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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Jene Männer, welche in Deutschland Poesie und Sprache so edel und groß
herausbildeten, vermochten nicht das Leben der deutschen Nation zu reformiren
und seiner wirklichen Existenz Größe und gemeinsame Interessen zu geben.
Die Zersplitterung beförderte schnell das Auftauchen vieler kleiner Schulen und
vieler kleiner Manieren in den verschiedenen Theilen Deutschlands. Die Gelehrten
Norddeutschlands zogen sich wieder in ihre Bibliotheken und Hörsäle zurück und
schlössen sich dort in einer neuen, dem Laien ganz unverständlichen Schulsprache
ab. Die Menge von fremden Völkerseelcn, welche durch Uebersetzungen und
Nachbildungen unsrer Dichter sich, gespenstigen Schatten gleich, über dem deutschen
Parnaß lagerten, brachten mit ihren nationalen Bildern und Wendungen ein un¬
gesundes Gelüst nach buntem Redeschmnck, auffälligen Vergleichen und gelehrten
Anspielungen in den Styl der Tagesschriftsteller. Zumal die Franzosen, deren
Talente uus stets beherrschen, .so ost wir sie nicht mit genialer Kraft zurückzu¬
schlagen vermögen, füllten Deutschland mit allen ihren Unarten und Capricen an.
Die Monotonie des kleinen Lebens, zu welchem fast alle Schriftsteller verurtheilt
waren, ließ auch nicht unbedeutende Talente verkommen, die politische Gereiztheit,
welche zwischen Fürsten und Völkern entstand und der Druck, welcher aus der
Presse lag, machten es unmöglich, ernst und offen das Ernste zu besprechen. Eine
kränkliche und flüchtige Witzelei verrieth die Corruption der Geister, welche durch
den Mangel an ethischem Inhalt im Staats- und gesellschaftlichen Leben hervor¬
gebracht wurde. Es entstand jene schlechte Schriftstellerei, welche nichts Besseres
verstand, als mit flatterhaften Geiste um den Gegenstand, welcher dargestellt wer¬
den sollte, herumzuschwirren, und Einzelnes hervorzuheben, um es durch kleine Witze
zu vernichten, oder durch falsches Pathos zu entstellen; jene Darstellung, der
es nicht darum zu thun ist, die Wahrheit zu finden, sondern mit kindischer Eitel¬
keit die Virtuosität im Eombiniren und Auflösen zu zeigen. Der incorrecte, freche
Styl dieser Richtung wurde allgemein, er galt für amüsant und geistreich, man
verehrte an ihm als innere Freiheit und hohe Gesinnung der Schreibenden, was
doch nur Ungründlichkeit und eitle Ostentation war. Ungeheuer war der Einfluß,
den dieser Behaudlung politischer und künstlerische Stosse ans die gesammte heran¬
wachsende Generation ausübte. Denn wie der Styl des einzelnen Schriftstellers
von der Bildung seiner Zeit Farbe und Ausdruck gewinnt, so wirkt er auch
wieder auf die Seele der lesenden Jugend, weil er ihren Geist in seine Bahn
und seine Methode hineinzieht. Der jammervollen Inhaltlosigkeit des deutschen
Lebens entsprach genau die Hohlheit und Leere viel gelesener Schriftsteller, welche
ihre Schwäche dnrch allerlei bunte zusammgesnchte Lappen zu verbergen suchten.
So fand uns das Jahr 1848, die schlechten Stylisten wurden Demagogen der
Straße und der Localblätter, derselbe höhnende und raillirende Ton, dieselbe
blasirte Frechheit, dieselbe Unwissenheit und dieselbe logische Konfusion und Jn-
correctheit aus der Tribune und in den Clubs, die wir seit 20--30 Jahren in


Jene Männer, welche in Deutschland Poesie und Sprache so edel und groß
herausbildeten, vermochten nicht das Leben der deutschen Nation zu reformiren
und seiner wirklichen Existenz Größe und gemeinsame Interessen zu geben.
Die Zersplitterung beförderte schnell das Auftauchen vieler kleiner Schulen und
vieler kleiner Manieren in den verschiedenen Theilen Deutschlands. Die Gelehrten
Norddeutschlands zogen sich wieder in ihre Bibliotheken und Hörsäle zurück und
schlössen sich dort in einer neuen, dem Laien ganz unverständlichen Schulsprache
ab. Die Menge von fremden Völkerseelcn, welche durch Uebersetzungen und
Nachbildungen unsrer Dichter sich, gespenstigen Schatten gleich, über dem deutschen
Parnaß lagerten, brachten mit ihren nationalen Bildern und Wendungen ein un¬
gesundes Gelüst nach buntem Redeschmnck, auffälligen Vergleichen und gelehrten
Anspielungen in den Styl der Tagesschriftsteller. Zumal die Franzosen, deren
Talente uus stets beherrschen, .so ost wir sie nicht mit genialer Kraft zurückzu¬
schlagen vermögen, füllten Deutschland mit allen ihren Unarten und Capricen an.
Die Monotonie des kleinen Lebens, zu welchem fast alle Schriftsteller verurtheilt
waren, ließ auch nicht unbedeutende Talente verkommen, die politische Gereiztheit,
welche zwischen Fürsten und Völkern entstand und der Druck, welcher aus der
Presse lag, machten es unmöglich, ernst und offen das Ernste zu besprechen. Eine
kränkliche und flüchtige Witzelei verrieth die Corruption der Geister, welche durch
den Mangel an ethischem Inhalt im Staats- und gesellschaftlichen Leben hervor¬
gebracht wurde. Es entstand jene schlechte Schriftstellerei, welche nichts Besseres
verstand, als mit flatterhaften Geiste um den Gegenstand, welcher dargestellt wer¬
den sollte, herumzuschwirren, und Einzelnes hervorzuheben, um es durch kleine Witze
zu vernichten, oder durch falsches Pathos zu entstellen; jene Darstellung, der
es nicht darum zu thun ist, die Wahrheit zu finden, sondern mit kindischer Eitel¬
keit die Virtuosität im Eombiniren und Auflösen zu zeigen. Der incorrecte, freche
Styl dieser Richtung wurde allgemein, er galt für amüsant und geistreich, man
verehrte an ihm als innere Freiheit und hohe Gesinnung der Schreibenden, was
doch nur Ungründlichkeit und eitle Ostentation war. Ungeheuer war der Einfluß,
den dieser Behaudlung politischer und künstlerische Stosse ans die gesammte heran¬
wachsende Generation ausübte. Denn wie der Styl des einzelnen Schriftstellers
von der Bildung seiner Zeit Farbe und Ausdruck gewinnt, so wirkt er auch
wieder auf die Seele der lesenden Jugend, weil er ihren Geist in seine Bahn
und seine Methode hineinzieht. Der jammervollen Inhaltlosigkeit des deutschen
Lebens entsprach genau die Hohlheit und Leere viel gelesener Schriftsteller, welche
ihre Schwäche dnrch allerlei bunte zusammgesnchte Lappen zu verbergen suchten.
So fand uns das Jahr 1848, die schlechten Stylisten wurden Demagogen der
Straße und der Localblätter, derselbe höhnende und raillirende Ton, dieselbe
blasirte Frechheit, dieselbe Unwissenheit und dieselbe logische Konfusion und Jn-
correctheit aus der Tribune und in den Clubs, die wir seit 20—30 Jahren in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/17>, abgerufen am 11.05.2024.