Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Helden und der Heldin. So nur würde der Zusammenhang der beiden Werke
zu erklären sein; den Hauptfactor des Trauerspiels, die glühende und aufopfernde
Liebe, hat der Componist nicht zu zeichnen verstanden. Die Ouvertüre beginnt
in v Dur mit einem kurzen Andante in dem Charakter der Mendelssohn'schen
Ouvertüre "Meeresstille und glückliche Fahrt"; das Allegro v Roll ist durchaus
in kurzen zweitaktigen Motiven gearbeitet, die sich zwar zu größern Perioden ge¬
stalten, aber doch niemals den Charakter der Zerrissenheit abzuwenden vermögen.
Das Mittelmotiv sucht einen Contrast anzubahnen, aber es gelingt nnr halb;
hier wäre es am Orte gewesen, die Schilderungen der heißen Liebe einzuweben.
-- Die Ouvertüre von Hentschel (v Dur) ist als das Werk eines talentvollen
Anfängers zu betrachten; es ist an ihm mehr die Schule, als der Inhalt zu lo¬
ben. Man darf günstige Erwartungen für die Zukunft von ihm hegen.

An größern Gesangswerken wurden mit Unterstützung der hiesigen Sing¬
akademie, deren Dirigent I. Rietz, und des Pauliner Männergesangvereins, an
dessen Spitze der verdiente Organist Langer, folgende Stücke aufgeführt: Ks-
quism und Dies iras von L. Cherubini; erster Theil aus dem Oratorium
Elias von Mendelssohn; Finale des ersten Aktes ans Zemire und Azor von
Spohr; Bachnschor ans Antigone von Mendelssohn; Cantate "Eine feste
Burg" von I. S. Bach; der 95. Psalm von Mendelssohn; Paradies und
Perl von Schumann; Antigone von Mendelssohn; erstes Finale aus der
nachgelassenen Oper "Loreley" von Mendelssohn; die neunte Sinfonie von
Beethoven.

Mendelssohn's Name ist hier am meisten vertreten, vielleicht allzusehr aus
Kosten anderer trefflicher Tonsetzer. Besonderes Interesse gewährte die Auffüh-
rung des ersten Finale aus der von Geibel gedichteten Oper Loreley, die sich
unvollendet in dem Nachlasse des Meisters vorgefunden hatte. -- Leonore, Pflege¬
kind eines Schiffers zu Bacharach, ist auserkoren, an der Spitze ihrer Gespielen
bei der Vermählung des Pfalzgrafen am Rhein das fürstliche Paar zu beglück¬
wünschen. Sie erkennt in dem Pfalzgrafen ihren eigenen Geliebten, der ihr frü¬
her immer nnr als Jäger gekleidet genaht war, und sieht sich von ihm betrogen.
Verzweifelt irrt sie in der Nacht am Ufer des Rheins umher, wo sie von Luft-
und Wassergeistern belauscht wird, welche ihr, um den Preis, sich ihnen für im¬
merdar zu weihen, Rache geloben. Dieser Moment bildet den Inhalt des Fi¬
nale. Es beginnt mit einem Wechselgesange der Luft- und Wassergeister vom
Rhein und Bodensee, der sich später zu einem allgemeinen Chöre erweitert. Durch
das Herannahen der Leonore werden sie in ihrem Reigen unterbrochen. Hier
hat der Componist es trefflich verstanden, die Solostimme und den Chor in effcct-
reiche Gegenwirkungen zu bringen. In ununterbrochener Steigerung drängt sich
Rede und Gegenrede bis zu dem Momente, in welchem die Geister als Preis
der Rache sie selbst verlangen.


Helden und der Heldin. So nur würde der Zusammenhang der beiden Werke
zu erklären sein; den Hauptfactor des Trauerspiels, die glühende und aufopfernde
Liebe, hat der Componist nicht zu zeichnen verstanden. Die Ouvertüre beginnt
in v Dur mit einem kurzen Andante in dem Charakter der Mendelssohn'schen
Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt"; das Allegro v Roll ist durchaus
in kurzen zweitaktigen Motiven gearbeitet, die sich zwar zu größern Perioden ge¬
stalten, aber doch niemals den Charakter der Zerrissenheit abzuwenden vermögen.
Das Mittelmotiv sucht einen Contrast anzubahnen, aber es gelingt nnr halb;
hier wäre es am Orte gewesen, die Schilderungen der heißen Liebe einzuweben.
— Die Ouvertüre von Hentschel (v Dur) ist als das Werk eines talentvollen
Anfängers zu betrachten; es ist an ihm mehr die Schule, als der Inhalt zu lo¬
ben. Man darf günstige Erwartungen für die Zukunft von ihm hegen.

