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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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ist er consequent; und zufällig übergeht er jene Abgeordneten ebenfalls, denen
die Gabe der Rede nicht verliehen ist, oder die voraussichtlich in ihren Abstimmun¬
gen mit der Mehrheit gehen. Trotzdem ist er im begonnenen Geschäfte der Lie¬
benswürdigkeit so eifrig, daß der Sitznngsbeginn niemals, oftmals selbst nicht die
Vorgefechte des eigentlichen Kampfes ihn auf seinem Platze finden. Alltagsseelen,
welche den wahren Werth dieser ämsigen Plauderhaftigkeit, dieses Umhergelaufes
und Fragens, dieses Lächelns und dieser Zeichendeuterei nicht ahnen, sie haben
den ,Liebenswürdigen Staatsmann" ins Bayerische "Gschaftlhuber" übersetzt; aber
die Bnbenhände in der Presse haben diesen Ausdruck niemals emancipirt.

"Er mengt sich in Alles" ist auf der Bühne wie im Leben ein amüsantes
Lustspiel. Wir haben darob übersehen , daß die Abgeordneten der zweiten Kammer
allmählich zahlreicher den Saal erfüllten. Plaudernd stehen sie in dichten Gruppen,
nnr wenige einsam vor ihren Sitzplätzen. Dort etwa Herr Consistorialrath
Prinz, schweigend, den Mund halbgeöffnet im langgezogenen Antlitz, durch eine
große Brille mit leeren blauen Angen hiustarrend; drüben Herr Bürgermeister
Forndrcm, ein kolossal gebauter Mann, das urschwarze Haupt auf die rechte Hand
gestützt, welche wiederum mit dem Ellenbogen in der linken Hand ruht; dort
hinten Herr Domcapitular Thieres, beschäftigt die Brille auszuwischen; dort
oben Hr. Studienlehrer Dr. Bayer, augenscheinlich vom allzuhellen Lichte des
Saales incommvdirt, die Arme verschränkt, den Kopf gesenkt. -- -- Da plötzlich
werden die plaudernden Gruppen in dem Mittelgange wie dnrch Sturmsmacht
getrennt, man glaubt, ein wichtiges Ereigniß breche durch diese Gasse. Es ist
jedoch blos ein Mann mit rothglühenden Antlitz, stumpfer Nase, breitem Munde,
leuchtenden Angen, vierschrötig in saloppe Kleider gewickelt, ein Buch unterm Arm,
hastig und ungeregelt in jeder Bewegung. Grandville und Kaulbach würden
schwerlich über das Geschlecht zweifelhaft sein, wenn sie diesen Menschenkopf in
Thierformen ausdrücken sollten. Nur würde der Eine vielleicht den Kopf eines
bengalischen Köuigstigers daraus machen, indem er dessen Rnndbart etwas ver¬
längerte; der Andere vielleicht das Haupt eines Menagerielöwen mit rings ge¬
stützter Mähne. Muth und Unerbittlichkeit liegen in den Zügen, Fanatismus im
Auge. Und der Mann setzt sich mit Energie neben den äußerst freundlich Platz
gebenden Grasen Larosve,, welcher bis dahin unbefangen mit seiner goldenen Dose
spielte. Und sofort liest der Mann, liest,, liest in dem mitgebrachten Buche, als
müsse es noch vor dem Sitzungsbeginne beendet werden, als existire keine
plaudernde und rauschende Versammlung um ihn. -- Gleich nachher möchte ein
anderer Mann mit derselben Gewaltsamkeit zu seinem Platze dringen. Vom
Lesezimmer der Deputirten aus nahm er denselben Anlauf, wie sein Vorgänger.
Allein schon bei der ersten Halbweg standhaften Gruppe mußte er sich auf höf¬
liches Bitten legen. Er ist auch gar nicht zum Jmponiren geschaffen, trotzdem,
daß sein Barthaar über und unter den Lippen sich frei entfaltet, und auf den


