Er
spricht über die Liebe und ähnliche Gegenstände in eben so mystischen Sonetten
und Stanzen, als der heilige Adelbert, sinkt dann von der Anstrengung erschöpft
zusammen, und ist mit sich selbst unzufrieden, daß er das Mysterium entweiht hat,
hält dem Hof „mit verstärktem schmetternden Pathos" lebhafte Strafpredigten,
hebt sich während seines Gebets allmälig immer höher, so daß er zuletzt „bis
auf die Fußspitzen in einer fast schwebenden Stellung steht," erklärt dem Attila,
auf den er wie aus die Andern mit elektrischer Kraft wirkt, daß Rom darum uicht
fallen könne, weil es der Sitz der heiligen Kirche sei, und verkündigt ihm dann,
nachdem er ihn einer moralischen Prüfung unterzogen, die Vergebung seiner
Sünden; um diese vollständig zu machen, bringt er dem Sterbenden die Prinzessin
Honoria, die beständig von Attila geträumt, wie Attila vou ihr, als Todesbraut,
segnet sie ein und schließt mit einigen mystischen Sentenzen das Stück.

Das folgende Stück: Wanda, Königin der Sarmaten, hat Werner
selbst ein romantisches Trauerspiel genannt. Es ist von den bisherigen Stücken
das schlechteste. Der Inhalt ist folgender. Die Königin Wanda hat früher einen
Rügenfürsten Rüdiger geliebt, ohne ihn zu kennen; sie hält ihn für todt, und
schwört in feierlicher Versammlung ihrer Großen, nie einem Manne angehören


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/511>, abgerufen am 04.06.2024.