An größern Gesangswerken wurden mit Unterstützung der hiesigen Sing¬
akademie, deren Dirigent I. Rietz, und des Pauliner Männergesangvereins, an
dessen Spitze der verdiente Organist Langer, folgende Stücke aufgeführt: Ks-
quism und Dies iras von L. Cherubini; erster Theil aus dem Oratorium
Elias von Mendelssohn; Finale des ersten Aktes ans Zemire und Azor von
Spohr; Bachnschor ans Antigone von Mendelssohn; Cantate „Eine feste
Burg" von I. S. Bach; der 95. Psalm von Mendelssohn; Paradies und
Perl von Schumann; Antigone von Mendelssohn; erstes Finale aus der
nachgelassenen Oper „Loreley" von Mendelssohn; die neunte Sinfonie von
Beethoven.

Mendelssohn's Name ist hier am meisten vertreten, vielleicht allzusehr aus
Kosten anderer trefflicher Tonsetzer. Besonderes Interesse gewährte die Auffüh-
rung des ersten Finale aus der von Geibel gedichteten Oper Loreley, die sich
unvollendet in dem Nachlasse des Meisters vorgefunden hatte. — Leonore, Pflege¬
kind eines Schiffers zu Bacharach, ist auserkoren, an der Spitze ihrer Gespielen
bei der Vermählung des Pfalzgrafen am Rhein das fürstliche Paar zu beglück¬
wünschen. Sie erkennt in dem Pfalzgrafen ihren eigenen Geliebten, der ihr frü¬
her immer nnr als Jäger gekleidet genaht war, und sieht sich von ihm betrogen.
Verzweifelt irrt sie in der Nacht am Ufer des Rheins umher, wo sie von Luft-
und Wassergeistern belauscht wird, welche ihr, um den Preis, sich ihnen für im¬
merdar zu weihen, Rache geloben. Dieser Moment bildet den Inhalt des Fi¬
nale. Es beginnt mit einem Wechselgesange der Luft- und Wassergeister vom
Rhein und Bodensee, der sich später zu einem allgemeinen Chöre erweitert. Durch
das Herannahen der Leonore werden sie in ihrem Reigen unterbrochen. Hier
hat der Componist es trefflich verstanden, die Solostimme und den Chor in effcct-
reiche Gegenwirkungen zu bringen. In ununterbrochener Steigerung drängt sich
Rede und Gegenrede bis zu dem Momente, in welchem die Geister als Preis
der Rache sie selbst verlangen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91264"/>
          <p xml:id="ID_176" prev="#ID_175"> Helden und der Heldin. So nur würde der Zusammenhang der beiden Werke<lb/>
zu erklären sein; den Hauptfactor des Trauerspiels, die glühende und aufopfernde<lb/>
Liebe, hat der Componist nicht zu zeichnen verstanden. Die Ouvertüre beginnt<lb/>
in v Dur mit einem kurzen Andante in dem Charakter der Mendelssohn'schen<lb/>
Ouvertüre &#x201E;Meeresstille und glückliche Fahrt"; das Allegro v Roll ist durchaus<lb/>
in kurzen zweitaktigen Motiven gearbeitet, die sich zwar zu größern Perioden ge¬<lb/>
stalten, aber doch niemals den Charakter der Zerrissenheit abzuwenden vermögen.<lb/>
Das Mittelmotiv sucht einen Contrast anzubahnen, aber es gelingt nnr halb;<lb/>
hier wäre es am Orte gewesen, die Schilderungen der heißen Liebe einzuweben.<lb/>
&#x2014; Die Ouvertüre von Hentschel (v Dur) ist als das Werk eines talentvollen<lb/>
Anfängers zu betrachten; es ist an ihm mehr die Schule, als der Inhalt zu lo¬<lb/>
ben.  Man darf günstige Erwartungen für die Zukunft von ihm hegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_177"> An größern Gesangswerken wurden mit Unterstützung der hiesigen Sing¬<lb/>
akademie, deren Dirigent I. Rietz, und des Pauliner Männergesangvereins, an<lb/>
dessen Spitze der verdiente Organist Langer, folgende Stücke aufgeführt: Ks-<lb/>
quism und Dies iras von L. Cherubini; erster Theil aus dem Oratorium<lb/>
Elias von Mendelssohn; Finale des ersten Aktes ans Zemire und Azor von<lb/>
Spohr; Bachnschor ans Antigone von Mendelssohn; Cantate &#x201E;Eine feste<lb/>
Burg" von I. S. Bach; der 95. Psalm von Mendelssohn; Paradies und<lb/>
Perl von Schumann; Antigone von Mendelssohn; erstes Finale aus der<lb/>
nachgelassenen Oper &#x201E;Loreley" von Mendelssohn; die neunte Sinfonie von<lb/>
Beethoven.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_178"> Mendelssohn's Name ist hier am meisten vertreten, vielleicht allzusehr aus<lb/>
Kosten anderer trefflicher Tonsetzer. Besonderes Interesse gewährte die Auffüh-<lb/>
rung des ersten Finale aus der von Geibel gedichteten Oper Loreley, die sich<lb/>
unvollendet in dem Nachlasse des Meisters vorgefunden hatte. &#x2014; Leonore, Pflege¬<lb/>
