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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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In Frankreich war durch die Juni-Emente in die gesammte Bürgerschaft
eine solche Angst vor dem Schreckgespenst des Socialismus gefahren, daß sie sich
blindlings in die Arme der Jesuiten warf, die ihr Hülse und Schutz verhießen.
Der eigentliche Führer der Konservativen war der anerkannte Jesuit Herr von
Montalembert, und sein neuer Convertirter Herr Thiers reichte ihm treulich die
Hand bei der Einführung des berüchtigten Unterrichts-Gesetzes, das allen Tra¬
ditionen der französischen Bildung widersprach. Seit der Zeit hat sich aber die
Angst etwas gelegt, die Komödie in Wiesbaden hat Vielen die Augen geöffnet,
und die herausfordernde Art, mit welcher der Führer der kirchlichen Partei sich
jeden Augenblick als den eigentlichen Schutzengel der französischen Nation darstellt,
fängt an, unbequem zu werden. Schon wundert man sich über die eigne Furcht,
schon erinnert man sich an die Einsegnung der Februar-Barricadeu durch den
Erzbischof von Paris, schon denkt man darüber nach, ob nicht die religiöse
Schwärmerei auch audern Parteien zum Werkzeug dienen könne, als der Partei
der "Ordnung und des Rechts".

Die neuesten Vorgänge in England sind ganz geeignet, diese Umstimmung
der conservativen Partei zu verstärken. Seit Menschengedenken ist von einer so
lauten, alle Classen und alle Parteien umfassenden Aufregung in dieser glückseligen
Insel nicht die Rede gewesen. Diesmal trifft die Anmaßung der römischen Curie
auf eiuen Gegner, dem sie nicht gewachsen ist. Man kann gegen die englische
Hochkirche Vieles einwenden; soviel wird man aber zugeben müssen, daß sie auf
eine organische Weise in das Staatsleben eingebildet ist, und daß sie eine wahre,
von allem eigentlichen Aberglaube" freie Frömmigkeit hervorgebracht hat. Bei
unsern kirchlichen Neactionärs ist das nicht der Fall; in ihrer süßlichen Verschro¬
benheit, in ihrer gemachten Verehrung gegen eine angeblich große Vergangenheit
der Kirche siud sie so feige, mit dem ewigen Feind des protestantischen Glaubens,
mit dem Papstthum zu buhlen, oder sich wohl gar hinter deu Fels Petri zu
verkriechen. Protestantische Frömmigkeit ist aber so lange undenkbar ohne Haß
des Papstthums, bis dieses seinen eigenen Grundgedanken, sein Lebensprincip
aufgegeben hat: die Jufallibilität und die Propaganda. Es gibt einen sehr
respectablen katholischen Glauben, einen sehr respectablen protestantischen Glauben,
aber diese katholisch-protestantische Religion, von der unsere rückwärts gewandten
Propheten Profeß machen, ist etwas Jämmerliches. Sie ist gerade so beschaffen,
wir ihr preußisch-östreichischer Patriotismus. Der gesunde Engländer denkt
anders; seine Liebe ist exclusiv, wie jede wahre Liebe; er stellt nicht den Moloch
auf den Altar neben Jehovah, er conspirirt nicht mit seinen Gesinnungsgenossen
in anderen Staaten gegen die Interessen seines eignen Vaterlandes. Tones und
Whigs reichen sich die Hand, die Meßpriester und Bettelmönche zu vertreiben,
wenn sie es wagen sollten, noch einmal sich mit ihrer Schlingpflanzennatnr um die
kräftige Eiche der britischen Freiheit zu ranken.


Grenzboten. 1. I8S1. 9

In Frankreich war durch die Juni-Emente in die gesammte Bürgerschaft
eine solche Angst vor dem Schreckgespenst des Socialismus gefahren, daß sie sich
blindlings in die Arme der Jesuiten warf, die ihr Hülse und Schutz verhießen.
Der eigentliche Führer der Konservativen war der anerkannte Jesuit Herr von
Montalembert, und sein neuer Convertirter Herr Thiers reichte ihm treulich die
Hand bei der Einführung des berüchtigten Unterrichts-Gesetzes, das allen Tra¬
ditionen der französischen Bildung widersprach. Seit der Zeit hat sich aber die
Angst etwas gelegt, die Komödie in Wiesbaden hat Vielen die Augen geöffnet,
und die herausfordernde Art, mit welcher der Führer der kirchlichen Partei sich
jeden Augenblick als den eigentlichen Schutzengel der französischen Nation darstellt,
fängt an, unbequem zu werden. Schon wundert man sich über die eigne Furcht,
schon erinnert man sich an die Einsegnung der Februar-Barricadeu durch den
Erzbischof von Paris, schon denkt man darüber nach, ob nicht die religiöse
Schwärmerei auch audern Parteien zum Werkzeug dienen könne, als der Partei
der „Ordnung und des Rechts".

