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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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möglich war, und die Charakteristiken bedeutender Componisten, Maler lind Bild¬
hauer sollen mit kritischen Beurtheilungen der Richtungen, welchen die Einzelnen
angehören, abwechseln.

Endlich werden wir versuchen, von dem gegenwärtigen Höhepunkt, den jüngsten
Fortschritten und Entdeckungen der Wissenschaft in populärer Darstellung Bericht
zu geben.

Und wir bitten unsere erusten Leser, nicht zu zürnen, wenn wir in sorgen¬
voller Zeit hiu und wieder auch an leichten und kleinen Stoffen gute Laune und
fröhliche Darstellung zu zeigen beflissen siud.

So beginnen wir nach altem Brauch das neue Jahr mit guten Vorsätzen und
Versprechungen. Unsere Leser aber bitten wir um Vertrauen.




Aus Wien zum Sylvesterabend.

Wien tanzt und amüsirt sich. Die Geige schreit, die Pauke schlägt Takt
und der lustige Wein länft durch die Kehlen. Spielt auf, ihr Fiedler, heut geht
ein Jahr zu Ende; es nützt uicht sich zu grämen, daß es nicht besser war!

Wir Wiener siud im Ganzen jetzt eine gutgesinnte und conservative Ge¬
meinde, die Männer der liberalen Partei von 1848 sind verringert an Zahl, An-
sehn und Vertrauen, die Regierung ist sehr stark, sie commandirt sehr viel und weiß
sich ausgezeichnet in Respect zu setzen; das ärgerte uns im Anfang, wir schüttelten
den Kopf und murmelten: sie wird's nicht durchsetzen, es.muß Etwas kommen,
das sie ruinirt ans ihrem schlechten Wege; es kam aber Nichts. Wir wurden
allmälig stiller, man hatte uns imponirt', jetzt freuen wir uns schon hin und wie¬
der über das starke Regiment. Mit einem gewissen anmuthigen Grauen be¬
trachtet der Zeitungsleser die bogenlangen organisirenden Gesetzentwürfe, er liest
sie nicht vollständig, aber er empfindet mit Befriedigung, daß er viel und sorg¬
fältig regiert wird, und da ihm die Frende am Selbstregieren auf lauge Zeit ge¬
nommen ist, gewährt ihm diese Ueberzeugung einen guten Trost. Ob die er¬
lassenen Gesetze gut und zu uuserem Heil sind, wird er freilich stark bezweifeln,
aber dem großen Haufen der oberflächlich Gebildeten kommt es in unserer Zeit
viel weniger ans die spätern Folgen irgend einer politischen Maßregel an, als daraus,
daß überhaupt irgend Etwas geschieht, worin sich eine gewisse Kraft und Sicher-


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möglich war, und die Charakteristiken bedeutender Componisten, Maler lind Bild¬
hauer sollen mit kritischen Beurtheilungen der Richtungen, welchen die Einzelnen
angehören, abwechseln.

Endlich werden wir versuchen, von dem gegenwärtigen Höhepunkt, den jüngsten
Fortschritten und Entdeckungen der Wissenschaft in populärer Darstellung Bericht
zu geben.

Und wir bitten unsere erusten Leser, nicht zu zürnen, wenn wir in sorgen¬
voller Zeit hiu und wieder auch an leichten und kleinen Stoffen gute Laune und
fröhliche Darstellung zu zeigen beflissen siud.

So beginnen wir nach altem Brauch das neue Jahr mit guten Vorsätzen und
Versprechungen. Unsere Leser aber bitten wir um Vertrauen.




Aus Wien zum Sylvesterabend.

Wien tanzt und amüsirt sich. Die Geige schreit, die Pauke schlägt Takt
und der lustige Wein länft durch die Kehlen. Spielt auf, ihr Fiedler, heut geht
ein Jahr zu Ende; es nützt uicht sich zu grämen, daß es nicht besser war!

Wir Wiener siud im Ganzen jetzt eine gutgesinnte und conservative Ge¬
meinde, die Männer der liberalen Partei von 1848 sind verringert an Zahl, An-
sehn und Vertrauen, die Regierung ist sehr stark, sie commandirt sehr viel und weiß
sich ausgezeichnet in Respect zu setzen; das ärgerte uns im Anfang, wir schüttelten
den Kopf und murmelten: sie wird's nicht durchsetzen, es.muß Etwas kommen,
das sie ruinirt ans ihrem schlechten Wege; es kam aber Nichts. Wir wurden
allmälig stiller, man hatte uns imponirt', jetzt freuen wir uns schon hin und wie¬
der über das starke Regiment. Mit einem gewissen anmuthigen Grauen be¬
trachtet der Zeitungsleser die bogenlangen organisirenden Gesetzentwürfe, er liest
sie nicht vollständig, aber er empfindet mit Befriedigung, daß er viel und sorg¬
fältig regiert wird, und da ihm die Frende am Selbstregieren auf lauge Zeit ge¬
nommen ist, gewährt ihm diese Ueberzeugung einen guten Trost. Ob die er¬
lassenen Gesetze gut und zu uuserem Heil sind, wird er freilich stark bezweifeln,
aber dem großen Haufen der oberflächlich Gebildeten kommt es in unserer Zeit
viel weniger ans die spätern Folgen irgend einer politischen Maßregel an, als daraus,
daß überhaupt irgend Etwas geschieht, worin sich eine gewisse Kraft und Sicher-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/15>, abgerufen am 22.05.2024.