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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Werke, dem sie sich widmeten, herangebildet, und nun begann ein Stürmen und
Drängen in der Literatur. Bald überragt Adam Mickiewicz seine Genossen;
er wird der Stimmführer, um welchen sich eine für vaterländische Kunst und Wis¬
senschaft glühende Jugend schaart. Mit ihm, dem ersten Natioualdichter der Polen,
beginnt die romantisch-nationale Schule, Kräftig und kühn sind seine Lieder'
welche die Romantik mit den einheimischen patriotischen Elementen glücklich zu ver¬
weben wußten. Dieses gelang ihm vorzüglich in seinem "Dziady" (die Todten -
feier). Kühn und verzweifelt schlägt er in seiue Leier und singt gar merkwürdige
Gesänge. Leise begleiten die Jahrhunderte ihren Ton; ein jeder funkelt und
klingt zugleich, trifft Auge und Ohr, gleichwie man den in den Wolken brausenden
Sturm in seinem Pfeifen hört und sieht in dem nachwallenden dunkeln Gewände
der Wolken. Aus jedem Wort zuckt Vaterlandsliebe. -- Männlicher und ausge¬
bildeter ist sein "Konrad Walleurod". Auch hier prädominirt das eigenthümlich
Nationale. Ergreifend ist > die Schilderung des pesthauchenden Maurenfürsten
,,Alpuhara". Wir sehen in ihm den Dichter personificirt. Er entzündet alle
Gemüther mit seinen merkwürdigen Gesängen und beginnt dann Feuerbrände in
das feindliche Lager zu schlendern. Doch mit und durch Mickiewicz singt in Polen
die Romantik ihr Grablied. Die Julitage und die Geschichte des eigenen Landes
bleiben nicht ohne bedeutenden Einfluß aus einheimische Literatur und Kunst.
Der Dichter der "Dziady" und des "Konrad Wallenrod" singt nun die Schlacht¬
lieder seines befreiten Volkes. Am 30. October -1830 endigt er in Wilna die
letzte Strophe seiner berühmten 0ela av mwäogc:! (Ode an die Jugend), die als
mächtiger Zündstoff in die aufgeregten Gemüther gefahren ist. Lebendigstes Na¬
tionalgefühl, phantastische- Beweglichkeit des Geistes und männlicher Heldensinn
bilden nun den Charakter der Literatur. Unglücklich endete die Katastrophe von
1830, und Frankreich wurde das Eldorado, wohin sich das ganze geistige Leben
der Polen flüchtete. Mickiewicz schrieb auch da seiue letzte Dichtung, die, wie
wir hoffen, nicht die allerletzte sei" wird: seinen "?an laäeus/" (Herr Thaddäus),
der mit Recht als die kostbarste Perle der Slavischen Literatur bezeichnet wird.
Dieses Epos bildet zugleich den Scheidepunkt, wo die wilde Nevvlutionspoefle
immer mehr ihrem Ende zueilt und die eigentliche Dichtung in ihre von den Ge¬
setzen der Aesthetik vorgezeichneten Grenzen zurückgewiesen wird. Man kehrt allmälig
von den Dnnstgebilden zu dem Positiven und Realen zurück. Nachdem die Polen
Geschichte gemacht haben, fangen sie an, sich einem ernsten und gründlichen
Studium der Geschichte hinzugeben und anch die Historiographie, die sich vorerst
mit der Nationalgeschichte beschäftigt, beginnt sich zu entwickeln. Wir begegnen
auf diesem Gebiete zuvörderst einem Manne, der sich unsterbliche Verdienste um
die Regenerirung des geistigen Lebens der Polnischen Nation erworben hat:
wir meinen JoachimLelewel. Wir hatten Gelegenheit, diesen ausgezeichneten
Lehrer an der Wilnaer Hochschule kennen zu lernen. Schon dort war er ,ein


Werke, dem sie sich widmeten, herangebildet, und nun begann ein Stürmen und
Drängen in der Literatur. Bald überragt Adam Mickiewicz seine Genossen;
er wird der Stimmführer, um welchen sich eine für vaterländische Kunst und Wis¬
senschaft glühende Jugend schaart. Mit ihm, dem ersten Natioualdichter der Polen,
beginnt die romantisch-nationale Schule, Kräftig und kühn sind seine Lieder'
welche die Romantik mit den einheimischen patriotischen Elementen glücklich zu ver¬
weben wußten. Dieses gelang ihm vorzüglich in seinem „Dziady" (die Todten -
feier). Kühn und verzweifelt schlägt er in seiue Leier und singt gar merkwürdige
Gesänge. Leise begleiten die Jahrhunderte ihren Ton; ein jeder funkelt und
klingt zugleich, trifft Auge und Ohr, gleichwie man den in den Wolken brausenden
Sturm in seinem Pfeifen hört und sieht in dem nachwallenden dunkeln Gewände
der Wolken. Aus jedem Wort zuckt Vaterlandsliebe. — Männlicher und ausge¬
bildeter ist sein „Konrad Walleurod". Auch hier prädominirt das eigenthümlich
Nationale. Ergreifend ist > die Schilderung des pesthauchenden Maurenfürsten
,,Alpuhara". Wir sehen in ihm den Dichter personificirt. Er entzündet alle
Gemüther mit seinen merkwürdigen Gesängen und beginnt dann Feuerbrände in
das feindliche Lager zu schlendern. Doch mit und durch Mickiewicz singt in Polen
die Romantik ihr Grablied. Die Julitage und die Geschichte des eigenen Landes
bleiben nicht ohne bedeutenden Einfluß aus einheimische Literatur und Kunst.
