Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schiebt bei dieser Gelegenheit die dürre, schwarze Gestalt um einige Schritte vor.
Langsam zwar, doch sicher kommt er endlich auf die Richtung vor seinem Platz.
Dann ist das kalte, trockene Lächeln bereits abgethan, und scheint von starrer
Verachtung ersetzt; vielleicht von Verachtung darüber, daß es Menschen giebt,
welche Kammerklopffechtereien für irgendwie bedeutsam halten. Höfisch höflich werden
hieraufdie Herren Sepp, Hopf, v. Hermann, v. Lassaulx, GrafLarofte und v. Lerchen¬
feld mit einer salougewandten Halbkreiswendung des Körpers- gegrüßt, worauf
sich dieser scheinbar starre Körper niederläßt, und steinern still sitzt. Auch der
spitze Kopf steht still, nur die Augen gehen beobachtend im Kreise. So harrt Herr
Döllinger des Sitzuugscmscmges.

Bis dahin waren die Plätze der eigentlichen Opposition ziemlich leer; nur
hier und da saß ein minder bedeutendes Mitglied; die Führer und Redner der
Partei kamen erst bei dem Präsidentenrufe, voran Fürst Wallerstein mit dem ewig
lächelnden Antlitz, unvermeidlich hinter ihm Herr Morgenstern. Es sind eigentlich
wenig auffallende Gestalten uuter ihnen und wenig interessante Gesichter. Auch
die frühere Zuversichtlichkeit ist verschwunden; sie wissen voraus, daß auch nicht
der kleinste Antrag, auch nicht das geringste Anredewort eine gefällige Aufnahme
findet; so bleibt ihre stereotype Gewohnheit, in der allgemeinen Debatte zum so
und so vielsten Male ihre gänzliche Divergenz von der jetzt alleinherrschenden Richtung
mit sittlicher Entrüstung auszudrücken, um nachher die Dinge ihren unaufhalt¬
samen Lauf nehmen zu lassen. Wozu dann dieses auffällig lange Vorberathen im
Conversationszimmer? Wozu der auffällige Einzug ein meisse in die Sitzung?
-Unwillkürlich denkt man dabei an das, was die Studenten Renommisterei nennen.
Aber wir sind keine Studenten mehr. -- Trotzdem würde man sich täuschen, wenn
man glaubte, im Renommistischen erschöpfe sich das Wesen der eigentlichen Linken.
Sie ficht ganz tapfer für ihre Principien; aber diese Principien sind in der
vorgebrachten Weise beim jetzigen Thatsachenbestande unfruchtbare, lebensunfähige
Theorien. Nutzlos sind also die Reden mit jenen großen Worten des Jahres 1848,
welche sich auf keine weiteren Thaten zu berufen haben, als Putsche, unblutige Nie¬
derlagen, und leider ein scheinbares Recht der radicalen Reaction. Sie verhallen
im Kammernsaale so erfolglos, wie ihr Aussprechen den unverletzlichen Abgeord¬
neten gefahrlos war. Sie stacheln die Gegenparteien blos zu immer größerer
Gereiztheit, und drängen auch das dem Verderben entgegen, was noch zu retten
möglich wäre. Jammert ein geschlagener, zum Rückzug genöthigrer Heerführer?
Gewinne er seine Position durch Anklagredeu gegen den übermüthigen Sieger zu¬
rück? stählt er sein Heer zu neuem Kampfe durch Klagen über die Macht der
zahllosen Feinde? Nein! Er sichert die Linien seines augenblicklichen Rückzugs,
um sie später zu abermaligem Angriffe benutzen zu können; er verbirgt vor seinen
Gegnern wie vor den Bündnern die Größe seiner Niederlage, um sich und die
Seinen nicht moralisch zu schwächen; er droht nicht mit einem Rückhalte, dessen


schiebt bei dieser Gelegenheit die dürre, schwarze Gestalt um einige Schritte vor.
