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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ist an das liebliche Bild der deutschen Dörfer, deren rothe Dächer, weiße Schorn¬
steine und blaue Thurmknppcln ans dem fetten dunkeln GrM der Obstbäume
hervorschauen, wie bunte Blumen aus den Blättern eines Kranzes, der erschrickt
vor einem polnischen Dorfe. Keine Bänme um das Dorf, unter zwanzig Dörfern
besitzt nur eins eine Kirche, aber anch diese gibt dem Dorfe kein besseres Ansehen,
denn sie ist nichts mehr als eine schwarzgraue große Breterbnde, vor deren Thür
sich aus ebener Erde ein niedriges offenes Balkengerüst befindet, in welchem die
Glocken hängen. Dagegen ragen überall riesige Kreuze in die Luft. Jedes Ende
des Dorfes, jeder Kreuzweg, selbst mancher Hof besitzt sein Krenz. Es starrt
gewöhnlich weit über die Hütte empor, besteht aber aus nichts weiter als zwei
Plumpen Balken, oft sogar aus zwei rohen Baumstämmen, welche durch gedrehete
Weidenruthen mit einander verbunden sind. Die Kreuzwuth der polnischen Bauern
ist sehr groß, Häusig pflanzen sie vor ihre Höfe eine junge Fichte, um die em¬
porgewachsene in ein Kreuz umzuwandeln. Die Krone wird abgeschlagen, die
Aeste desgleichen, ein Querholz oben daran gebunden und der fromme Schmuck
der polnischen Dörfer ist fertig. Ein schlechter Schmuck sind noch die hohen
Schwengel der Brunnen, die wie riesenhafte Wagcbalken hoch über dem First der
Hütten in die Luft schweben. Jeder Hof hat seinen Brunnen, der nicht mehr
als ein viereckiges Loch ist, dessen Erdwände durch Holzbohlcnstücke abgesteift sind.

Die Meuscheu in diesen tristen Dörfern passen zu Dorf, Feld, Wiese und
Wald. Es sind schlotternde, mißvergnügte Gestalten, die Männer in langen wolle¬
nen weißen Kitteln, ungeheuren Stiefeln, in denen die Füße mit dicken Stroh¬
wickeln umwunden stecken, ungeheuern Schafpclzmützcn und Beinkleidern von der
gröbsten Leinwand; die Frauen in einem weißen Nock und turbanartigen Kopf¬
tuch, am Oberkörper bloßes Hemd. Gewöhnlich tragen sie auch eine Schürze
vor dem Leibe und eine zweite auf dein Rücken, deren Bänder auf der Brust
über Kreuz laufen und auf dem Rücken zusammengebunden sind.

Die Männer gleichen entweder wandelnden Baumstümpfen oder anfrcchtgehen-
den Eisbären. Die dumme Miene der schnurrbärtigen Gesichter und die langen
steifen Haupthaare erhöhen das Ungemüthliche des Anblicks. Die Frauen sind
gewandter und lebendiger, der leichtere Sinn des Geschlechts hebt sie besser
über die drückenden Verhältnisse empor. Auch die Jugend hofft noch und will
gefallen. Die Tracht der Burschen ist kleidsamer. Sie tragen schwarze niedrige
Filzhüte, das leinene Hemd hängt kuttenartig über die Beinkleider und wird von
einem breiten rothwollencn Hüftgürtel zusammengehalten. Auch die Mädchen
verhüllen die Brust durch nichts weiter als das dünne Hemd, welches durchweg
den Schnitt eines deutschen Männerhemdes hat.

Aus allen Gesichtern aber spricht das Verhältniß der Knechtschaft; Trägheit,
Lebensunlust, Scheu und Angst zeigen sich schnell in Blick und Geberde. Wo
möglich, weicht der Bauer dem Edelmann und städtisch Gekleideten -- denn jeden


ist an das liebliche Bild der deutschen Dörfer, deren rothe Dächer, weiße Schorn¬
steine und blaue Thurmknppcln ans dem fetten dunkeln GrM der Obstbäume
hervorschauen, wie bunte Blumen aus den Blättern eines Kranzes, der erschrickt
vor einem polnischen Dorfe. Keine Bänme um das Dorf, unter zwanzig Dörfern
besitzt nur eins eine Kirche, aber anch diese gibt dem Dorfe kein besseres Ansehen,
denn sie ist nichts mehr als eine schwarzgraue große Breterbnde, vor deren Thür
sich aus ebener Erde ein niedriges offenes Balkengerüst befindet, in welchem die
Glocken hängen. Dagegen ragen überall riesige Kreuze in die Luft. Jedes Ende
des Dorfes, jeder Kreuzweg, selbst mancher Hof besitzt sein Krenz. Es starrt
gewöhnlich weit über die Hütte empor, besteht aber aus nichts weiter als zwei
Plumpen Balken, oft sogar aus zwei rohen Baumstämmen, welche durch gedrehete
Weidenruthen mit einander verbunden sind. Die Kreuzwuth der polnischen Bauern
ist sehr groß, Häusig pflanzen sie vor ihre Höfe eine junge Fichte, um die em¬
porgewachsene in ein Kreuz umzuwandeln. Die Krone wird abgeschlagen, die
Aeste desgleichen, ein Querholz oben daran gebunden und der fromme Schmuck
der polnischen Dörfer ist fertig. Ein schlechter Schmuck sind noch die hohen
Schwengel der Brunnen, die wie riesenhafte Wagcbalken hoch über dem First der
Hütten in die Luft schweben. Jeder Hof hat seinen Brunnen, der nicht mehr
als ein viereckiges Loch ist, dessen Erdwände durch Holzbohlcnstücke abgesteift sind.

Die Meuscheu in diesen tristen Dörfern passen zu Dorf, Feld, Wiese und
Wald. Es sind schlotternde, mißvergnügte Gestalten, die Männer in langen wolle¬
nen weißen Kitteln, ungeheuren Stiefeln, in denen die Füße mit dicken Stroh¬
wickeln umwunden stecken, ungeheuern Schafpclzmützcn und Beinkleidern von der
gröbsten Leinwand; die Frauen in einem weißen Nock und turbanartigen Kopf¬
tuch, am Oberkörper bloßes Hemd. Gewöhnlich tragen sie auch eine Schürze
vor dem Leibe und eine zweite auf dein Rücken, deren Bänder auf der Brust
über Kreuz laufen und auf dem Rücken zusammengebunden sind.

Die Männer gleichen entweder wandelnden Baumstümpfen oder anfrcchtgehen-
den Eisbären. Die dumme Miene der schnurrbärtigen Gesichter und die langen
steifen Haupthaare erhöhen das Ungemüthliche des Anblicks. Die Frauen sind
gewandter und lebendiger, der leichtere Sinn des Geschlechts hebt sie besser
über die drückenden Verhältnisse empor. Auch die Jugend hofft noch und will
gefallen. Die Tracht der Burschen ist kleidsamer. Sie tragen schwarze niedrige
Filzhüte, das leinene Hemd hängt kuttenartig über die Beinkleider und wird von
einem breiten rothwollencn Hüftgürtel zusammengehalten. Auch die Mädchen
verhüllen die Brust durch nichts weiter als das dünne Hemd, welches durchweg
den Schnitt eines deutschen Männerhemdes hat.

Aus allen Gesichtern aber spricht das Verhältniß der Knechtschaft; Trägheit,
Lebensunlust, Scheu und Angst zeigen sich schnell in Blick und Geberde. Wo
möglich, weicht der Bauer dem Edelmann und städtisch Gekleideten — denn jeden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/99>, abgerufen am 31.10.2024.