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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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ihnen jemals die Berechtigung als anregendes Element versagen. Und gerade in
dieser Beziehung vermag man nicht, sich vergleichender Erinnerungen zu erwehren,
wenn man beim Anblicke der Wallerstein'schen Kämpfe jener ehemaligen gedenkt,
an deren Spitze Friedrich Schüler stand, der Literat ans Zweibrücken, Abgeord¬
neter des Wahlbezirks Kaiserslautern-Kirchheim-Bolanden.

Schon damals war es Sitte der Opposition, erst nach dem Präsidentenrufe
in deu Saal zu treten. Und in der damaligen stürmischen Zeit war's oft mehr ein
Poltern und Stürzen, als ein Gehen nach den Plätzen. Er kam gewöhnlich zuletzt, ein
schmächtiger gekrüumter Manu, schmerzhaft anzusehen, wie er an zwei Krücken sich
mühselig nach seinem Platze schleppte. Aber an Schüler war nichts von der
Erregtheit seiner Genossen, selbst nichts von der hastigen Erhitzung körperlich
gehinderter Meuschen zu bemerken; die Todesblässe seines Antlitzes hatte keine
körperkranke Ueberfarbe, in den regelmäßigen Zügen hatte keine jache Leidenschaft
gewühlt. Dunkel glühte nur das Feuer des früher wol wunderschönen Auges,
das tiefe Schwarz des vollen Bartes wie des spärlichen Haupthaars bleichte bereits
hier und da; ein gewisser schmerzlicher Zug zitterte von den feingeschwungenen
Nasenflügeln zu dem vom Barte ziemlich verdeckten Mund herab. Und mit
dem tiefen Ernste, welcher ihm eigen, ordnete er auf seinem Platze die Papiere,
ohne darüber ein Wort zu verlieren, welches etwa im Saale gesprochen wurde.
Auch später wechselte er selten mit seinen Nachbarn eine Bemerkung, denn in ihm
war Alles fertig und erwogen. Er hatte jene aristokratische Kunst des guten
Zuhörens, welche so selten ist und darum so mächtig werden kann, weil sie jede
Meinung beachtet und sichtet -- wenn anch nur um sie zu vernichten. Ueber¬
haupt war Schüler's äußere Erscheinung und Behabung vornehm durch und durch,
von guter Sitte und angeborenem Takte zeugend bis ins Kleinste. Dis feine,
weiße Wäsche, die gefällige Uugesuchtheit der durchaus dunklen, aber äußerst
saubern Kleidung, das Vermeiden alles Auffälligen im Aeußern, die kleinen, schön¬
geformten Hände, ihre genüge Gesticulation beim Sprechen, die dialektlose, knappe,
saubere Sprache. -- Alles sagte der gegnerischen Partei: wir haben Alles, was
Ihr so hoch stellt, und sind trotzdem Demokraten vom Wirbel bis zur Zehe.
Schüler bedürfte aber,der stummen Wirkung solcher Formen, denn sein Siech-
thum entzog ihm fast alle Mittel anderer parlamentarischen Kämpen. Er konnte
nur selten sprechen, die Theilnahme an Unbedeutenden hätte ihn aufgerieben.
Er konnte also das parlamentarische Gefecht nicht arrangiren; er mußte immer
dann erst eintreten, wenn das Kampfgetümmel am lautesten löste, wo Jeder
reden, Keiner hören will. Dabei konnte er nicht mit Donnerstimme Gehör er¬
zwingen. Die kranke Brust ließ deu Anfang seiner Reden nur so leise zu, daß
selbst die Nächststehenden ihn kaum verstände". Und trotzdem senkte sich Todten-
stille augenblicklich aus deu Saal, so wie sich Schüler vom Platz erhob. Denn
jetzt ging's an ein Fechten, Mann an Mann, Brust an Brust, bis zum Messer --


ihnen jemals die Berechtigung als anregendes Element versagen. Und gerade in
dieser Beziehung vermag man nicht, sich vergleichender Erinnerungen zu erwehren,
wenn man beim Anblicke der Wallerstein'schen Kämpfe jener ehemaligen gedenkt,
an deren Spitze Friedrich Schüler stand, der Literat ans Zweibrücken, Abgeord¬
neter des Wahlbezirks Kaiserslautern-Kirchheim-Bolanden.

Schon damals war es Sitte der Opposition, erst nach dem Präsidentenrufe
in deu Saal zu treten. Und in der damaligen stürmischen Zeit war's oft mehr ein
Poltern und Stürzen, als ein Gehen nach den Plätzen. Er kam gewöhnlich zuletzt, ein
schmächtiger gekrüumter Manu, schmerzhaft anzusehen, wie er an zwei Krücken sich
mühselig nach seinem Platze schleppte. Aber an Schüler war nichts von der
Erregtheit seiner Genossen, selbst nichts von der hastigen Erhitzung körperlich
gehinderter Meuschen zu bemerken; die Todesblässe seines Antlitzes hatte keine
körperkranke Ueberfarbe, in den regelmäßigen Zügen hatte keine jache Leidenschaft
gewühlt. Dunkel glühte nur das Feuer des früher wol wunderschönen Auges,
das tiefe Schwarz des vollen Bartes wie des spärlichen Haupthaars bleichte bereits
hier und da; ein gewisser schmerzlicher Zug zitterte von den feingeschwungenen
Nasenflügeln zu dem vom Barte ziemlich verdeckten Mund herab. Und mit
dem tiefen Ernste, welcher ihm eigen, ordnete er auf seinem Platze die Papiere,
ohne darüber ein Wort zu verlieren, welches etwa im Saale gesprochen wurde.
Auch später wechselte er selten mit seinen Nachbarn eine Bemerkung, denn in ihm
war Alles fertig und erwogen. Er hatte jene aristokratische Kunst des guten
Zuhörens, welche so selten ist und darum so mächtig werden kann, weil sie jede
Meinung beachtet und sichtet — wenn anch nur um sie zu vernichten. Ueber¬
haupt war Schüler's äußere Erscheinung und Behabung vornehm durch und durch,
von guter Sitte und angeborenem Takte zeugend bis ins Kleinste. Dis feine,
weiße Wäsche, die gefällige Uugesuchtheit der durchaus dunklen, aber äußerst
saubern Kleidung, das Vermeiden alles Auffälligen im Aeußern, die kleinen, schön¬
geformten Hände, ihre genüge Gesticulation beim Sprechen, die dialektlose, knappe,
saubere Sprache. — Alles sagte der gegnerischen Partei: wir haben Alles, was
Ihr so hoch stellt, und sind trotzdem Demokraten vom Wirbel bis zur Zehe.
Schüler bedürfte aber,der stummen Wirkung solcher Formen, denn sein Siech-
thum entzog ihm fast alle Mittel anderer parlamentarischen Kämpen. Er konnte
nur selten sprechen, die Theilnahme an Unbedeutenden hätte ihn aufgerieben.
Er konnte also das parlamentarische Gefecht nicht arrangiren; er mußte immer
dann erst eintreten, wenn das Kampfgetümmel am lautesten löste, wo Jeder
reden, Keiner hören will. Dabei konnte er nicht mit Donnerstimme Gehör er¬
zwingen. Die kranke Brust ließ deu Anfang seiner Reden nur so leise zu, daß
selbst die Nächststehenden ihn kaum verstände». Und trotzdem senkte sich Todten-
stille augenblicklich aus deu Saal, so wie sich Schüler vom Platz erhob. Denn
jetzt ging's an ein Fechten, Mann an Mann, Brust an Brust, bis zum Messer —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/25>, abgerufen am 12.05.2024.