Langsam zwar, doch sicher kommt er endlich auf die Richtung vor seinem Platz.
Dann ist das kalte, trockene Lächeln bereits abgethan, und scheint von starrer
Verachtung ersetzt; vielleicht von Verachtung darüber, daß es Menschen giebt,
welche Kammerklopffechtereien für irgendwie bedeutsam halten. Höfisch höflich werden
hieraufdie Herren Sepp, Hopf, v. Hermann, v. Lassaulx, GrafLarofte und v. Lerchen¬
feld mit einer salougewandten Halbkreiswendung des Körpers- gegrüßt, worauf
sich dieser scheinbar starre Körper niederläßt, und steinern still sitzt. Auch der
spitze Kopf steht still, nur die Augen gehen beobachtend im Kreise. So harrt Herr
Döllinger des Sitzuugscmscmges.

Bis dahin waren die Plätze der eigentlichen Opposition ziemlich leer; nur
hier und da saß ein minder bedeutendes Mitglied; die Führer und Redner der
Partei kamen erst bei dem Präsidentenrufe, voran Fürst Wallerstein mit dem ewig
lächelnden Antlitz, unvermeidlich hinter ihm Herr Morgenstern. Es sind eigentlich
wenig auffallende Gestalten uuter ihnen und wenig interessante Gesichter. Auch
die frühere Zuversichtlichkeit ist verschwunden; sie wissen voraus, daß auch nicht
der kleinste Antrag, auch nicht das geringste Anredewort eine gefällige Aufnahme
findet; so bleibt ihre stereotype Gewohnheit, in der allgemeinen Debatte zum so
und so vielsten Male ihre gänzliche Divergenz von der jetzt alleinherrschenden Richtung
mit sittlicher Entrüstung auszudrücken, um nachher die Dinge ihren unaufhalt¬
samen Lauf nehmen zu lassen. Wozu dann dieses auffällig lange Vorberathen im
Conversationszimmer? Wozu der auffällige Einzug ein meisse in die Sitzung?
-Unwillkürlich denkt man dabei an das, was die Studenten Renommisterei nennen.
Aber wir sind keine Studenten mehr. — Trotzdem würde man sich täuschen, wenn
man glaubte, im Renommistischen erschöpfe sich das Wesen der eigentlichen Linken.
Sie ficht ganz tapfer für ihre Principien; aber diese Principien sind in der
vorgebrachten Weise beim jetzigen Thatsachenbestande unfruchtbare, lebensunfähige
Theorien. Nutzlos sind also die Reden mit jenen großen Worten des Jahres 1848,
welche sich auf keine weiteren Thaten zu berufen haben, als Putsche, unblutige Nie¬
derlagen, und leider ein scheinbares Recht der radicalen Reaction. Sie verhallen
im Kammernsaale so erfolglos, wie ihr Aussprechen den unverletzlichen Abgeord¬
neten gefahrlos war. Sie stacheln die Gegenparteien blos zu immer größerer
Gereiztheit, und drängen auch das dem Verderben entgegen, was noch zu retten
möglich wäre. Jammert ein geschlagener, zum Rückzug genöthigrer Heerführer?
