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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Theil der Festlichkeit wird bis zur dunklen Nacht aufgespart. Fast 20 Centner
Zuckerwerk sind mit ungeheuren Kosten bestellt, -- aber nicht für den Gaumen.
Diese Zuckersachcn von allen Arten und in jeder Form, hauptsächlich aber Eidotter
in Zucker eingehüllt, werden auf den Fußboden eines großen Zimmers, wenigstens
drei Zoll hoch, gestreut. In diesem Zimmer erscheinen auf ein gegebenes Zeichen
der Bräutigam und die Braut und tanzen Nomalis, und die übrigen Zigeuner
und Zigeunerinnen folgen ihrem Beispiel. Worte können nicht den leisesten Be¬
griff von dieser Scene geben. In wenigen Minuten ist das Zuckerwerk in Staub
oder vielmehr in einen Brei verwandelt, und die Tänzer sind bis an die Knie
mit Zucker, Früchten und Eidotter bekleckst. Noch wilder wird die wahnsinnige
Lust. Die Männer springen hoch in die Luft, wiehern und krähen, während die
Gitanas mit den Fingern schnalzen, lauter als ob es Castagnetten wären, den
Körper in allerlei obscöne Stellungen bringen, und entsprechende Lieder dazu
singen. In einer Ecke des Zimmers sitzt ein Zigeuner mit einer Guitarre, in
die er mit Wuth greift, und ihr Töne entlockt, die einige entfernte Aehnlichkeit
mit dem Marlboroughliede haben, dessen Text er auch ans Zigeunerisch singt. Das
Fest dauert drei Tage, und wenn es vorbei ist, so ist der größte Theil des Ver¬
mögens des Bräutigams, selbst wenn er vorher wohlhabend war, bei dieser selt¬
samen Schwelgerei daraufgegangen. Es scheint sie während dieser drei Tage eine
Art Wahnsinn zu beherrschen und kein anderer Gedanke in ihrem Kopfe Raum zu
finden, als der, mit ihrem Gelde so rasch als möglich fertig zu werden; Manche
haben sogar anch schon ihr Geld mit vollen Händen auf die Straße geworfen.
Während der ganzen Dauer des Festes sind alle Thüren weit geöffnet, und jeder
Gast, Zigeuner oder Buöno, wird mit unbegrenzter Gastlichkeit bewillkommnet.
In der Ehe sind die Zigeunerinnen ihrem Manne meistens unverbrüchlich treu.
Allerdings giebt es liederliche Frauenspersonen uuter den Verheirateten und den
Unverheiratheten, aber diese Ausnahmen sind sehr selten, denn was körperliche
Keuschheit betrifft, so sind die Zigeunerinnen in Spanien wahre Muster; in
anderer Hinsicht kann von ihrer Moralität freilich wenig Gutes gesagt werdeu.

Wir erlauben uns noch ein Paar Worte über die Poesie der Zigeuner, von
der uus Borrow zahlreiche Probe" aufbewahrt hat. Es sind vierteilige und zu¬
weilen sechszeilige Verse mit Assonanzen, und der darin ausgesprochene Gedanke
nimmt selten mehr als eine Stanze in Anspruch. Ihre Kürze rührt daher, daß sie
wie die spanischen CoplaS zum Guitarrenspiel improvisirt werden. Ihr dichterischer
Gehalt ist äußerst gering, und es spricht sich in ihnen ganz der Charakter des
Volkes, von dem sie herstammen, ans, eines Volkes, das von Gaunereien und
Diebstahl lebt, alle übrigen Menschen haßt und durch gemeinsamen Ursprung,
gemeinsame Sprache und Lebensweise fest unter einander verbunden ist. Die
verschiedenen Vorfälle des Zigeunerlebens und die Empfindungen der Zigeuner
bilden den Hauptgegenstand dieser Verse. Ein Gitano sieht ein Schwein den


Theil der Festlichkeit wird bis zur dunklen Nacht aufgespart. Fast 20 Centner
Zuckerwerk sind mit ungeheuren Kosten bestellt, — aber nicht für den Gaumen.
Diese Zuckersachcn von allen Arten und in jeder Form, hauptsächlich aber Eidotter
in Zucker eingehüllt, werden auf den Fußboden eines großen Zimmers, wenigstens
drei Zoll hoch, gestreut. In diesem Zimmer erscheinen auf ein gegebenes Zeichen
der Bräutigam und die Braut und tanzen Nomalis, und die übrigen Zigeuner
und Zigeunerinnen folgen ihrem Beispiel. Worte können nicht den leisesten Be¬
griff von dieser Scene geben. In wenigen Minuten ist das Zuckerwerk in Staub
oder vielmehr in einen Brei verwandelt, und die Tänzer sind bis an die Knie
mit Zucker, Früchten und Eidotter bekleckst. Noch wilder wird die wahnsinnige
Lust. Die Männer springen hoch in die Luft, wiehern und krähen, während die
Gitanas mit den Fingern schnalzen, lauter als ob es Castagnetten wären, den
Körper in allerlei obscöne Stellungen bringen, und entsprechende Lieder dazu
singen. In einer Ecke des Zimmers sitzt ein Zigeuner mit einer Guitarre, in
die er mit Wuth greift, und ihr Töne entlockt, die einige entfernte Aehnlichkeit
mit dem Marlboroughliede haben, dessen Text er auch ans Zigeunerisch singt. Das
Fest dauert drei Tage, und wenn es vorbei ist, so ist der größte Theil des Ver¬
mögens des Bräutigams, selbst wenn er vorher wohlhabend war, bei dieser selt¬
samen Schwelgerei daraufgegangen. Es scheint sie während dieser drei Tage eine
Art Wahnsinn zu beherrschen und kein anderer Gedanke in ihrem Kopfe Raum zu
finden, als der, mit ihrem Gelde so rasch als möglich fertig zu werden; Manche
haben sogar anch schon ihr Geld mit vollen Händen auf die Straße geworfen.
Während der ganzen Dauer des Festes sind alle Thüren weit geöffnet, und jeder
Gast, Zigeuner oder Buöno, wird mit unbegrenzter Gastlichkeit bewillkommnet.
In der Ehe sind die Zigeunerinnen ihrem Manne meistens unverbrüchlich treu.
Allerdings giebt es liederliche Frauenspersonen uuter den Verheirateten und den
Unverheiratheten, aber diese Ausnahmen sind sehr selten, denn was körperliche
Keuschheit betrifft, so sind die Zigeunerinnen in Spanien wahre Muster; in
anderer Hinsicht kann von ihrer Moralität freilich wenig Gutes gesagt werdeu.