Der Dichter der „Dziady" und des „Konrad Wallenrod" singt nun die Schlacht¬
lieder seines befreiten Volkes. Am 30. October -1830 endigt er in Wilna die
letzte Strophe seiner berühmten 0ela av mwäogc:! (Ode an die Jugend), die als
mächtiger Zündstoff in die aufgeregten Gemüther gefahren ist. Lebendigstes Na¬
tionalgefühl, phantastische- Beweglichkeit des Geistes und männlicher Heldensinn
bilden nun den Charakter der Literatur. Unglücklich endete die Katastrophe von
1830, und Frankreich wurde das Eldorado, wohin sich das ganze geistige Leben
der Polen flüchtete. Mickiewicz schrieb auch da seiue letzte Dichtung, die, wie
wir hoffen, nicht die allerletzte sei» wird: seinen „?an laäeus/" (Herr Thaddäus),
der mit Recht als die kostbarste Perle der Slavischen Literatur bezeichnet wird.
Dieses Epos bildet zugleich den Scheidepunkt, wo die wilde Nevvlutionspoefle
immer mehr ihrem Ende zueilt und die eigentliche Dichtung in ihre von den Ge¬
setzen der Aesthetik vorgezeichneten Grenzen zurückgewiesen wird. Man kehrt allmälig
von den Dnnstgebilden zu dem Positiven und Realen zurück. Nachdem die Polen
Geschichte gemacht haben, fangen sie an, sich einem ernsten und gründlichen
Studium der Geschichte hinzugeben und anch die Historiographie, die sich vorerst
mit der Nationalgeschichte beschäftigt, beginnt sich zu entwickeln. Wir begegnen
auf diesem Gebiete zuvörderst einem Manne, der sich unsterbliche Verdienste um
die Regenerirung des geistigen Lebens der Polnischen Nation erworben hat:
wir meinen JoachimLelewel. Wir hatten Gelegenheit, diesen ausgezeichneten
Lehrer an der Wilnaer Hochschule kennen zu lernen. Schon dort war er ,ein


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[0520] Werke, dem sie sich widmeten, herangebildet, und nun begann ein Stürmen und Drängen in der Literatur. Bald überragt Adam Mickiewicz seine Genossen; er wird der Stimmführer, um welchen sich eine für vaterländische Kunst und Wis¬ senschaft glühende Jugend schaart. Mit ihm, dem ersten Natioualdichter der Polen, beginnt die romantisch-nationale Schule, Kräftig und kühn sind seine Lieder' welche die Romantik mit den einheimischen patriotischen Elementen glücklich zu ver¬ weben wußten. Dieses gelang ihm vorzüglich in seinem „Dziady" (die Todten - feier). Kühn und verzweifelt schlägt er in seiue Leier und singt gar merkwürdige Gesänge. Leise begleiten die Jahrhunderte ihren Ton; ein jeder funkelt und klingt zugleich, trifft Auge und Ohr, gleichwie man den in den Wolken brausenden Sturm in seinem Pfeifen hört und sieht in dem nachwallenden dunkeln Gewände der Wolken. Aus jedem Wort zuckt Vaterlandsliebe. — Männlicher und ausge¬ bildeter ist sein „Konrad Walleurod". Auch hier prädominirt das eigenthümlich Nationale. Ergreifend ist > die Schilderung des pesthauchenden Maurenfürsten ,,Alpuhara". Wir sehen in ihm den Dichter personificirt. Er entzündet alle Gemüther mit seinen merkwürdigen Gesängen und beginnt dann Feuerbrände in das feindliche Lager zu schlendern. Doch mit und durch Mickiewicz singt in Polen die Romantik ihr Grablied. Die Julitage und die Geschichte des eigenen Landes bleiben nicht ohne bedeutenden Einfluß aus einheimische Literatur und Kunst. Der Dichter der „Dziady" und des „Konrad Wallenrod" singt nun die Schlacht¬ lieder seines befreiten Volkes. Am 30. October -1830 endigt er in Wilna die letzte Strophe seiner berühmten 0ela av mwäogc:! (Ode an die Jugend), die als mächtiger Zündstoff in die aufgeregten Gemüther gefahren ist. Lebendigstes Na¬ tionalgefühl, phantastische- Beweglichkeit des Geistes und männlicher Heldensinn bilden nun den Charakter der Literatur. Unglücklich endete die Katastrophe von 1830, und Frankreich wurde das Eldorado, wohin sich das ganze geistige Leben der Polen flüchtete. Mickiewicz schrieb auch da seiue letzte Dichtung, die, wie wir hoffen, nicht die allerletzte sei» wird: seinen „?an laäeus/" (Herr Thaddäus), der mit Recht als die kostbarste Perle der Slavischen Literatur bezeichnet wird. Dieses Epos bildet zugleich den Scheidepunkt, wo die wilde Nevvlutionspoefle immer mehr ihrem Ende zueilt und die eigentliche Dichtung in ihre von den Ge¬ setzen der Aesthetik vorgezeichneten Grenzen zurückgewiesen wird. Man kehrt allmälig von den Dnnstgebilden zu dem Positiven und Realen zurück. Nachdem die Polen Geschichte gemacht haben, fangen sie an, sich einem ernsten und gründlichen Studium der Geschichte hinzugeben und anch die Historiographie, die sich vorerst mit der Nationalgeschichte beschäftigt, beginnt sich zu entwickeln. Wir begegnen auf diesem Gebiete zuvörderst einem Manne, der sich unsterbliche Verdienste um die Regenerirung des geistigen Lebens der Polnischen Nation erworben hat: wir meinen JoachimLelewel. Wir hatten Gelegenheit, diesen ausgezeichneten Lehrer an der Wilnaer Hochschule kennen zu lernen. Schon dort war er ,ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/520>, abgerufen am 14.05.2024.