ist er consequent; und zufällig übergeht er jene Abgeordneten ebenfalls, denen
die Gabe der Rede nicht verliehen ist, oder die voraussichtlich in ihren Abstimmun¬
gen mit der Mehrheit gehen. Trotzdem ist er im begonnenen Geschäfte der Lie¬
benswürdigkeit so eifrig, daß der Sitznngsbeginn niemals, oftmals selbst nicht die
Vorgefechte des eigentlichen Kampfes ihn auf seinem Platze finden. Alltagsseelen,
welche den wahren Werth dieser ämsigen Plauderhaftigkeit, dieses Umhergelaufes
und Fragens, dieses Lächelns und dieser Zeichendeuterei nicht ahnen, sie haben
den ,Liebenswürdigen Staatsmann" ins Bayerische „Gschaftlhuber" übersetzt; aber
die Bnbenhände in der Presse haben diesen Ausdruck niemals emancipirt.

„Er mengt sich in Alles" ist auf der Bühne wie im Leben ein amüsantes
Lustspiel. Wir haben darob übersehen , daß die Abgeordneten der zweiten Kammer
allmählich zahlreicher den Saal erfüllten. Plaudernd stehen sie in dichten Gruppen,
nnr wenige einsam vor ihren Sitzplätzen. Dort etwa Herr Consistorialrath
Prinz, schweigend, den Mund halbgeöffnet im langgezogenen Antlitz, durch eine
große Brille mit leeren blauen Angen hiustarrend; drüben Herr Bürgermeister
Forndrcm, ein kolossal gebauter Mann, das urschwarze Haupt auf die rechte Hand
gestützt, welche wiederum mit dem Ellenbogen in der linken Hand ruht; dort
hinten Herr Domcapitular Thieres, beschäftigt die Brille auszuwischen; dort
oben Hr. Studienlehrer Dr. Bayer, augenscheinlich vom allzuhellen Lichte des
Saales incommvdirt, die Arme verschränkt, den Kopf gesenkt. — — Da plötzlich
werden die plaudernden Gruppen in dem Mittelgange wie dnrch Sturmsmacht
getrennt, man glaubt, ein wichtiges Ereigniß breche durch diese Gasse. Es ist
jedoch blos ein Mann mit rothglühenden Antlitz, stumpfer Nase, breitem Munde,
leuchtenden Angen, vierschrötig in saloppe Kleider gewickelt, ein Buch unterm Arm,
hastig und ungeregelt in jeder Bewegung. Grandville und Kaulbach würden
schwerlich über das Geschlecht zweifelhaft sein, wenn sie diesen Menschenkopf in
Thierformen ausdrücken sollten. Nur würde der Eine vielleicht den Kopf eines
bengalischen Köuigstigers daraus machen, indem er dessen Rnndbart etwas ver¬
längerte; der Andere vielleicht das Haupt eines Menagerielöwen mit rings ge¬
stützter Mähne. Muth und Unerbittlichkeit liegen in den Zügen, Fanatismus im
Auge. Und der Mann setzt sich mit Energie neben den äußerst freundlich Platz
gebenden Grasen Larosve,, welcher bis dahin unbefangen mit seiner goldenen Dose
spielte. Und sofort liest der Mann, liest,, liest in dem mitgebrachten Buche, als
müsse es noch vor dem Sitzungsbeginne beendet werden, als existire keine
plaudernde und rauschende Versammlung um ihn. — Gleich nachher möchte ein
anderer Mann mit derselben Gewaltsamkeit zu seinem Platze dringen. Vom
Lesezimmer der Deputirten aus nahm er denselben Anlauf, wie sein Vorgänger.
Allein schon bei der ersten Halbweg standhaften Gruppe mußte er sich auf höf¬
liches Bitten legen. Er ist auch gar nicht zum Jmponiren geschaffen, trotzdem,
daß sein Barthaar über und unter den Lippen sich frei entfaltet, und auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/21>, abgerufen am 11.05.2024.