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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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bekleidet und malerisch mit Häusern besetzt; Kirchthürme stehen wie große
Landbaken ans den Vorsprüngen der Felsen, und unter spiegeln sich die
Dörfer in dem Wasser, ihre weißen und röthlichen Farben im lustigen Con¬
trast gegen den dunkeln Hintergrund. Der Dämpfer wirbelt bald auf weiter
Seefläche zwischen grünenden Ufern, bald in Kanälen zwischen steilen Felsen, die
so jäh abfallen in die Tiefe der See, daß kaum Raum zu sein scheint für die
Häuser am Ufer. Zwei Meilen hinter Castel Nuovo tritt mau aus deu
Windungen an der Spitze des ersten Wasscrdreiecks durch eine schmale
Straße, die nnr 1500 Fuß breit ist, an den Punct der Bai, wo die Buchten
von Nisano und Cattaro zusammenstoßen; diese Straße, Le Catene, ließ einst
der Ungarkönig Ludwig im 14. Jahrhundert mit riesigen Ketten gegen die Vene-
tianer versperren, daher der Name. Hier wird die Landschaft wild, düster, un¬
heimlich. Dicht vor uus erhebt sich ein Felsenberg, an seinem Fuß die Stadt
Terafso mit ihrem hohen Kirchthurm, und über ihr eine alte Beste, die einst
Zufluchtsort gegen die Türken war; vor Terasso liegen noch zwei kleine fröhliche
Eilande, das eine La Madonna mit einer alten hochverehrten Kirche und heili¬
gem Muttergottesbilde, aber über diesem Theil der Küste starrt das Gebirge
massenhaft, drohend, zum Theil baumlos, und diese zerrissenen, colossalen Mas¬
se" rücken dem Wasser näher nud näher, am schroffsten der Berg von Cattaro,
über welchen die Spitze des Loveeu noch majestätisch hinausragt. Hier scheint
die Natur selbst Schanzen aufgeworfen zu haben gegen das Meer und gegen das
Festland; denn unzugänglich ragen die Höhen, das Grün der Bäume verliert sich
in den grauen alten Steinhaufen, nnr hier und da erkennt das Auge eiuen
kleinen Schlaugeupfad, der nach aufwärts führt. Die Sonne ist gesunken, nnr die
Spitzen der Felsen färbt sie noch mit einem warmen Braun, und ein düsteres
Dämmer verhüllt die kleine Stadt Cattaro, Mauerthürme und Schloß ragen
gespenstig aus dem Abendnebel.

Es ist etwas Unheimliches im Aussehen der Stadt, und der Aukommeude
muß an die alten Geschichten der Gegeud denken, an die Ueberfälle grausamer
Feinde, die Mordthaten, den Seeraub, welche einst an dieser Küste so gewöhnlich
waren. Und wohl hat Cattaro Grund, sich noch heut zu verschauzeu, und nicht
umsonst umgibt die Nordseite der Stadt außer der Mauer ein starker Wall und
ein tiefer Graben; denn auf der Höhe hinter Cattaro beginnt das Reich des
Vladika, und der Montenegriner ist der nahe und gefürchtete Nachbar dieses
Eudpuuctes abendländischer Cultur.

In der Morgensonne, welche durch den hohen Bergrücken abgehalten, erst
spät ihre Strahlen über die Dächer der Stadt sendet, erweist sich Cattaro als
eine kleine Stadt von wenig mehr als 3000 Menschen bewohnt, mit engen und
winkeligen Straßen, denen mau ansieht, daß die Venetianer sie gebaut haben,
die es verstanden, jeden Fußbreit Landes am Meeresstrand zu benutzen. Die ein-


Grenzvoten. I. 1851. 18

bekleidet und malerisch mit Häusern besetzt; Kirchthürme stehen wie große
Landbaken ans den Vorsprüngen der Felsen, und unter spiegeln sich die
Dörfer in dem Wasser, ihre weißen und röthlichen Farben im lustigen Con¬
trast gegen den dunkeln Hintergrund. Der Dämpfer wirbelt bald auf weiter
Seefläche zwischen grünenden Ufern, bald in Kanälen zwischen steilen Felsen, die
so jäh abfallen in die Tiefe der See, daß kaum Raum zu sein scheint für die
Häuser am Ufer. Zwei Meilen hinter Castel Nuovo tritt mau aus deu
Windungen an der Spitze des ersten Wasscrdreiecks durch eine schmale
Straße, die nnr 1500 Fuß breit ist, an den Punct der Bai, wo die Buchten
von Nisano und Cattaro zusammenstoßen; diese Straße, Le Catene, ließ einst
der Ungarkönig Ludwig im 14. Jahrhundert mit riesigen Ketten gegen die Vene-
tianer versperren, daher der Name. Hier wird die Landschaft wild, düster, un¬
heimlich. Dicht vor uus erhebt sich ein Felsenberg, an seinem Fuß die Stadt
Terafso mit ihrem hohen Kirchthurm, und über ihr eine alte Beste, die einst
Zufluchtsort gegen die Türken war; vor Terasso liegen noch zwei kleine fröhliche
Eilande, das eine La Madonna mit einer alten hochverehrten Kirche und heili¬
gem Muttergottesbilde, aber über diesem Theil der Küste starrt das Gebirge
massenhaft, drohend, zum Theil baumlos, und diese zerrissenen, colossalen Mas¬
se» rücken dem Wasser näher nud näher, am schroffsten der Berg von Cattaro,
über welchen die Spitze des Loveeu noch majestätisch hinausragt. Hier scheint
die Natur selbst Schanzen aufgeworfen zu haben gegen das Meer und gegen das
Festland; denn unzugänglich ragen die Höhen, das Grün der Bäume verliert sich
in den grauen alten Steinhaufen, nnr hier und da erkennt das Auge eiuen
kleinen Schlaugeupfad, der nach aufwärts führt. Die Sonne ist gesunken, nnr die
Spitzen der Felsen färbt sie noch mit einem warmen Braun, und ein düsteres
Dämmer verhüllt die kleine Stadt Cattaro, Mauerthürme und Schloß ragen
gespenstig aus dem Abendnebel.

