Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

christlich zu nennen; auch ist dieses Stück nicht ganz frei von Schwulst und Senti¬
mentalität, die durch den Contrast gegen die übrige, in ihrer populairen Weise
aus Burleske streifende Sprache noch unangenehmer auffällt, aber im Ganzen
herrscht doch viel Realismus und Naturwahrheit, nud die düstere, sehr streng ge¬
haltene Färbung, die dem Gegenstand entspricht, ist nicht ohne Poesie. Der
"24. Februar" ist das einzige von Werner's Stücken, welches sich in der Literatur
erhalten wird. -- In dem Prolog, der erst 1814 geschrieben wurde, faßt er diese
Herrschaft des Schicksals und des alten Fluches als ein Symbol der Welt über¬
haupt, wenn uicht die christliche Gnade sie erleuchte. Er beschwört die Menschen
kniend, zu Jesu Wunden zu eilen, ehe es zu spät wäre, und aus diesem heid¬
nischen Liede vom alten Fluche zu lernen, die Nachtgewalten zu fliehen und ein
schuldloses Herz zu bewahren, "das auch dem Dichter einst beschieden war, doch er
verlor'S im wilden Lcbensreigen." -- So verwandelt sich die individuelle Krank-
heitsgeschichte in eine allgemeine Bußpredigt.

In demselben Prolog verspricht er dereinst der entführten Welt einen christ¬
lichen Dichter, einen Dichter der Gnade. Wahrscheinlich soll sein nächstes
Stück, "die heilige Kunigunde", bereits eine Probe dieser christlichen Dichtung
sein. Es ist eine traurige Probe. Der Inhalt ist folgender. Zwischen Kaiser
Heinrich II. und seinem Gegner, dem Markgrafen Harduin, entbrennt ein Krieg.
Die Kaiserin Kunigunde, angeregt durch das Beispiel der Judith, beschließt, ihn
zu endigen; sie begiebt sich heimlich in das Lager Harduius, aber nicht, um ihn
erst zu verführen und dann zu ermorde", sondern, wie es einer Heiligen
ziemt, um ihn durch die Gewalt göttlicher Ueberredungskraft vom Bösen abzu¬
lenken. Es gelingt ihr, Harduin entsagt seinen Ansprüchen, aber sie muß ihm
schwören, diese Unterredung Niemandem zu offenbaren. Da sie sich nun über
ihre heimliche Abwesenheit nicht ausweisen kann, und da sie noch in eine seltsame
Liebesekstase gegen einen jungen Ritter Namens Florestan ausbricht, so wird sie
vor ein Gottesgericht beschieden. Florestan tritt als ihr Ritter auf, besiegt den
Gegner, stirbt aber selbst im Kampfe. Jenes Liebesentzücken war ein mystisches;
der Kaiser und die Kaiserin leben keusch zusammen, wie Bruder und Schwester,
sie hat aber eine gewisse heimliche Sehnsucht nach Kindern. In einer ihrer eksta¬
tischen Unterredungen mit dem lieben Gott wird ihr offenbart, daß Florestan eigent¬
lich ein Sohn ihres Geistes sei, in der Wirklichkeit ist er ein Sohn Harduins, er
hat aber längst die Kaiserin in Träumen mit heiliger Brunst geliebt. Zuletzt
geht das Alles so bunt durch einander, daß man die geistigen und leiblichen Ge¬
schlechtsregister nicht mehr voneinander zu unterscheiden vermag; Kunigunde wird
Nonne, Harduin Trappist, und spricht Nichts weiter als Nsmenw mori; auch der
Kaiser bringt nur mit schwerem Herzen seiner Pflicht das Opfer, noch ferner der
Welt anzugehören. Die heilige Kunigunde schließt mit Prophezeiungen über
Maria Theresia und die Königin Louise und mit einigen Komplimenten auf das


christlich zu nennen; auch ist dieses Stück nicht ganz frei von Schwulst und Senti¬
mentalität, die durch den Contrast gegen die übrige, in ihrer populairen Weise
aus Burleske streifende Sprache noch unangenehmer auffällt, aber im Ganzen
herrscht doch viel Realismus und Naturwahrheit, nud die düstere, sehr streng ge¬
haltene Färbung, die dem Gegenstand entspricht, ist nicht ohne Poesie. Der
„24. Februar" ist das einzige von Werner's Stücken, welches sich in der Literatur
erhalten wird. — In dem Prolog, der erst 1814 geschrieben wurde, faßt er diese
Herrschaft des Schicksals und des alten Fluches als ein Symbol der Welt über¬
haupt, wenn uicht die christliche Gnade sie erleuchte. Er beschwört die Menschen
kniend, zu Jesu Wunden zu eilen, ehe es zu spät wäre, und aus diesem heid¬
nischen Liede vom alten Fluche zu lernen, die Nachtgewalten zu fliehen und ein
schuldloses Herz zu bewahren, „das auch dem Dichter einst beschieden war, doch er
verlor'S im wilden Lcbensreigen." — So verwandelt sich die individuelle Krank-
heitsgeschichte in eine allgemeine Bußpredigt.

