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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Ungarn und Deutschland.
(Aus )

Die zahme Opposition in Oestreich stellt sich täglich die Frage: warum die
Negierung -- welcher es ohne Zweifel mit dein Constitutionalismus ernst ist --
bei der ruhigen Haltung der Kronländer, und der ungeheuren Macht, welche
Oestreich uach Außen und Innen entwickelt, uicht endlich die Landtage und nach
diesen den Reichstag einberuft. Wir wissen Alle nicht, was Fürst Schwarzenberg
noch ans nus und Oestreich macheu wird, und zwar aus dem einfachen Grunde,
weil Schwarzenberg selbst heute uicht augeben, kann, was er morgen mit seinen
Olmützer 123 Paragraphen machen wird. Oestreich konnte unmöglich etwas
Definitives über sich festsetzen, bevor es mit der deutschen Frage fertig war; aber die
Völker, die damals in^ Ungarn und Italien noch bluteten, und bei denen der
Märzrausch uoch uicht ganz verraucht war, mußten dnrch etwas gewonnen werden,
und so entstand das Octroi vom ^. März. Diesem Oetroi steht nach dem eige¬
nen Wortlallt eine Revision bevor, es ist folglich selbst eine Art Provisorium; aber
auch dieses Provisorium war schon vor seiner Geburt dnrch ein anderes Provi¬
sorium -- deu Belagerungszustand -- verdrängt und soll erst dann in's Leben
treten, wenn der Belagerungszustand aufhört, die Landtage und der Reichstag
einberufen werden, die Revision vorgenommen wird; also an seinem Sterbetage.
So werdeu oft die guten Regierungen wegen Dingen getadelt, die in der natür¬
lichen Entwickelung der Verhältnisse liegen, bei denen sie nur angeklagt werden
können, keine Genies zu sein, die allen Verhältnissen gewachsen sind. -- Was
den Hauptzweck des Octroi's betrifft, die innere Centralisation, so ist diese leider
ans dem Wege der Regierung durchaus unerreichbar, und Schwarzenberg, der
durch alle Stimmen der Presse nicht überzeugt werdeu konnte, wird jetzt dnrch
die Umstände -- die dnrch den Sieg seiner äußern Politik herbeigeführt wurden
-- davou überzeugt werden.

Für uns entsteht nun die Frage: Was ist die Aufgabe Ungarns und be¬
sonders des magyarischem Elements bei dieser bevorstehenden neuen Gestaltung der
Dinge? Soll es etwa seinen gegen Olmütz begonnenen passiven Widerstand auch gegen
die Einverleibung in den deutschen Blind fortsetzen ? oder soll es sich vielmehr mit seiner
materiellen und geistigen Kraft an den bevorstehenden neuen Kämpfen betheiligen?

Ich glaube mich unbedingt für das Letztere aussprechen zu müssen, und zwar
aus folgenden Gründen. Unser Widerstand gegen die Charte vom ä. März ist
ein gerechter, von den Zeitumständen und unseren heiligsten Interessen gebotener.
Das Octroi trägt zwar uach uuserer Ueberzeugung den Keim des Zerfalls in sich
selbst, und würde anch ohne unsere Passivität zu nichte werden; aber der darin
ausgesprochene Raub an unserer dnrch Geschichte und geheiligte Verträge garantirten
Integrität und Nationalität bleibt auch, nachdem das Octroi aufgegeben ist, lind


Ungarn und Deutschland.
(Aus )

Die zahme Opposition in Oestreich stellt sich täglich die Frage: warum die
Negierung — welcher es ohne Zweifel mit dein Constitutionalismus ernst ist —
bei der ruhigen Haltung der Kronländer, und der ungeheuren Macht, welche
Oestreich uach Außen und Innen entwickelt, uicht endlich die Landtage und nach
diesen den Reichstag einberuft. Wir wissen Alle nicht, was Fürst Schwarzenberg
noch ans nus und Oestreich macheu wird, und zwar aus dem einfachen Grunde,
weil Schwarzenberg selbst heute uicht augeben, kann, was er morgen mit seinen
Olmützer 123 Paragraphen machen wird. Oestreich konnte unmöglich etwas
Definitives über sich festsetzen, bevor es mit der deutschen Frage fertig war; aber die
Völker, die damals in^ Ungarn und Italien noch bluteten, und bei denen der
Märzrausch uoch uicht ganz verraucht war, mußten dnrch etwas gewonnen werden,
und so entstand das Octroi vom ^. März. Diesem Oetroi steht nach dem eige¬
nen Wortlallt eine Revision bevor, es ist folglich selbst eine Art Provisorium; aber
auch dieses Provisorium war schon vor seiner Geburt dnrch ein anderes Provi¬
sorium — deu Belagerungszustand — verdrängt und soll erst dann in's Leben
treten, wenn der Belagerungszustand aufhört, die Landtage und der Reichstag
einberufen werden, die Revision vorgenommen wird; also an seinem Sterbetage.
So werdeu oft die guten Regierungen wegen Dingen getadelt, die in der natür¬
lichen Entwickelung der Verhältnisse liegen, bei denen sie nur angeklagt werden
können, keine Genies zu sein, die allen Verhältnissen gewachsen sind. — Was
den Hauptzweck des Octroi's betrifft, die innere Centralisation, so ist diese leider
ans dem Wege der Regierung durchaus unerreichbar, und Schwarzenberg, der
durch alle Stimmen der Presse nicht überzeugt werdeu konnte, wird jetzt dnrch
die Umstände — die dnrch den Sieg seiner äußern Politik herbeigeführt wurden
— davou überzeugt werden.

