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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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fügt apologetische Redensarten hinzu, die er eben so wenig begründet, als seine
Polemik. -- Bedenklicher steht es mit den Vorwürfen aus, die man in ästhetischer
Beziehung gegen das Buch erhoben hat. Gutzkow und Paulus haben sehr Recht,
wenn sie das sinnliche Moment des Romans als untergeordnet betrachten, und wir
können Gutzkow nur beipflichte", wenn er die in demselben vorkommenden Lüstern¬
heiten mehr mit den Visionen eines Mönchs, dessen Phantasie durch Entbehrung
überreizt ist, als mit den Erinnerungen eines Rouv in Vergleich stellt, aber wir
glauben nicht, daß jene sieche, urkräftige, in Phantasien schwelgende Sinnlichkeit
schöner und erhebender ist, als die Heinse'sche Frivolität. Man hat die Scenen
zwischen Wally und Jerouimo, Wally und Cäsar, Wally und ihrem Gemahl mit
Recht verurtheilt, denn sie sind weiter nichts als ekelhaft, ohne Poesie und ohne
Verhältniß zu der Charakteristik der Personen oder zur Entwickelung der Hand¬
lung. Ueberhaupt sind die Charaktere blos Embryonen und die Fabel eine Mo¬
saikarbeit ans verschiedenen Einfällen.

Man thut sehr unrecht, von ästhetisch verwerflichen Einfällen eines Dich¬
ters auf die Sittlichkeit seines Lebenswandels zu schließen, aber auf der an¬
dern Seite sollte es Gutzkow nicht übersehen, daß man in einer Zeit, wo
die wahnsinnige That der Charlotte Stieglitz von einem ganzen Hansen von
Schöngeistern als eine Heldenthat gefeiert wurde, eine größere Aufmerksamkeit
auf diejenigen poetischen Productionen richten mußte, in denen ähnliche Fragen
verhandelt wurden. Und gerade der Mangel an Ernst, gerade die Abwesenheit
alles festen Glaubens, der in der Wally die Reflexion eben so unfertig erscheinen
läßt, als die Charaktere, mußte damals viel bedenklicher aussehen, als ein offener
und frecher Angriff gegen Religion und Sittlichkeit. Heut zu Tage haben uns
die Gräfin Hahn und hundert ähnliche Dichter an dergleichen schon so gewöhnt,
daß auch die Wally kaum uoch einen Anstoß mehr erregen würde.

Mit der Gräfin Hahn hat Gutzkow anch das gemein, daß bei Beiden die
eigene Persönlichkeit immer über die Gegenstände heraustritt. Schon als Jüng¬
ling, eben in jener Appellation, beklagt sich Gutzkow darüber, daß das Talent durch
Mangel an Anerkennung in falsche Bahnen getrieben werde, daß bei dem Dünkel
so vieler Unberufenen, die sich für Genies halten, das wahre Genie nicht zur
Geltung käme. Diese beständige Beschäftigung mit sich selbst ist weder für den
Dichter, noch für den Kritiker heilsam. Beide müssen sich mit Andacht und
selbstvergessender Hingebung in ihren Gegenstand versenken, um ihm gerecht
zu werden.

Wir sind dem PMicum noch eine Kritik der "Ritter vom Geiste" schuldig;
an diesen wird sich nachweisen lassen, welchen Lauf Gutzkow's künstlerische Ent¬
wickelung in dem Zeitraum, der zwischen der Wally und diesem letzten Werke
liegt, genommen hat.




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fügt apologetische Redensarten hinzu, die er eben so wenig begründet, als seine
Polemik. — Bedenklicher steht es mit den Vorwürfen aus, die man in ästhetischer
Beziehung gegen das Buch erhoben hat. Gutzkow und Paulus haben sehr Recht,
wenn sie das sinnliche Moment des Romans als untergeordnet betrachten, und wir
können Gutzkow nur beipflichte», wenn er die in demselben vorkommenden Lüstern¬
heiten mehr mit den Visionen eines Mönchs, dessen Phantasie durch Entbehrung
überreizt ist, als mit den Erinnerungen eines Rouv in Vergleich stellt, aber wir
glauben nicht, daß jene sieche, urkräftige, in Phantasien schwelgende Sinnlichkeit
schöner und erhebender ist, als die Heinse'sche Frivolität. Man hat die Scenen
zwischen Wally und Jerouimo, Wally und Cäsar, Wally und ihrem Gemahl mit
Recht verurtheilt, denn sie sind weiter nichts als ekelhaft, ohne Poesie und ohne
Verhältniß zu der Charakteristik der Personen oder zur Entwickelung der Hand¬
lung. Ueberhaupt sind die Charaktere blos Embryonen und die Fabel eine Mo¬
saikarbeit ans verschiedenen Einfällen.