Die neuesten Vorgänge in England sind ganz geeignet, diese Umstimmung
der conservativen Partei zu verstärken. Seit Menschengedenken ist von einer so
lauten, alle Classen und alle Parteien umfassenden Aufregung in dieser glückseligen
Insel nicht die Rede gewesen. Diesmal trifft die Anmaßung der römischen Curie
auf eiuen Gegner, dem sie nicht gewachsen ist. Man kann gegen die englische
Hochkirche Vieles einwenden; soviel wird man aber zugeben müssen, daß sie auf
eine organische Weise in das Staatsleben eingebildet ist, und daß sie eine wahre,
von allem eigentlichen Aberglaube» freie Frömmigkeit hervorgebracht hat. Bei
unsern kirchlichen Neactionärs ist das nicht der Fall; in ihrer süßlichen Verschro¬
benheit, in ihrer gemachten Verehrung gegen eine angeblich große Vergangenheit
der Kirche siud sie so feige, mit dem ewigen Feind des protestantischen Glaubens,
mit dem Papstthum zu buhlen, oder sich wohl gar hinter deu Fels Petri zu
verkriechen. Protestantische Frömmigkeit ist aber so lange undenkbar ohne Haß
des Papstthums, bis dieses seinen eigenen Grundgedanken, sein Lebensprincip
aufgegeben hat: die Jufallibilität und die Propaganda. Es gibt einen sehr
respectablen katholischen Glauben, einen sehr respectablen protestantischen Glauben,
aber diese katholisch-protestantische Religion, von der unsere rückwärts gewandten
Propheten Profeß machen, ist etwas Jämmerliches. Sie ist gerade so beschaffen,
wir ihr preußisch-östreichischer Patriotismus. Der gesunde Engländer denkt
anders; seine Liebe ist exclusiv, wie jede wahre Liebe; er stellt nicht den Moloch
auf den Altar neben Jehovah, er conspirirt nicht mit seinen Gesinnungsgenossen
in anderen Staaten gegen die Interessen seines eignen Vaterlandes. Tones und
Whigs reichen sich die Hand, die Meßpriester und Bettelmönche zu vertreiben,
wenn sie es wagen sollten, noch einmal sich mit ihrer Schlingpflanzennatnr um die
kräftige Eiche der britischen Freiheit zu ranken.


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[0077] In Frankreich war durch die Juni-Emente in die gesammte Bürgerschaft eine solche Angst vor dem Schreckgespenst des Socialismus gefahren, daß sie sich blindlings in die Arme der Jesuiten warf, die ihr Hülse und Schutz verhießen. Der eigentliche Führer der Konservativen war der anerkannte Jesuit Herr von Montalembert, und sein neuer Convertirter Herr Thiers reichte ihm treulich die Hand bei der Einführung des berüchtigten Unterrichts-Gesetzes, das allen Tra¬ ditionen der französischen Bildung widersprach. Seit der Zeit hat sich aber die Angst etwas gelegt, die Komödie in Wiesbaden hat Vielen die Augen geöffnet, und die herausfordernde Art, mit welcher der Führer der kirchlichen Partei sich jeden Augenblick als den eigentlichen Schutzengel der französischen Nation darstellt, fängt an, unbequem zu werden. Schon wundert man sich über die eigne Furcht, schon erinnert man sich an die Einsegnung der Februar-Barricadeu durch den Erzbischof von Paris, schon denkt man darüber nach, ob nicht die religiöse Schwärmerei auch audern Parteien zum Werkzeug dienen könne, als der Partei der „Ordnung und des Rechts". Die neuesten Vorgänge in England sind ganz geeignet, diese Umstimmung der conservativen Partei zu verstärken. Seit Menschengedenken ist von einer so lauten, alle Classen und alle Parteien umfassenden Aufregung in dieser glückseligen Insel nicht die Rede gewesen. Diesmal trifft die Anmaßung der römischen Curie auf eiuen Gegner, dem sie nicht gewachsen ist. Man kann gegen die englische Hochkirche Vieles einwenden; soviel wird man aber zugeben müssen, daß sie auf eine organische Weise in das Staatsleben eingebildet ist, und daß sie eine wahre, von allem eigentlichen Aberglaube» freie Frömmigkeit hervorgebracht hat. Bei unsern kirchlichen Neactionärs ist das nicht der Fall; in ihrer süßlichen Verschro¬ benheit, in ihrer gemachten Verehrung gegen eine angeblich große Vergangenheit der Kirche siud sie so feige, mit dem ewigen Feind des protestantischen Glaubens, mit dem Papstthum zu buhlen, oder sich wohl gar hinter deu Fels Petri zu verkriechen. Protestantische Frömmigkeit ist aber so lange undenkbar ohne Haß des Papstthums, bis dieses seinen eigenen Grundgedanken, sein Lebensprincip aufgegeben hat: die Jufallibilität und die Propaganda. Es gibt einen sehr respectablen katholischen Glauben, einen sehr respectablen protestantischen Glauben, aber diese katholisch-protestantische Religion, von der unsere rückwärts gewandten Propheten Profeß machen, ist etwas Jämmerliches. Sie ist gerade so beschaffen, wir ihr preußisch-östreichischer Patriotismus. Der gesunde Engländer denkt anders; seine Liebe ist exclusiv, wie jede wahre Liebe; er stellt nicht den Moloch auf den Altar neben Jehovah, er conspirirt nicht mit seinen Gesinnungsgenossen in anderen Staaten gegen die Interessen seines eignen Vaterlandes. Tones und Whigs reichen sich die Hand, die Meßpriester und Bettelmönche zu vertreiben, wenn sie es wagen sollten, noch einmal sich mit ihrer Schlingpflanzennatnr um die kräftige Eiche der britischen Freiheit zu ranken. Grenzboten. 1. I8S1. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/77>, abgerufen am 22.05.2024.