Gewinne er seine Position durch Anklagredeu gegen den übermüthigen Sieger zu¬
rück? stählt er sein Heer zu neuem Kampfe durch Klagen über die Macht der
zahllosen Feinde? Nein! Er sichert die Linien seines augenblicklichen Rückzugs,
um sie später zu abermaligem Angriffe benutzen zu können; er verbirgt vor seinen
Gegnern wie vor den Bündnern die Größe seiner Niederlage, um sich und die
Seinen nicht moralisch zu schwächen; er droht nicht mit einem Rückhalte, dessen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93388"/>
          <p xml:id="ID_33" prev="#ID_32"> schiebt bei dieser Gelegenheit die dürre, schwarze Gestalt um einige Schritte vor.<lb/>
Langsam zwar, doch sicher kommt er endlich auf die Richtung vor seinem Platz.<lb/>
Dann ist das kalte, trockene Lächeln bereits abgethan, und scheint von starrer<lb/>
Verachtung ersetzt; vielleicht von Verachtung darüber, daß es Menschen giebt,<lb/>
welche Kammerklopffechtereien für irgendwie bedeutsam halten. Höfisch höflich werden<lb/>
hieraufdie Herren Sepp, Hopf, v. Hermann, v. Lassaulx, GrafLarofte und v. Lerchen¬<lb/>
feld mit einer salougewandten Halbkreiswendung des Körpers- gegrüßt, worauf<lb/>
sich dieser scheinbar starre Körper niederläßt, und steinern still sitzt. Auch der<lb/>
spitze Kopf steht still, nur die Augen gehen beobachtend im Kreise. So harrt Herr<lb/>
Döllinger des Sitzuugscmscmges.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_34" next="#ID_35"> Bis dahin waren die Plätze der eigentlichen Opposition ziemlich leer; nur<lb/>
hier und da saß ein minder bedeutendes Mitglied; die Führer und Redner der<lb/>
Partei kamen erst bei dem Präsidentenrufe, voran Fürst Wallerstein mit dem ewig<lb/>
lächelnden Antlitz, unvermeidlich hinter ihm Herr Morgenstern. Es sind eigentlich<lb/>
wenig auffallende Gestalten uuter ihnen und wenig interessante Gesichter. Auch<lb/>
die frühere Zuversichtlichkeit ist verschwunden; sie wissen voraus, daß auch nicht<lb/>
der kleinste Antrag, auch nicht das geringste Anredewort eine gefällige Aufnahme<lb/>
findet; so bleibt ihre stereotype Gewohnheit, in der allgemeinen Debatte zum so<lb/>
und so vielsten Male ihre gänzliche Divergenz von der jetzt alleinherrschenden Richtung<lb/>
mit sittlicher Entrüstung auszudrücken, um nachher die Dinge ihren unaufhalt¬<lb/>
samen Lauf nehmen zu lassen. Wozu dann dieses auffällig lange Vorberathen im<lb/>
Conversationszimmer? Wozu der auffällige Einzug ein meisse in die Sitzung?<lb/>
-Unwillkürlich denkt man dabei an das, was die Studenten Renommisterei nennen.<lb/>
Aber wir sind keine Studenten mehr. &#x2014; Trotzdem würde man sich täuschen, wenn<lb/>
man glaubte, im Renommistischen erschöpfe sich das Wesen der eigentlichen Linken.<lb/>
Sie ficht ganz tapfer für ihre Principien; aber diese Principien sind in der<lb/>
vorgebrachten Weise beim jetzigen Thatsachenbestande unfruchtbare, lebensunfähige<lb/>
Theorien. Nutzlos sind also die Reden mit jenen großen Worten des Jahres 1848,<lb/>
welche sich auf keine weiteren Thaten zu berufen haben, als Putsche, unblutige Nie¬<lb/>
derlagen, und leider ein scheinbares Recht der radicalen Reaction. Sie verhallen<lb/>
im Kammernsaale so erfolglos, wie ihr Aussprechen den unverletzlichen Abgeord¬<lb/>
neten gefahrlos war. Sie stacheln die Gegenparteien blos zu immer größerer<lb/>
Gereiztheit, und drängen auch das dem Verderben entgegen, was noch zu retten<lb/>
möglich wäre. Jammert ein geschlagener, zum Rückzug genöthigrer Heerführer?<lb/>
Gewinne er seine Position durch Anklagredeu gegen den übermüthigen Sieger zu¬<lb/>
rück? stählt er sein Heer zu neuem Kampfe durch Klagen über die Macht der<lb/>