kind eines Schiffers zu Bacharach, ist auserkoren, an der Spitze ihrer Gespielen<lb/>
bei der Vermählung des Pfalzgrafen am Rhein das fürstliche Paar zu beglück¬<lb/>
wünschen. Sie erkennt in dem Pfalzgrafen ihren eigenen Geliebten, der ihr frü¬<lb/>
her immer nnr als Jäger gekleidet genaht war, und sieht sich von ihm betrogen.<lb/>
Verzweifelt irrt sie in der Nacht am Ufer des Rheins umher, wo sie von Luft-<lb/>
und Wassergeistern belauscht wird, welche ihr, um den Preis, sich ihnen für im¬<lb/>
merdar zu weihen, Rache geloben. Dieser Moment bildet den Inhalt des Fi¬<lb/>
nale. Es beginnt mit einem Wechselgesange der Luft- und Wassergeister vom<lb/>
Rhein und Bodensee, der sich später zu einem allgemeinen Chöre erweitert. Durch<lb/>
das Herannahen der Leonore werden sie in ihrem Reigen unterbrochen. Hier<lb/>
hat der Componist es trefflich verstanden, die Solostimme und den Chor in effcct-<lb/>
reiche Gegenwirkungen zu bringen. In ununterbrochener Steigerung drängt sich<lb/>
Rede und Gegenrede bis zu dem Momente, in welchem die Geister als Preis<lb/>
der Rache sie selbst verlangen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0071] Helden und der Heldin. So nur würde der Zusammenhang der beiden Werke zu erklären sein; den Hauptfactor des Trauerspiels, die glühende und aufopfernde Liebe, hat der Componist nicht zu zeichnen verstanden. Die Ouvertüre beginnt in v Dur mit einem kurzen Andante in dem Charakter der Mendelssohn'schen Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt"; das Allegro v Roll ist durchaus in kurzen zweitaktigen Motiven gearbeitet, die sich zwar zu größern Perioden ge¬ stalten, aber doch niemals den Charakter der Zerrissenheit abzuwenden vermögen. Das Mittelmotiv sucht einen Contrast anzubahnen, aber es gelingt nnr halb; hier wäre es am Orte gewesen, die Schilderungen der heißen Liebe einzuweben. — Die Ouvertüre von Hentschel (v Dur) ist als das Werk eines talentvollen Anfängers zu betrachten; es ist an ihm mehr die Schule, als der Inhalt zu lo¬ ben. Man darf günstige Erwartungen für die Zukunft von ihm hegen. An größern Gesangswerken wurden mit Unterstützung der hiesigen Sing¬ akademie, deren Dirigent I. Rietz, und des Pauliner Männergesangvereins, an dessen Spitze der verdiente Organist Langer, folgende Stücke aufgeführt: Ks- quism und Dies iras von L. Cherubini; erster Theil aus dem Oratorium Elias von Mendelssohn; Finale des ersten Aktes ans Zemire und Azor von Spohr; Bachnschor ans Antigone von Mendelssohn; Cantate „Eine feste Burg" von I. S. Bach; der 95. Psalm von Mendelssohn; Paradies und Perl von Schumann; Antigone von Mendelssohn; erstes Finale aus der nachgelassenen Oper „Loreley" von Mendelssohn; die neunte Sinfonie von Beethoven. Mendelssohn's Name ist hier am meisten vertreten, vielleicht allzusehr aus Kosten anderer trefflicher Tonsetzer. Besonderes Interesse gewährte die Auffüh- rung des ersten Finale aus der von Geibel gedichteten Oper Loreley, die sich unvollendet in dem Nachlasse des Meisters vorgefunden hatte. — Leonore, Pflege¬ kind eines Schiffers zu Bacharach, ist auserkoren, an der Spitze ihrer Gespielen bei der Vermählung des Pfalzgrafen am Rhein das fürstliche Paar zu beglück¬ wünschen. Sie erkennt in dem Pfalzgrafen ihren eigenen Geliebten, der ihr frü¬ her immer nnr als Jäger gekleidet genaht war, und sieht sich von ihm betrogen. Verzweifelt irrt sie in der Nacht am Ufer des Rheins umher, wo sie von Luft- und Wassergeistern belauscht wird, welche ihr, um den Preis, sich ihnen für im¬ merdar zu weihen, Rache geloben. Dieser Moment bildet den Inhalt des Fi¬ nale. Es beginnt mit einem Wechselgesange der Luft- und Wassergeister vom Rhein und Bodensee, der sich später zu einem allgemeinen Chöre erweitert. Durch das Herannahen der Leonore werden sie in ihrem Reigen unterbrochen. Hier hat der Componist es trefflich verstanden, die Solostimme und den Chor in effcct- reiche Gegenwirkungen zu bringen. In ununterbrochener Steigerung drängt sich Rede und Gegenrede bis zu dem Momente, in welchem die Geister als Preis der Rache sie selbst verlangen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/71
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/71>, abgerufen am 05.06.2024.