Für uns entsteht nun die Frage: Was ist die Aufgabe Ungarns und be¬
sonders des magyarischem Elements bei dieser bevorstehenden neuen Gestaltung der
Dinge? Soll es etwa seinen gegen Olmütz begonnenen passiven Widerstand auch gegen
die Einverleibung in den deutschen Blind fortsetzen ? oder soll es sich vielmehr mit seiner
materiellen und geistigen Kraft an den bevorstehenden neuen Kämpfen betheiligen?

Ich glaube mich unbedingt für das Letztere aussprechen zu müssen, und zwar
aus folgenden Gründen. Unser Widerstand gegen die Charte vom ä. März ist
ein gerechter, von den Zeitumständen und unseren heiligsten Interessen gebotener.
Das Octroi trägt zwar uach uuserer Ueberzeugung den Keim des Zerfalls in sich
selbst, und würde anch ohne unsere Passivität zu nichte werden; aber der darin
ausgesprochene Raub an unserer dnrch Geschichte und geheiligte Verträge garantirten
Integrität und Nationalität bleibt auch, nachdem das Octroi aufgegeben ist, lind


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[0022] Ungarn und Deutschland. (Aus ) Die zahme Opposition in Oestreich stellt sich täglich die Frage: warum die Negierung — welcher es ohne Zweifel mit dein Constitutionalismus ernst ist — bei der ruhigen Haltung der Kronländer, und der ungeheuren Macht, welche Oestreich uach Außen und Innen entwickelt, uicht endlich die Landtage und nach diesen den Reichstag einberuft. Wir wissen Alle nicht, was Fürst Schwarzenberg noch ans nus und Oestreich macheu wird, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil Schwarzenberg selbst heute uicht augeben, kann, was er morgen mit seinen Olmützer 123 Paragraphen machen wird. Oestreich konnte unmöglich etwas Definitives über sich festsetzen, bevor es mit der deutschen Frage fertig war; aber die Völker, die damals in^ Ungarn und Italien noch bluteten, und bei denen der Märzrausch uoch uicht ganz verraucht war, mußten dnrch etwas gewonnen werden, und so entstand das Octroi vom ^. März. Diesem Oetroi steht nach dem eige¬ nen Wortlallt eine Revision bevor, es ist folglich selbst eine Art Provisorium; aber auch dieses Provisorium war schon vor seiner Geburt dnrch ein anderes Provi¬ sorium — deu Belagerungszustand — verdrängt und soll erst dann in's Leben treten, wenn der Belagerungszustand aufhört, die Landtage und der Reichstag einberufen werden, die Revision vorgenommen wird; also an seinem Sterbetage. So werdeu oft die guten Regierungen wegen Dingen getadelt, die in der natür¬ lichen Entwickelung der Verhältnisse liegen, bei denen sie nur angeklagt werden können, keine Genies zu sein, die allen Verhältnissen gewachsen sind. — Was den Hauptzweck des Octroi's betrifft, die innere Centralisation, so ist diese leider ans dem Wege der Regierung durchaus unerreichbar, und Schwarzenberg, der durch alle Stimmen der Presse nicht überzeugt werdeu konnte, wird jetzt dnrch die Umstände — die dnrch den Sieg seiner äußern Politik herbeigeführt wurden — davou überzeugt werden. Für uns entsteht nun die Frage: Was ist die Aufgabe Ungarns und be¬ sonders des magyarischem Elements bei dieser bevorstehenden neuen Gestaltung der Dinge? Soll es etwa seinen gegen Olmütz begonnenen passiven Widerstand auch gegen die Einverleibung in den deutschen Blind fortsetzen ? oder soll es sich vielmehr mit seiner materiellen und geistigen Kraft an den bevorstehenden neuen Kämpfen betheiligen? Ich glaube mich unbedingt für das Letztere aussprechen zu müssen, und zwar aus folgenden Gründen. Unser Widerstand gegen die Charte vom ä. März ist ein gerechter, von den Zeitumständen und unseren heiligsten Interessen gebotener. Das Octroi trägt zwar uach uuserer Ueberzeugung den Keim des Zerfalls in sich selbst, und würde anch ohne unsere Passivität zu nichte werden; aber der darin ausgesprochene Raub an unserer dnrch Geschichte und geheiligte Verträge garantirten Integrität und Nationalität bleibt auch, nachdem das Octroi aufgegeben ist, lind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/22>, abgerufen am 22.05.2024.