Man thut sehr unrecht, von ästhetisch verwerflichen Einfällen eines Dich¬
ters auf die Sittlichkeit seines Lebenswandels zu schließen, aber auf der an¬
dern Seite sollte es Gutzkow nicht übersehen, daß man in einer Zeit, wo
die wahnsinnige That der Charlotte Stieglitz von einem ganzen Hansen von
Schöngeistern als eine Heldenthat gefeiert wurde, eine größere Aufmerksamkeit
auf diejenigen poetischen Productionen richten mußte, in denen ähnliche Fragen
verhandelt wurden. Und gerade der Mangel an Ernst, gerade die Abwesenheit
alles festen Glaubens, der in der Wally die Reflexion eben so unfertig erscheinen
läßt, als die Charaktere, mußte damals viel bedenklicher aussehen, als ein offener
und frecher Angriff gegen Religion und Sittlichkeit. Heut zu Tage haben uns
die Gräfin Hahn und hundert ähnliche Dichter an dergleichen schon so gewöhnt,
daß auch die Wally kaum uoch einen Anstoß mehr erregen würde.

Mit der Gräfin Hahn hat Gutzkow anch das gemein, daß bei Beiden die
eigene Persönlichkeit immer über die Gegenstände heraustritt. Schon als Jüng¬
ling, eben in jener Appellation, beklagt sich Gutzkow darüber, daß das Talent durch
Mangel an Anerkennung in falsche Bahnen getrieben werde, daß bei dem Dünkel
so vieler Unberufenen, die sich für Genies halten, das wahre Genie nicht zur
Geltung käme. Diese beständige Beschäftigung mit sich selbst ist weder für den
Dichter, noch für den Kritiker heilsam. Beide müssen sich mit Andacht und
selbstvergessender Hingebung in ihren Gegenstand versenken, um ihm gerecht
zu werden.

Wir sind dem PMicum noch eine Kritik der „Ritter vom Geiste" schuldig;
an diesen wird sich nachweisen lassen, welchen Lauf Gutzkow's künstlerische Ent¬
wickelung in dem Zeitraum, der zwischen der Wally und diesem letzten Werke
liegt, genommen hat.




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[0229] fügt apologetische Redensarten hinzu, die er eben so wenig begründet, als seine Polemik. — Bedenklicher steht es mit den Vorwürfen aus, die man in ästhetischer Beziehung gegen das Buch erhoben hat. Gutzkow und Paulus haben sehr Recht, wenn sie das sinnliche Moment des Romans als untergeordnet betrachten, und wir können Gutzkow nur beipflichte», wenn er die in demselben vorkommenden Lüstern¬ heiten mehr mit den Visionen eines Mönchs, dessen Phantasie durch Entbehrung überreizt ist, als mit den Erinnerungen eines Rouv in Vergleich stellt, aber wir glauben nicht, daß jene sieche, urkräftige, in Phantasien schwelgende Sinnlichkeit schöner und erhebender ist, als die Heinse'sche Frivolität. Man hat die Scenen zwischen Wally und Jerouimo, Wally und Cäsar, Wally und ihrem Gemahl mit Recht verurtheilt, denn sie sind weiter nichts als ekelhaft, ohne Poesie und ohne Verhältniß zu der Charakteristik der Personen oder zur Entwickelung der Hand¬ lung. Ueberhaupt sind die Charaktere blos Embryonen und die Fabel eine Mo¬ saikarbeit ans verschiedenen Einfällen. Man thut sehr unrecht, von ästhetisch verwerflichen Einfällen eines Dich¬ ters auf die Sittlichkeit seines Lebenswandels zu schließen, aber auf der an¬ dern Seite sollte es Gutzkow nicht übersehen, daß man in einer Zeit, wo die wahnsinnige That der Charlotte Stieglitz von einem ganzen Hansen von Schöngeistern als eine Heldenthat gefeiert wurde, eine größere Aufmerksamkeit auf diejenigen poetischen Productionen richten mußte, in denen ähnliche Fragen verhandelt wurden. Und gerade der Mangel an Ernst, gerade die Abwesenheit alles festen Glaubens, der in der Wally die Reflexion eben so unfertig erscheinen läßt, als die Charaktere, mußte damals viel bedenklicher aussehen, als ein offener und frecher Angriff gegen Religion und Sittlichkeit. Heut zu Tage haben uns die Gräfin Hahn und hundert ähnliche Dichter an dergleichen schon so gewöhnt, daß auch die Wally kaum uoch einen Anstoß mehr erregen würde. Mit der Gräfin Hahn hat Gutzkow anch das gemein, daß bei Beiden die eigene Persönlichkeit immer über die Gegenstände heraustritt. Schon als Jüng¬ ling, eben in jener Appellation, beklagt sich Gutzkow darüber, daß das Talent durch Mangel an Anerkennung in falsche Bahnen getrieben werde, daß bei dem Dünkel so vieler Unberufenen, die sich für Genies halten, das wahre Genie nicht zur Geltung käme. Diese beständige Beschäftigung mit sich selbst ist weder für den Dichter, noch für den Kritiker heilsam. Beide müssen sich mit Andacht und selbstvergessender Hingebung in ihren Gegenstand versenken, um ihm gerecht zu werden. Wir sind dem PMicum noch eine Kritik der „Ritter vom Geiste" schuldig; an diesen wird sich nachweisen lassen, welchen Lauf Gutzkow's künstlerische Ent¬ wickelung in dem Zeitraum, der zwischen der Wally und diesem letzten Werke liegt, genommen hat. 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/229>, abgerufen am 12.05.2024.