In demselben Prolog verspricht er dereinst der entführten Welt einen christ¬
lichen Dichter, einen Dichter der Gnade. Wahrscheinlich soll sein nächstes
Stück, „die heilige Kunigunde", bereits eine Probe dieser christlichen Dichtung
sein. Es ist eine traurige Probe. Der Inhalt ist folgender. Zwischen Kaiser
Heinrich II. und seinem Gegner, dem Markgrafen Harduin, entbrennt ein Krieg.
Die Kaiserin Kunigunde, angeregt durch das Beispiel der Judith, beschließt, ihn
zu endigen; sie begiebt sich heimlich in das Lager Harduius, aber nicht, um ihn
erst zu verführen und dann zu ermorde», sondern, wie es einer Heiligen
ziemt, um ihn durch die Gewalt göttlicher Ueberredungskraft vom Bösen abzu¬
lenken. Es gelingt ihr, Harduin entsagt seinen Ansprüchen, aber sie muß ihm
schwören, diese Unterredung Niemandem zu offenbaren. Da sie sich nun über
ihre heimliche Abwesenheit nicht ausweisen kann, und da sie noch in eine seltsame
Liebesekstase gegen einen jungen Ritter Namens Florestan ausbricht, so wird sie
vor ein Gottesgericht beschieden. Florestan tritt als ihr Ritter auf, besiegt den
Gegner, stirbt aber selbst im Kampfe. Jenes Liebesentzücken war ein mystisches;
der Kaiser und die Kaiserin leben keusch zusammen, wie Bruder und Schwester,
sie hat aber eine gewisse heimliche Sehnsucht nach Kindern. In einer ihrer eksta¬
tischen Unterredungen mit dem lieben Gott wird ihr offenbart, daß Florestan eigent¬
lich ein Sohn ihres Geistes sei, in der Wirklichkeit ist er ein Sohn Harduins, er
hat aber längst die Kaiserin in Träumen mit heiliger Brunst geliebt. Zuletzt
geht das Alles so bunt durch einander, daß man die geistigen und leiblichen Ge¬
schlechtsregister nicht mehr voneinander zu unterscheiden vermag; Kunigunde wird
Nonne, Harduin Trappist, und spricht Nichts weiter als Nsmenw mori; auch der
Kaiser bringt nur mit schwerem Herzen seiner Pflicht das Opfer, noch ferner der
Welt anzugehören. Die heilige Kunigunde schließt mit Prophezeiungen über
Maria Theresia und die Königin Louise und mit einigen Komplimenten auf das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91706"/>
          <p xml:id="ID_1381" prev="#ID_1380"> christlich zu nennen; auch ist dieses Stück nicht ganz frei von Schwulst und Senti¬<lb/>
mentalität, die durch den Contrast gegen die übrige, in ihrer populairen Weise<lb/>
aus Burleske streifende Sprache noch unangenehmer auffällt, aber im Ganzen<lb/>
herrscht doch viel Realismus und Naturwahrheit, nud die düstere, sehr streng ge¬<lb/>
haltene Färbung, die dem Gegenstand entspricht, ist nicht ohne Poesie. Der<lb/>
&#x201E;24. Februar" ist das einzige von Werner's Stücken, welches sich in der Literatur<lb/>
erhalten wird. &#x2014; In dem Prolog, der erst 1814 geschrieben wurde, faßt er diese<lb/>
Herrschaft des Schicksals und des alten Fluches als ein Symbol der Welt über¬<lb/>
haupt, wenn uicht die christliche Gnade sie erleuchte. Er beschwört die Menschen<lb/>
