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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Gott um Matronen, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, classische Leiber
und eine kommende Religion!" -- --

ES ist der Geist des alten Hamlet, der in diesen frostigen, mit einer wahren
Leichenbittermiene vorgetragenen Späßen sein Wesen treibt. Wir Deutschen
haben für dies unheimliche Bild stets die wunderlichsten Sympathien gehegt.
Wir schwärmten unsere eigene stofflose Unendlichkeit an; wir wiegten uns mit
einer gewissen schadenfrohen Selbstzufriedenheit in diesem gemischten Gefühl der
Größe und Erbärmlichkeit. Hamlet gab uns die Phrasen, mit unserm eignen
Schatten zu coquettiren. Wir berauschten uus an dem Wahnsinn dieser glauben-
losen Welt, die von dem Geist nichts wissen will, und daher überall Gespenster
sieht. Wir waren hochmüthig in unserm Nichts, und bildeten uus etwas darauf
ein, in sophistischer Freiheit mit diesem Erdball und seinen Mächten spielen zu
können, deren Quelle wir nirgend anders sahen, als in unseren eignen Gedanken.
Es ist ein Spiel der Freiheit, mit dem unheimlichen Abgrund des eignen Innern
zu scherzen, und darum angenehm; aber auch bedenklich. Denn wie die Realität
sich in Visionen verliert, so bemächtigen sich die Visionen der Wirklichkeit. Wo
das Leben zu einem bloßen Schein herabsinkt, wird es ein Reich des Bösen.

Dies bringt much auf die schlimmste Seite von Büchner's Thätigkeit. --
Gutzkow hat ungefähr gleichzeitig in seinem Nero den Leonce geschildert, dem das
Schicksal einer Welt in die Hände gegeben ist. Von den zahllosen andern Faust-
Don Juan-Hamleten habe ich an einem andern Ort gesprochen. -- Aber Nero
hat schon durch seine Ferne eine phantastische Färbung; im Danton hat Büchner
denselben Charakter in sehr bestimmte, bewegte Verhältnisse gesetzt. Danton spricht
und benimmt sich gerade wie Leonce, aber es wird uns viel unheimlicher dabei,
denn wir fühlen Leben und Zusammenhang heraus.

Was dieses Drama im Allgemeinen betrifft, so widerstrebt es nach der damals
bei geistreichen Leuten als Katechismus anerkannten Tieck'scheu Marotte allen Ge¬
setzen der Kunst. Es enthält eine Menge episodischer Figuren und Handlungen,
die weder zum Verständniß des Ganzen etwas beitragen, noch an sich einen selbst-
ständigen Werth beanspruchen dürfen. Die einzelnen Scenen sind lose an einander
gefabelt, der Ausgang ist ein vollkommen leerer, ja verrückter. Ueberhaupt ist
Danton's Tod kein dramatischer Abschluß. Wir werdeu unten, an Griepenkerl's
Robespierre, die eigentlich dramatische Katastrophe der Revolution nachzuweisen
suchen. -- In der Schilderung der Zeit, die eigentlich bei einem solchen Sujet
das Schwerste ist, weil das unbetheiligte Publicum die wahnsinnigen Tiraden
und die abnorme Handlungsweise, die nur aus einem, bereits Jahre fortdauernden
Fieber zu begreifen ist, ohne weitere Vorbereitung als Ordnung des Tages aner¬
kennen soll, hat es sich Büchner leicht gemacht, ungefähr wie Göthe im Götz;
er excerpirt die Quellen, aber bei dem unendlich viel schwierigeren Material mit
weniger Geschick. Mit Ausnahme von Danton sind alle Figuren Mosaikarbeit.


Gott um Matronen, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, classische Leiber
und eine kommende Religion!" — —

ES ist der Geist des alten Hamlet, der in diesen frostigen, mit einer wahren
Leichenbittermiene vorgetragenen Späßen sein Wesen treibt. Wir Deutschen
haben für dies unheimliche Bild stets die wunderlichsten Sympathien gehegt.
Wir schwärmten unsere eigene stofflose Unendlichkeit an; wir wiegten uns mit
einer gewissen schadenfrohen Selbstzufriedenheit in diesem gemischten Gefühl der
Größe und Erbärmlichkeit. Hamlet gab uns die Phrasen, mit unserm eignen
Schatten zu coquettiren. Wir berauschten uus an dem Wahnsinn dieser glauben-
losen Welt, die von dem Geist nichts wissen will, und daher überall Gespenster
sieht. Wir waren hochmüthig in unserm Nichts, und bildeten uus etwas darauf
ein, in sophistischer Freiheit mit diesem Erdball und seinen Mächten spielen zu
können, deren Quelle wir nirgend anders sahen, als in unseren eignen Gedanken.
Es ist ein Spiel der Freiheit, mit dem unheimlichen Abgrund des eignen Innern
zu scherzen, und darum angenehm; aber auch bedenklich. Denn wie die Realität
sich in Visionen verliert, so bemächtigen sich die Visionen der Wirklichkeit. Wo
das Leben zu einem bloßen Schein herabsinkt, wird es ein Reich des Bösen.

Dies bringt much auf die schlimmste Seite von Büchner's Thätigkeit. —
Gutzkow hat ungefähr gleichzeitig in seinem Nero den Leonce geschildert, dem das
Schicksal einer Welt in die Hände gegeben ist. Von den zahllosen andern Faust-
Don Juan-Hamleten habe ich an einem andern Ort gesprochen. — Aber Nero
hat schon durch seine Ferne eine phantastische Färbung; im Danton hat Büchner
denselben Charakter in sehr bestimmte, bewegte Verhältnisse gesetzt. Danton spricht
und benimmt sich gerade wie Leonce, aber es wird uns viel unheimlicher dabei,
denn wir fühlen Leben und Zusammenhang heraus.

Was dieses Drama im Allgemeinen betrifft, so widerstrebt es nach der damals
bei geistreichen Leuten als Katechismus anerkannten Tieck'scheu Marotte allen Ge¬
setzen der Kunst. Es enthält eine Menge episodischer Figuren und Handlungen,
die weder zum Verständniß des Ganzen etwas beitragen, noch an sich einen selbst-
ständigen Werth beanspruchen dürfen. Die einzelnen Scenen sind lose an einander
gefabelt, der Ausgang ist ein vollkommen leerer, ja verrückter. Ueberhaupt ist
Danton's Tod kein dramatischer Abschluß. Wir werdeu unten, an Griepenkerl's
Robespierre, die eigentlich dramatische Katastrophe der Revolution nachzuweisen
suchen. — In der Schilderung der Zeit, die eigentlich bei einem solchen Sujet
das Schwerste ist, weil das unbetheiligte Publicum die wahnsinnigen Tiraden
und die abnorme Handlungsweise, die nur aus einem, bereits Jahre fortdauernden
Fieber zu begreifen ist, ohne weitere Vorbereitung als Ordnung des Tages aner¬
kennen soll, hat es sich Büchner leicht gemacht, ungefähr wie Göthe im Götz;
er excerpirt die Quellen, aber bei dem unendlich viel schwierigeren Material mit
weniger Geschick. Mit Ausnahme von Danton sind alle Figuren Mosaikarbeit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/137>, abgerufen am 16.06.2024.