zahllosen Feinde? Nein! Er sichert die Linien seines augenblicklichen Rückzugs,<lb/>
um sie später zu abermaligem Angriffe benutzen zu können; er verbirgt vor seinen<lb/>
Gegnern wie vor den Bündnern die Größe seiner Niederlage, um sich und die<lb/>
Seinen nicht moralisch zu schwächen; er droht nicht mit einem Rückhalte, dessen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] schiebt bei dieser Gelegenheit die dürre, schwarze Gestalt um einige Schritte vor. Langsam zwar, doch sicher kommt er endlich auf die Richtung vor seinem Platz. Dann ist das kalte, trockene Lächeln bereits abgethan, und scheint von starrer Verachtung ersetzt; vielleicht von Verachtung darüber, daß es Menschen giebt, welche Kammerklopffechtereien für irgendwie bedeutsam halten. Höfisch höflich werden hieraufdie Herren Sepp, Hopf, v. Hermann, v. Lassaulx, GrafLarofte und v. Lerchen¬ feld mit einer salougewandten Halbkreiswendung des Körpers- gegrüßt, worauf sich dieser scheinbar starre Körper niederläßt, und steinern still sitzt. Auch der spitze Kopf steht still, nur die Augen gehen beobachtend im Kreise. So harrt Herr Döllinger des Sitzuugscmscmges. Bis dahin waren die Plätze der eigentlichen Opposition ziemlich leer; nur hier und da saß ein minder bedeutendes Mitglied; die Führer und Redner der Partei kamen erst bei dem Präsidentenrufe, voran Fürst Wallerstein mit dem ewig lächelnden Antlitz, unvermeidlich hinter ihm Herr Morgenstern. Es sind eigentlich wenig auffallende Gestalten uuter ihnen und wenig interessante Gesichter. Auch die frühere Zuversichtlichkeit ist verschwunden; sie wissen voraus, daß auch nicht der kleinste Antrag, auch nicht das geringste Anredewort eine gefällige Aufnahme findet; so bleibt ihre stereotype Gewohnheit, in der allgemeinen Debatte zum so und so vielsten Male ihre gänzliche Divergenz von der jetzt alleinherrschenden Richtung mit sittlicher Entrüstung auszudrücken, um nachher die Dinge ihren unaufhalt¬ samen Lauf nehmen zu lassen. Wozu dann dieses auffällig lange Vorberathen im Conversationszimmer? Wozu der auffällige Einzug ein meisse in die Sitzung? -Unwillkürlich denkt man dabei an das, was die Studenten Renommisterei nennen. Aber wir sind keine Studenten mehr. — Trotzdem würde man sich täuschen, wenn man glaubte, im Renommistischen erschöpfe sich das Wesen der eigentlichen Linken. Sie ficht ganz tapfer für ihre Principien; aber diese Principien sind in der vorgebrachten Weise beim jetzigen Thatsachenbestande unfruchtbare, lebensunfähige Theorien. Nutzlos sind also die Reden mit jenen großen Worten des Jahres 1848, welche sich auf keine weiteren Thaten zu berufen haben, als Putsche, unblutige Nie¬ derlagen, und leider ein scheinbares Recht der radicalen Reaction. Sie verhallen im Kammernsaale so erfolglos, wie ihr Aussprechen den unverletzlichen Abgeord¬ neten gefahrlos war. Sie stacheln die Gegenparteien blos zu immer größerer Gereiztheit, und drängen auch das dem Verderben entgegen, was noch zu retten möglich wäre. Jammert ein geschlagener, zum Rückzug genöthigrer Heerführer? Gewinne er seine Position durch Anklagredeu gegen den übermüthigen Sieger zu¬ rück? stählt er sein Heer zu neuem Kampfe durch Klagen über die Macht der zahllosen Feinde? Nein! Er sichert die Linien seines augenblicklichen Rückzugs, um sie später zu abermaligem Angriffe benutzen zu können; er verbirgt vor seinen Gegnern wie vor den Bündnern die Größe seiner Niederlage, um sich und die Seinen nicht moralisch zu schwächen; er droht nicht mit einem Rückhalte, dessen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/23
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/23>, abgerufen am 11.05.2024.