kniend, zu Jesu Wunden zu eilen, ehe es zu spät wäre, und aus diesem heid¬<lb/>
nischen Liede vom alten Fluche zu lernen, die Nachtgewalten zu fliehen und ein<lb/>
schuldloses Herz zu bewahren, &#x201E;das auch dem Dichter einst beschieden war, doch er<lb/>
verlor'S im wilden Lcbensreigen." &#x2014; So verwandelt sich die individuelle Krank-<lb/>
heitsgeschichte in eine allgemeine Bußpredigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1382" next="#ID_1383"> In demselben Prolog verspricht er dereinst der entführten Welt einen christ¬<lb/>
lichen Dichter, einen Dichter der Gnade. Wahrscheinlich soll sein nächstes<lb/>
Stück, &#x201E;die heilige Kunigunde", bereits eine Probe dieser christlichen Dichtung<lb/>
sein. Es ist eine traurige Probe. Der Inhalt ist folgender. Zwischen Kaiser<lb/>
Heinrich II. und seinem Gegner, dem Markgrafen Harduin, entbrennt ein Krieg.<lb/>
Die Kaiserin Kunigunde, angeregt durch das Beispiel der Judith, beschließt, ihn<lb/>
zu endigen; sie begiebt sich heimlich in das Lager Harduius, aber nicht, um ihn<lb/>
erst zu verführen und dann zu ermorde», sondern, wie es einer Heiligen<lb/>
ziemt, um ihn durch die Gewalt göttlicher Ueberredungskraft vom Bösen abzu¬<lb/>
lenken. Es gelingt ihr, Harduin entsagt seinen Ansprüchen, aber sie muß ihm<lb/>
schwören, diese Unterredung Niemandem zu offenbaren. Da sie sich nun über<lb/>
ihre heimliche Abwesenheit nicht ausweisen kann, und da sie noch in eine seltsame<lb/>
Liebesekstase gegen einen jungen Ritter Namens Florestan ausbricht, so wird sie<lb/>
vor ein Gottesgericht beschieden. Florestan tritt als ihr Ritter auf, besiegt den<lb/>
Gegner, stirbt aber selbst im Kampfe. Jenes Liebesentzücken war ein mystisches;<lb/>
der Kaiser und die Kaiserin leben keusch zusammen, wie Bruder und Schwester,<lb/>
sie hat aber eine gewisse heimliche Sehnsucht nach Kindern. In einer ihrer eksta¬<lb/>
tischen Unterredungen mit dem lieben Gott wird ihr offenbart, daß Florestan eigent¬<lb/>
lich ein Sohn ihres Geistes sei, in der Wirklichkeit ist er ein Sohn Harduins, er<lb/>
hat aber längst die Kaiserin in Träumen mit heiliger Brunst geliebt. Zuletzt<lb/>
geht das Alles so bunt durch einander, daß man die geistigen und leiblichen Ge¬<lb/>
schlechtsregister nicht mehr voneinander zu unterscheiden vermag; Kunigunde wird<lb/>
Nonne, Harduin Trappist, und spricht Nichts weiter als Nsmenw mori; auch der<lb/>
Kaiser bringt nur mit schwerem Herzen seiner Pflicht das Opfer, noch ferner der<lb/>
Welt anzugehören. Die heilige Kunigunde schließt mit Prophezeiungen über<lb/>
