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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ihm alle politischen Unarten zu verzeihen, weil er so ante Gedichte gemacht hatte,
und sich in so schönen Worten über seine Ansichten vernehmen ließ. Daß er
trotzdem noch immer eine Art von politischer Bedeutung behalten hat, ist charakteristisch
für die Franzose".

Wir haben daher unsre Aufmerksamkeit auch uicht auf die leitenden Artikel
zu richten, die er in seinem gegenwärtigen Organ, dein Bonapartistischen e-r^s,
schreibt. Uns interessirt hier nur die neue Ausgabe seiner Werke, die er mit
autobiographischen Commentaren versieht. Schon in seinen "LonKÄeliLks", im
,,KaMii<zi" lind in der "Keirevisviz" hatte er sein früheres Leben, so weit sich
dasselbe auf seine Dichtungen bezieht, mit einer minutiösen Genauigkeit beschrieben,
die auf das Kleinste wie auf das Größte das gleiche Gewicht legt, weil auch die
unbedeutendsten Züge eines so eminenten Geistes nach seiner Meinung für das
Publicum Interesse haben müssen. Er hat uns mit keiner der Attitüden verschont,
die er an irgend einem Wendepunkte seines Lebens eingenommen hatte; er hat
uns das sorgfältige Register aller der Bilder mitgetheilt, welche ihm sein Spiege^
von den verschiedenen Entwickelungsphasen seiner Schönheit gegeben hat. In
den Kommentaren z" der neuen Ausgabe seiner "NöclitiMons" und seiner
nemich", die so eben erschienen ist, hat er dieses kindische Wesen noch überboten.
Von jedem seiner Gedichte weiß er ein wunderbares Ereigniß zu berichten, ob
er's zu Pferde oder zu Wagen concipirt hat, ob das Wetter gut oder schlecht
war, wie viel Zeit er dazu gebraucht hat, und dergleichen. Die Hohlheit und
Geschwätzigkeit dieser Commentare hat in der ganzen Literatur nicht ihres Gleichen.
Zum Theil mögen ihn pecnniaire Gründe dabei bestimmen, die Hauptsache bleibt
aber doch immer jene grenzenlose Eitelkeit, die in der Welt nichts Anderes
sieht, als sich selbst. Wenn man von irgend einem Menschen sagen kann, daß
er nicht allein seinen Kopf, sondern seine sämmtlichen Gliedmaßen wie eine Mon¬
stranz trägt, so ist es Lamartine.

Der große Beifall, den jene beiden Werke zu ihrer Zeit gefunden haben, liegt
nur zum Theil in ihrem innern Werth; er beruht vorzugsweise auf ihrer Ueber¬
einstimmung mit der neuen Richtung der Zeit, in die sie fielen. Man war der
Nvltaire'schen Frivolität und der conventionellen Zierlichkeit nach dem Muster der
Antike satt, man wollte Natur und Empfindung. Lamartine schilderte die Welt
des Innern, die Rousseau und Bernardin de Se. Pierre in ihren prosaischen
Werken aufgeschlossen hatten, in dem schmeichlerischen Wohllaut seiner Verse. Er
lehrte die Franzosen mit Anstand sinnen und träumen, und verpflanzte die Ossi-
anischen Stimmungen in das moderne Gefühl. Seine Abneigung gegen jedes
ernsthafte Studium, der Reichthum seiner Einbildungskraft und die selbstgefällige
Unbefangenheit, mit der er sich seinen Stimmungen hingab, verliehen dieser Art
subjectiver Poesie einen eigenen Reiz, der aber nur für geringe Grenzen ausreichen
konnte. Hätte sich Lamartine mit derselben Gewissenhaftigkeit, wie unser Uhland,


ihm alle politischen Unarten zu verzeihen, weil er so ante Gedichte gemacht hatte,
und sich in so schönen Worten über seine Ansichten vernehmen ließ. Daß er
trotzdem noch immer eine Art von politischer Bedeutung behalten hat, ist charakteristisch
für die Franzose».

Wir haben daher unsre Aufmerksamkeit auch uicht auf die leitenden Artikel
zu richten, die er in seinem gegenwärtigen Organ, dein Bonapartistischen e-r^s,
schreibt. Uns interessirt hier nur die neue Ausgabe seiner Werke, die er mit
autobiographischen Commentaren versieht. Schon in seinen „LonKÄeliLks", im
,,KaMii<zi" lind in der „Keirevisviz" hatte er sein früheres Leben, so weit sich
dasselbe auf seine Dichtungen bezieht, mit einer minutiösen Genauigkeit beschrieben,
die auf das Kleinste wie auf das Größte das gleiche Gewicht legt, weil auch die
unbedeutendsten Züge eines so eminenten Geistes nach seiner Meinung für das
Publicum Interesse haben müssen. Er hat uns mit keiner der Attitüden verschont,
die er an irgend einem Wendepunkte seines Lebens eingenommen hatte; er hat
uns das sorgfältige Register aller der Bilder mitgetheilt, welche ihm sein Spiege^
von den verschiedenen Entwickelungsphasen seiner Schönheit gegeben hat. In
den Kommentaren z» der neuen Ausgabe seiner „NöclitiMons" und seiner
nemich", die so eben erschienen ist, hat er dieses kindische Wesen noch überboten.
Von jedem seiner Gedichte weiß er ein wunderbares Ereigniß zu berichten, ob
er's zu Pferde oder zu Wagen concipirt hat, ob das Wetter gut oder schlecht
war, wie viel Zeit er dazu gebraucht hat, und dergleichen. Die Hohlheit und
Geschwätzigkeit dieser Commentare hat in der ganzen Literatur nicht ihres Gleichen.
Zum Theil mögen ihn pecnniaire Gründe dabei bestimmen, die Hauptsache bleibt
aber doch immer jene grenzenlose Eitelkeit, die in der Welt nichts Anderes
sieht, als sich selbst. Wenn man von irgend einem Menschen sagen kann, daß
er nicht allein seinen Kopf, sondern seine sämmtlichen Gliedmaßen wie eine Mon¬
stranz trägt, so ist es Lamartine.

