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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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so lebendig, als am Morgen, da von 11--3 Uhr in den heißen Monaten fast all-
gemein die Arbeit ruht. In den meisten englischen Häusern hatte man die
Jalousien niedergelassen, selbst manche Läden waren geschlossen. Demungeachtet
beschlossen wir, noch einen schnellen Ritt nach der nahen Küste des spanischen
Festlandes zu machen. Zwei, ziemlich gute Reitpferde englischer Zucht waren im
Hotel zu bekommen; wir schwangen uns rasch in die Sättel, und galoppirten
über die Landzunge nach einem Korkeichengehölz, das vom andalusischen Festlande
einladend herüberschimmerte. Endlich hatte ich wieder ein großes langhalsigcs eng¬
lisches Pferd mit englischer Sattlung und Zäumung unter mir, nachdem ich
in Algerien nur die kleinen, feurigen^ gewandten maurischen Hengste mit ihren
hohen Sätteln und scharfen Gebissen geritten hatte. Daß meine englische Stute
auf unebenen Felsenpfaden nicht halb so viel leistete, als die Rosse der Spahi,
merkte ich bald, denn dieselbe strauchelte am andern User aus einem etwas ab¬
schüssigen Fußsteig wiederholt, wo die Berber im vollsten Galopp selbst in der Dun¬
kelheit der Nacht ganz lustig gelaufen wären. Ju dem Walde der dunklen Kork¬
eichen war es sehr behaglich, und die Schatten der grünen Blätter thaten uns
wohl. Sehr pittoresk ragte auch von dieser Seite der steile Felsen von Gibraltar
in die Lust, und unser Zweck, denselben von allen Seiten zu betrachten, wurde
zu großer Zufriedenheit erreicht. In einer kleinen halbzerfallenen Schenke, die
eine reizende Lage am Meeresufer unter dem Schatten großer hoher Bäume
hatte, stiegen wir einen Augenblick ab. Eine malerisch zerlumpte Frau, deren
Körper mehr entblößt als bekleidet war, die jedoch trotz Lumpen und Schmuz
noch Spuren großer Schönheit zeigte, brachte uns einen Krug mit starkem spani¬
schem Wein. Zwei prächtige Buben von 3 und 3 Jahren mit Gesichtern voll
Schelmerei, Gutmüthigkeit und Lebenslust wälzten sich spielend im Grase herum,
und schauten dabei mit neugierigen Blicken aus deu dunklen großen Angen uns
Fremdlinge an. Der jüngste dieser Buben war ganz unbekleidet; der
älteste hatte ein kleines Fragment von eitlem Lumpen, der ehemals vielleicht eine
Art von Hemd gewesen war, mit grünem Binsengras als Gürtel wie ein Schurz¬
fell vorgebunden. Ein alter eisgrauer blinder Mann, in einen geflickten abgelegten
englischen Nachtmantel gehüllt, saß daneben bewegungslos in der Sonne, deren
Strahlen seinem schon fast ganz erstarrten Körper wohlthaten. Es war ein echt
spanisches Genrebild. Wir kehrten langsam den Knaben in den Korkeichen den
Rücken und galoppirten ins Hotel zurück.

Ein Boot brachte uns an Bord des Jupiter, dessen dicke, schwarze Rauch¬
wolke ans dem hohen Schlot zeigte, daß er zur Abfahrt bereit sei. Es ist doch
ein Unterschied am Bord eines ftanzösischcn und eines englischen Schisses. Die
französischen Kriegsdampfboote der Marine find größtenteils treffliche Fahrzeuge;
ihre Ofstciere sind oft sehr liebenswürdige, wohlerfahrene Männer; auch die
Mannschaft ist gut disciplinirt und tüchtig, und doch ist so viel studirtes, Ge-


Grenzbotcn. I. ->8ö2. > M.

so lebendig, als am Morgen, da von 11—3 Uhr in den heißen Monaten fast all-
gemein die Arbeit ruht. In den meisten englischen Häusern hatte man die
Jalousien niedergelassen, selbst manche Läden waren geschlossen. Demungeachtet
beschlossen wir, noch einen schnellen Ritt nach der nahen Küste des spanischen
Festlandes zu machen. Zwei, ziemlich gute Reitpferde englischer Zucht waren im
Hotel zu bekommen; wir schwangen uns rasch in die Sättel, und galoppirten
über die Landzunge nach einem Korkeichengehölz, das vom andalusischen Festlande
einladend herüberschimmerte. Endlich hatte ich wieder ein großes langhalsigcs eng¬
lisches Pferd mit englischer Sattlung und Zäumung unter mir, nachdem ich
in Algerien nur die kleinen, feurigen^ gewandten maurischen Hengste mit ihren
hohen Sätteln und scharfen Gebissen geritten hatte. Daß meine englische Stute
auf unebenen Felsenpfaden nicht halb so viel leistete, als die Rosse der Spahi,
merkte ich bald, denn dieselbe strauchelte am andern User aus einem etwas ab¬
schüssigen Fußsteig wiederholt, wo die Berber im vollsten Galopp selbst in der Dun¬
kelheit der Nacht ganz lustig gelaufen wären. Ju dem Walde der dunklen Kork¬
eichen war es sehr behaglich, und die Schatten der grünen Blätter thaten uns
wohl. Sehr pittoresk ragte auch von dieser Seite der steile Felsen von Gibraltar
in die Lust, und unser Zweck, denselben von allen Seiten zu betrachten, wurde
zu großer Zufriedenheit erreicht. In einer kleinen halbzerfallenen Schenke, die
eine reizende Lage am Meeresufer unter dem Schatten großer hoher Bäume
hatte, stiegen wir einen Augenblick ab. Eine malerisch zerlumpte Frau, deren
Körper mehr entblößt als bekleidet war, die jedoch trotz Lumpen und Schmuz
noch Spuren großer Schönheit zeigte, brachte uns einen Krug mit starkem spani¬
schem Wein. Zwei prächtige Buben von 3 und 3 Jahren mit Gesichtern voll
Schelmerei, Gutmüthigkeit und Lebenslust wälzten sich spielend im Grase herum,
und schauten dabei mit neugierigen Blicken aus deu dunklen großen Angen uns
Fremdlinge an. Der jüngste dieser Buben war ganz unbekleidet; der
älteste hatte ein kleines Fragment von eitlem Lumpen, der ehemals vielleicht eine
Art von Hemd gewesen war, mit grünem Binsengras als Gürtel wie ein Schurz¬
fell vorgebunden. Ein alter eisgrauer blinder Mann, in einen geflickten abgelegten
englischen Nachtmantel gehüllt, saß daneben bewegungslos in der Sonne, deren
Strahlen seinem schon fast ganz erstarrten Körper wohlthaten. Es war ein echt
spanisches Genrebild. Wir kehrten langsam den Knaben in den Korkeichen den
Rücken und galoppirten ins Hotel zurück.

Ein Boot brachte uns an Bord des Jupiter, dessen dicke, schwarze Rauch¬
wolke ans dem hohen Schlot zeigte, daß er zur Abfahrt bereit sei. Es ist doch
ein Unterschied am Bord eines ftanzösischcn und eines englischen Schisses. Die
französischen Kriegsdampfboote der Marine find größtenteils treffliche Fahrzeuge;
ihre Ofstciere sind oft sehr liebenswürdige, wohlerfahrene Männer; auch die
Mannschaft ist gut disciplinirt und tüchtig, und doch ist so viel studirtes, Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/195>, abgerufen am 13.05.2024.