Maria Theresia und die Königin Louise und mit einigen Komplimenten auf das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] christlich zu nennen; auch ist dieses Stück nicht ganz frei von Schwulst und Senti¬ mentalität, die durch den Contrast gegen die übrige, in ihrer populairen Weise aus Burleske streifende Sprache noch unangenehmer auffällt, aber im Ganzen herrscht doch viel Realismus und Naturwahrheit, nud die düstere, sehr streng ge¬ haltene Färbung, die dem Gegenstand entspricht, ist nicht ohne Poesie. Der „24. Februar" ist das einzige von Werner's Stücken, welches sich in der Literatur erhalten wird. — In dem Prolog, der erst 1814 geschrieben wurde, faßt er diese Herrschaft des Schicksals und des alten Fluches als ein Symbol der Welt über¬ haupt, wenn uicht die christliche Gnade sie erleuchte. Er beschwört die Menschen kniend, zu Jesu Wunden zu eilen, ehe es zu spät wäre, und aus diesem heid¬ nischen Liede vom alten Fluche zu lernen, die Nachtgewalten zu fliehen und ein schuldloses Herz zu bewahren, „das auch dem Dichter einst beschieden war, doch er verlor'S im wilden Lcbensreigen." — So verwandelt sich die individuelle Krank- heitsgeschichte in eine allgemeine Bußpredigt. In demselben Prolog verspricht er dereinst der entführten Welt einen christ¬ lichen Dichter, einen Dichter der Gnade. Wahrscheinlich soll sein nächstes Stück, „die heilige Kunigunde", bereits eine Probe dieser christlichen Dichtung sein. Es ist eine traurige Probe. Der Inhalt ist folgender. Zwischen Kaiser Heinrich II. und seinem Gegner, dem Markgrafen Harduin, entbrennt ein Krieg. Die Kaiserin Kunigunde, angeregt durch das Beispiel der Judith, beschließt, ihn zu endigen; sie begiebt sich heimlich in das Lager Harduius, aber nicht, um ihn erst zu verführen und dann zu ermorde», sondern, wie es einer Heiligen ziemt, um ihn durch die Gewalt göttlicher Ueberredungskraft vom Bösen abzu¬ lenken. Es gelingt ihr, Harduin entsagt seinen Ansprüchen, aber sie muß ihm schwören, diese Unterredung Niemandem zu offenbaren. Da sie sich nun über ihre heimliche Abwesenheit nicht ausweisen kann, und da sie noch in eine seltsame Liebesekstase gegen einen jungen Ritter Namens Florestan ausbricht, so wird sie vor ein Gottesgericht beschieden. Florestan tritt als ihr Ritter auf, besiegt den Gegner, stirbt aber selbst im Kampfe. Jenes Liebesentzücken war ein mystisches; der Kaiser und die Kaiserin leben keusch zusammen, wie Bruder und Schwester, sie hat aber eine gewisse heimliche Sehnsucht nach Kindern. In einer ihrer eksta¬ tischen Unterredungen mit dem lieben Gott wird ihr offenbart, daß Florestan eigent¬ lich ein Sohn ihres Geistes sei, in der Wirklichkeit ist er ein Sohn Harduins, er hat aber längst die Kaiserin in Träumen mit heiliger Brunst geliebt. Zuletzt geht das Alles so bunt durch einander, daß man die geistigen und leiblichen Ge¬ schlechtsregister nicht mehr voneinander zu unterscheiden vermag; Kunigunde wird Nonne, Harduin Trappist, und spricht Nichts weiter als Nsmenw mori; auch der Kaiser bringt nur mit schwerem Herzen seiner Pflicht das Opfer, noch ferner der Welt anzugehören. Die heilige Kunigunde schließt mit Prophezeiungen über Maria Theresia und die Königin Louise und mit einigen Komplimenten auf das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/513>, abgerufen am 29.05.2024.