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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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würde, seinerseits zu der Erklärung, daß sein Dienst nur der Republik gehöre,
und nie einem Herrn gehören werde. Nachdem er alsdann die Pläne der Roya-
listen, und die Nepressivmaßregeln, welche die Majorität und der mit ihr verbündete
Präsident gegen die Republikaner getroffen, sehr heftig angefochten hat -- schließt
er sich endlich dem Mißtrauensvotum an, welches ebeu diese Majorität gegen
ihren bisherigen Verbündeten ausspricht.

Ein anderer Republikaner von historischem Ruf, Herr v. Lamartine, tritt da¬
gegen auf die Seite deö Präsidenten.

Kurz, überall eine Verwirrung der Parteien, und eine Neigung, die Krisis
zu beschleunigen, daß mau glauben sollte, der Ausbruch stehe unmittelbar vor der
Thür. Und hohnlachend sehen die Socialisten diesem erfreulichen Schauspiel zu,
wie sich ihre Feinde einander zerfleischen.

Aber eben dieser Umstand, daß jeder Ausbruch das neue Hervortreten einer
Partei herbeiführen müßte, die der ganzen Gesellschaft den Untergang droht, ver¬
mindert die Wahrscheinlichkeit der Krisis. Im entscheidenden Angenblick werden
die Führer der Fractionen, wird namentlich die von ihnen geleitete Masse von
der Ueberzeugung durchdrungen werden, daß es sich um ernstere Dinge handelt,
als um Heinrich oder Ludwig.

Wer endlich in diesem bunten Gemisch deu Sieg davontragen wird, das zu
berechnen, würde auch dem geschicktesten politischen Arithmetiker unmöglich sein.
Aber das läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit voraussagen, wer unterliegen wird:
wer zuerst angreift. Ju dem Augenblicke des Attentats würde ganz Frankreich
sich gegen ihn erheben.

Wenn man den Charakter und die frühere Geschichte des Präsidenten, und
die Versuchung, welche immer in der actuellen Macht liegt, in Rechnung zieht,
so dürfte der Schluß nicht zu gewagt erscheinen, daß Louis Napoleon der Erste
sein wird, welcher -- verliert. Was dann weiter geschieht, ist nicht vorherzu-
sagen. Eine gewaltsame Krisis wird jedenfalls in den nächsten zwei Jahren ein¬
treten; sie wird, wie jede Krisis in Frankreich, ihre Rückwirkung auf unser Vater-
land uicht verfehlen. Möchten das unsere Regenten nicht übersehen, wenn sie
durch ihre jetzige unbestrittene Allmacht und durch die dumpfe Apathie aller
Schichten des Volks sich versucht fühlen sollten, die Saiten zu straff zu spannen.
Und möchte unsere Partei durch die Verstimmung über die augenblickliche hoff¬
nungslose Lage der Dinge sich uicht verleiten lassen, sich zu zersplittern, und
die Positionen aufzugeben, die sie uoch hat, die sie uoch mehr hat, als im
Februar 1848. Eine zweite Ueberrumpelung dürste verhängnißvoller sein*).





Diesmal scheint die Krisis glücklich abgewendet zu sein. Der Präsident hat der
parlamentarischen Gewalt, trotz deö Grolles, den er über ihre Angriffe empfinden mußte,
nachgegeben. Geht dieses Nachgeben so weit, daß daS alte, parlamentarische Ministerium
und mit ihm der parlamentarische Oberbefehlshaber wieder eintritt, so hat freilich der Neffe
deö Onkels kein Attentat mehr nöthig, um zu verlieren; er ist abgethan für immer.

würde, seinerseits zu der Erklärung, daß sein Dienst nur der Republik gehöre,
und nie einem Herrn gehören werde. Nachdem er alsdann die Pläne der Roya-
listen, und die Nepressivmaßregeln, welche die Majorität und der mit ihr verbündete
Präsident gegen die Republikaner getroffen, sehr heftig angefochten hat — schließt
er sich endlich dem Mißtrauensvotum an, welches ebeu diese Majorität gegen
ihren bisherigen Verbündeten ausspricht.

Ein anderer Republikaner von historischem Ruf, Herr v. Lamartine, tritt da¬
gegen auf die Seite deö Präsidenten.

Kurz, überall eine Verwirrung der Parteien, und eine Neigung, die Krisis
zu beschleunigen, daß mau glauben sollte, der Ausbruch stehe unmittelbar vor der
Thür. Und hohnlachend sehen die Socialisten diesem erfreulichen Schauspiel zu,
wie sich ihre Feinde einander zerfleischen.

Aber eben dieser Umstand, daß jeder Ausbruch das neue Hervortreten einer
Partei herbeiführen müßte, die der ganzen Gesellschaft den Untergang droht, ver¬
mindert die Wahrscheinlichkeit der Krisis. Im entscheidenden Angenblick werden
die Führer der Fractionen, wird namentlich die von ihnen geleitete Masse von
der Ueberzeugung durchdrungen werden, daß es sich um ernstere Dinge handelt,
als um Heinrich oder Ludwig.

Wer endlich in diesem bunten Gemisch deu Sieg davontragen wird, das zu
berechnen, würde auch dem geschicktesten politischen Arithmetiker unmöglich sein.
Aber das läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit voraussagen, wer unterliegen wird:
wer zuerst angreift. Ju dem Augenblicke des Attentats würde ganz Frankreich
sich gegen ihn erheben.

Wenn man den Charakter und die frühere Geschichte des Präsidenten, und
die Versuchung, welche immer in der actuellen Macht liegt, in Rechnung zieht,
so dürfte der Schluß nicht zu gewagt erscheinen, daß Louis Napoleon der Erste
sein wird, welcher — verliert. Was dann weiter geschieht, ist nicht vorherzu-
sagen. Eine gewaltsame Krisis wird jedenfalls in den nächsten zwei Jahren ein¬
treten; sie wird, wie jede Krisis in Frankreich, ihre Rückwirkung auf unser Vater-
land uicht verfehlen. Möchten das unsere Regenten nicht übersehen, wenn sie
durch ihre jetzige unbestrittene Allmacht und durch die dumpfe Apathie aller
Schichten des Volks sich versucht fühlen sollten, die Saiten zu straff zu spannen.
Und möchte unsere Partei durch die Verstimmung über die augenblickliche hoff¬
nungslose Lage der Dinge sich uicht verleiten lassen, sich zu zersplittern, und
die Positionen aufzugeben, die sie uoch hat, die sie uoch mehr hat, als im
Februar 1848. Eine zweite Ueberrumpelung dürste verhängnißvoller sein*).





Diesmal scheint die Krisis glücklich abgewendet zu sein. Der Präsident hat der
parlamentarischen Gewalt, trotz deö Grolles, den er über ihre Angriffe empfinden mußte,
nachgegeben. Geht dieses Nachgeben so weit, daß daS alte, parlamentarische Ministerium
und mit ihm der parlamentarische Oberbefehlshaber wieder eintritt, so hat freilich der Neffe
deö Onkels kein Attentat mehr nöthig, um zu verlieren; er ist abgethan für immer.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/154>, abgerufen am 22.05.2024.