Es ist etwas Unheimliches im Aussehen der Stadt, und der Aukommeude
muß an die alten Geschichten der Gegeud denken, an die Ueberfälle grausamer
Feinde, die Mordthaten, den Seeraub, welche einst an dieser Küste so gewöhnlich
waren. Und wohl hat Cattaro Grund, sich noch heut zu verschauzeu, und nicht
umsonst umgibt die Nordseite der Stadt außer der Mauer ein starker Wall und
ein tiefer Graben; denn auf der Höhe hinter Cattaro beginnt das Reich des
Vladika, und der Montenegriner ist der nahe und gefürchtete Nachbar dieses
Eudpuuctes abendländischer Cultur.

In der Morgensonne, welche durch den hohen Bergrücken abgehalten, erst
spät ihre Strahlen über die Dächer der Stadt sendet, erweist sich Cattaro als
eine kleine Stadt von wenig mehr als 3000 Menschen bewohnt, mit engen und
winkeligen Straßen, denen mau ansieht, daß die Venetianer sie gebaut haben,
die es verstanden, jeden Fußbreit Landes am Meeresstrand zu benutzen. Die ein-


Grenzvoten. I. 1851. 18
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[0148] bekleidet und malerisch mit Häusern besetzt; Kirchthürme stehen wie große Landbaken ans den Vorsprüngen der Felsen, und unter spiegeln sich die Dörfer in dem Wasser, ihre weißen und röthlichen Farben im lustigen Con¬ trast gegen den dunkeln Hintergrund. Der Dämpfer wirbelt bald auf weiter Seefläche zwischen grünenden Ufern, bald in Kanälen zwischen steilen Felsen, die so jäh abfallen in die Tiefe der See, daß kaum Raum zu sein scheint für die Häuser am Ufer. Zwei Meilen hinter Castel Nuovo tritt mau aus deu Windungen an der Spitze des ersten Wasscrdreiecks durch eine schmale Straße, die nnr 1500 Fuß breit ist, an den Punct der Bai, wo die Buchten von Nisano und Cattaro zusammenstoßen; diese Straße, Le Catene, ließ einst der Ungarkönig Ludwig im 14. Jahrhundert mit riesigen Ketten gegen die Vene- tianer versperren, daher der Name. Hier wird die Landschaft wild, düster, un¬ heimlich. Dicht vor uus erhebt sich ein Felsenberg, an seinem Fuß die Stadt Terafso mit ihrem hohen Kirchthurm, und über ihr eine alte Beste, die einst Zufluchtsort gegen die Türken war; vor Terasso liegen noch zwei kleine fröhliche Eilande, das eine La Madonna mit einer alten hochverehrten Kirche und heili¬ gem Muttergottesbilde, aber über diesem Theil der Küste starrt das Gebirge massenhaft, drohend, zum Theil baumlos, und diese zerrissenen, colossalen Mas¬ se» rücken dem Wasser näher nud näher, am schroffsten der Berg von Cattaro, über welchen die Spitze des Loveeu noch majestätisch hinausragt. Hier scheint die Natur selbst Schanzen aufgeworfen zu haben gegen das Meer und gegen das Festland; denn unzugänglich ragen die Höhen, das Grün der Bäume verliert sich in den grauen alten Steinhaufen, nnr hier und da erkennt das Auge eiuen kleinen Schlaugeupfad, der nach aufwärts führt. Die Sonne ist gesunken, nnr die Spitzen der Felsen färbt sie noch mit einem warmen Braun, und ein düsteres Dämmer verhüllt die kleine Stadt Cattaro, Mauerthürme und Schloß ragen gespenstig aus dem Abendnebel. Es ist etwas Unheimliches im Aussehen der Stadt, und der Aukommeude muß an die alten Geschichten der Gegeud denken, an die Ueberfälle grausamer Feinde, die Mordthaten, den Seeraub, welche einst an dieser Küste so gewöhnlich waren. Und wohl hat Cattaro Grund, sich noch heut zu verschauzeu, und nicht umsonst umgibt die Nordseite der Stadt außer der Mauer ein starker Wall und ein tiefer Graben; denn auf der Höhe hinter Cattaro beginnt das Reich des Vladika, und der Montenegriner ist der nahe und gefürchtete Nachbar dieses Eudpuuctes abendländischer Cultur. In der Morgensonne, welche durch den hohen Bergrücken abgehalten, erst spät ihre Strahlen über die Dächer der Stadt sendet, erweist sich Cattaro als eine kleine Stadt von wenig mehr als 3000 Menschen bewohnt, mit engen und winkeligen Straßen, denen mau ansieht, daß die Venetianer sie gebaut haben, die es verstanden, jeden Fußbreit Landes am Meeresstrand zu benutzen. Die ein- Grenzvoten. I. 1851. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/148>, abgerufen am 15.06.2024.