Wir erlauben uns noch ein Paar Worte über die Poesie der Zigeuner, von
der uus Borrow zahlreiche Probe» aufbewahrt hat. Es sind vierteilige und zu¬
weilen sechszeilige Verse mit Assonanzen, und der darin ausgesprochene Gedanke
nimmt selten mehr als eine Stanze in Anspruch. Ihre Kürze rührt daher, daß sie
wie die spanischen CoplaS zum Guitarrenspiel improvisirt werden. Ihr dichterischer
Gehalt ist äußerst gering, und es spricht sich in ihnen ganz der Charakter des
Volkes, von dem sie herstammen, ans, eines Volkes, das von Gaunereien und
Diebstahl lebt, alle übrigen Menschen haßt und durch gemeinsamen Ursprung,
gemeinsame Sprache und Lebensweise fest unter einander verbunden ist. Die
verschiedenen Vorfälle des Zigeunerlebens und die Empfindungen der Zigeuner
bilden den Hauptgegenstand dieser Verse. Ein Gitano sieht ein Schwein den


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[0268] Theil der Festlichkeit wird bis zur dunklen Nacht aufgespart. Fast 20 Centner Zuckerwerk sind mit ungeheuren Kosten bestellt, — aber nicht für den Gaumen. Diese Zuckersachcn von allen Arten und in jeder Form, hauptsächlich aber Eidotter in Zucker eingehüllt, werden auf den Fußboden eines großen Zimmers, wenigstens drei Zoll hoch, gestreut. In diesem Zimmer erscheinen auf ein gegebenes Zeichen der Bräutigam und die Braut und tanzen Nomalis, und die übrigen Zigeuner und Zigeunerinnen folgen ihrem Beispiel. Worte können nicht den leisesten Be¬ griff von dieser Scene geben. In wenigen Minuten ist das Zuckerwerk in Staub oder vielmehr in einen Brei verwandelt, und die Tänzer sind bis an die Knie mit Zucker, Früchten und Eidotter bekleckst. Noch wilder wird die wahnsinnige Lust. Die Männer springen hoch in die Luft, wiehern und krähen, während die Gitanas mit den Fingern schnalzen, lauter als ob es Castagnetten wären, den Körper in allerlei obscöne Stellungen bringen, und entsprechende Lieder dazu singen. In einer Ecke des Zimmers sitzt ein Zigeuner mit einer Guitarre, in die er mit Wuth greift, und ihr Töne entlockt, die einige entfernte Aehnlichkeit mit dem Marlboroughliede haben, dessen Text er auch ans Zigeunerisch singt. Das Fest dauert drei Tage, und wenn es vorbei ist, so ist der größte Theil des Ver¬ mögens des Bräutigams, selbst wenn er vorher wohlhabend war, bei dieser selt¬ samen Schwelgerei daraufgegangen. Es scheint sie während dieser drei Tage eine Art Wahnsinn zu beherrschen und kein anderer Gedanke in ihrem Kopfe Raum zu finden, als der, mit ihrem Gelde so rasch als möglich fertig zu werden; Manche haben sogar anch schon ihr Geld mit vollen Händen auf die Straße geworfen. Während der ganzen Dauer des Festes sind alle Thüren weit geöffnet, und jeder Gast, Zigeuner oder Buöno, wird mit unbegrenzter Gastlichkeit bewillkommnet. In der Ehe sind die Zigeunerinnen ihrem Manne meistens unverbrüchlich treu. Allerdings giebt es liederliche Frauenspersonen uuter den Verheirateten und den Unverheiratheten, aber diese Ausnahmen sind sehr selten, denn was körperliche Keuschheit betrifft, so sind die Zigeunerinnen in Spanien wahre Muster; in anderer Hinsicht kann von ihrer Moralität freilich wenig Gutes gesagt werdeu. Wir erlauben uns noch ein Paar Worte über die Poesie der Zigeuner, von der uus Borrow zahlreiche Probe» aufbewahrt hat. Es sind vierteilige und zu¬ weilen sechszeilige Verse mit Assonanzen, und der darin ausgesprochene Gedanke nimmt selten mehr als eine Stanze in Anspruch. Ihre Kürze rührt daher, daß sie wie die spanischen CoplaS zum Guitarrenspiel improvisirt werden. Ihr dichterischer Gehalt ist äußerst gering, und es spricht sich in ihnen ganz der Charakter des Volkes, von dem sie herstammen, ans, eines Volkes, das von Gaunereien und Diebstahl lebt, alle übrigen Menschen haßt und durch gemeinsamen Ursprung, gemeinsame Sprache und Lebensweise fest unter einander verbunden ist. Die verschiedenen Vorfälle des Zigeunerlebens und die Empfindungen der Zigeuner bilden den Hauptgegenstand dieser Verse. Ein Gitano sieht ein Schwein den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/268>, abgerufen am 14.05.2024.