Der große Beifall, den jene beiden Werke zu ihrer Zeit gefunden haben, liegt
nur zum Theil in ihrem innern Werth; er beruht vorzugsweise auf ihrer Ueber¬
einstimmung mit der neuen Richtung der Zeit, in die sie fielen. Man war der
Nvltaire'schen Frivolität und der conventionellen Zierlichkeit nach dem Muster der
Antike satt, man wollte Natur und Empfindung. Lamartine schilderte die Welt
des Innern, die Rousseau und Bernardin de Se. Pierre in ihren prosaischen
Werken aufgeschlossen hatten, in dem schmeichlerischen Wohllaut seiner Verse. Er
lehrte die Franzosen mit Anstand sinnen und träumen, und verpflanzte die Ossi-
anischen Stimmungen in das moderne Gefühl. Seine Abneigung gegen jedes
ernsthafte Studium, der Reichthum seiner Einbildungskraft und die selbstgefällige
Unbefangenheit, mit der er sich seinen Stimmungen hingab, verliehen dieser Art
subjectiver Poesie einen eigenen Reiz, der aber nur für geringe Grenzen ausreichen
konnte. Hätte sich Lamartine mit derselben Gewissenhaftigkeit, wie unser Uhland,


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[0518] ihm alle politischen Unarten zu verzeihen, weil er so ante Gedichte gemacht hatte, und sich in so schönen Worten über seine Ansichten vernehmen ließ. Daß er trotzdem noch immer eine Art von politischer Bedeutung behalten hat, ist charakteristisch für die Franzose». Wir haben daher unsre Aufmerksamkeit auch uicht auf die leitenden Artikel zu richten, die er in seinem gegenwärtigen Organ, dein Bonapartistischen e-r^s, schreibt. Uns interessirt hier nur die neue Ausgabe seiner Werke, die er mit autobiographischen Commentaren versieht. Schon in seinen „LonKÄeliLks", im ,,KaMii<zi" lind in der „Keirevisviz" hatte er sein früheres Leben, so weit sich dasselbe auf seine Dichtungen bezieht, mit einer minutiösen Genauigkeit beschrieben, die auf das Kleinste wie auf das Größte das gleiche Gewicht legt, weil auch die unbedeutendsten Züge eines so eminenten Geistes nach seiner Meinung für das Publicum Interesse haben müssen. Er hat uns mit keiner der Attitüden verschont, die er an irgend einem Wendepunkte seines Lebens eingenommen hatte; er hat uns das sorgfältige Register aller der Bilder mitgetheilt, welche ihm sein Spiege^ von den verschiedenen Entwickelungsphasen seiner Schönheit gegeben hat. In den Kommentaren z» der neuen Ausgabe seiner „NöclitiMons" und seiner nemich", die so eben erschienen ist, hat er dieses kindische Wesen noch überboten. Von jedem seiner Gedichte weiß er ein wunderbares Ereigniß zu berichten, ob er's zu Pferde oder zu Wagen concipirt hat, ob das Wetter gut oder schlecht war, wie viel Zeit er dazu gebraucht hat, und dergleichen. Die Hohlheit und Geschwätzigkeit dieser Commentare hat in der ganzen Literatur nicht ihres Gleichen. Zum Theil mögen ihn pecnniaire Gründe dabei bestimmen, die Hauptsache bleibt aber doch immer jene grenzenlose Eitelkeit, die in der Welt nichts Anderes sieht, als sich selbst. Wenn man von irgend einem Menschen sagen kann, daß er nicht allein seinen Kopf, sondern seine sämmtlichen Gliedmaßen wie eine Mon¬ stranz trägt, so ist es Lamartine. Der große Beifall, den jene beiden Werke zu ihrer Zeit gefunden haben, liegt nur zum Theil in ihrem innern Werth; er beruht vorzugsweise auf ihrer Ueber¬ einstimmung mit der neuen Richtung der Zeit, in die sie fielen. Man war der Nvltaire'schen Frivolität und der conventionellen Zierlichkeit nach dem Muster der Antike satt, man wollte Natur und Empfindung. Lamartine schilderte die Welt des Innern, die Rousseau und Bernardin de Se. Pierre in ihren prosaischen Werken aufgeschlossen hatten, in dem schmeichlerischen Wohllaut seiner Verse. Er lehrte die Franzosen mit Anstand sinnen und träumen, und verpflanzte die Ossi- anischen Stimmungen in das moderne Gefühl. Seine Abneigung gegen jedes ernsthafte Studium, der Reichthum seiner Einbildungskraft und die selbstgefällige Unbefangenheit, mit der er sich seinen Stimmungen hingab, verliehen dieser Art subjectiver Poesie einen eigenen Reiz, der aber nur für geringe Grenzen ausreichen konnte. Hätte sich Lamartine mit derselben Gewissenhaftigkeit, wie unser Uhland,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/518>, abgerufen am 14.05.2024.