Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gährung, welche das Ungesunde ausscheiden, wiederum Ruhe und Frieden ins
Leben bringen soll. Wer meint, in einem Volke müsse ein beständiges politisches
reges Leben sein, der täuscht sich übel, so übel wie Der, welcher wähnte, der
Mensch müsse beständig im Fieber liegen. Nun giebt es aber gegenwärtig ganze
Banden, welche das verruchte Handwerk treiben, die Menschen fortdauernd in
politischen Fiebern wüst krank zu erhalten. Kaum ist eine politische Frage, soge¬
nannte Lebensfrage, welche das, gesammte Volksleben ergriffen und aufgerüttelt
hat bis auf deu Grund, glücklich überwunden, und es will die Ruhe kommen,
da werfen sie eine neue auf, das Fieber ist wieder da, in wilden Krämpfen klappern
alle Zähne .... Wie Rückfälle immer gefährlicher sind, in abgeschwächten Körpern
die Krämpfe verzehrender und greulicher (im abgeschwächten römischen Reiche
wütheten die politischen Fragen ganz anders, als in der gesunden Republik, bis
endlich das abgeschwächte Reich zerfiel, weil es die Krankheit nicht, mehr über¬
winden konnte), so wird bei jeder verfluchten Lebensfrage das politische Leben
immer verzehrender und revolutionairer, die Krankheit wird innerlicher, gefähr¬
licher, alle gesunde Kraft immer schwächer und matter .... Umsonst schreit
man dem Volke zu, sich doch nicht fort und fort aufrütteln zu lassen, doch end¬
lich einmal die ungesunden Elemente auszuscheiden, ein christliches Leben zu führen
zum Heil seiner Seele .... Das Volk wird betäubt durch die Höllenknechte,
welche mit ihren Fackeln Herumfahren und ihre Fnriowörter brüllen: Aristokraten,
Pfaffen, Reaction .... Das ist das politische Leben, eine wüste Cholera,
über welche Niemand Macht hat, als Gott allein, der da kommen, und gehen
heißt, was er gut findet zum Heil der Sünder." -- Das ist nicht ein Ausbruch
des Gefühls, der allein steht, wie er bei Jeremias Gotthelf häufig vorkommt,
den man ihm aber nachsehen kann, weil er wie ein Gewitter ist, in dem sich der
lange verhaltene Unmuth Luft macht, ans den dann aber wieder heiterer Sonnen¬
schein und klare reine Luft folgt. Diesmal geht es das ganze Buch hindurch
so, und wenn Gotthelf einmal der Exclamationen müde ist, so kommen Schil¬
derungen von den radicalen Wehrwölsen, die eben keinen erfreulichem Ein¬
druck machen.

Wenn wir auch keineswegs läugnen wollen, daß selbst jenen Ueber¬
treibungen ein richtiger Gedanke zu Grunde liegt, daß die Permanenz der
politischen Aufregung ein Volk erschöpfen muß, so ist es doch ebeu so begreiflich,
daß eine solche Stimmung Alast die richtige ist, ein künstlerisches Werk zu pro-
duciren, ja nicht einmal eine treffende Polemik zu unternehmen. Wäre es wirk¬
lich so, wie Gotthelf schildert, hätte sich das Fieber in der That so gewaltig' des
gesammten Volks bemächtigt, so gäbe es doch nichts Adsurderes, als ihm fort¬
während zuzuschreien, es solle nicht im Fieber liegen. Dadurch, daß man den
Kranken schilt, trägt man Nichts zu seiner Heilung bei. Ja, es könnte wol der
Fall sein, daß der Prediger mit seinem leidenschaftlichen Ungestüm, mit seinem


Gährung, welche das Ungesunde ausscheiden, wiederum Ruhe und Frieden ins
Leben bringen soll. Wer meint, in einem Volke müsse ein beständiges politisches
reges Leben sein, der täuscht sich übel, so übel wie Der, welcher wähnte, der
Mensch müsse beständig im Fieber liegen. Nun giebt es aber gegenwärtig ganze
Banden, welche das verruchte Handwerk treiben, die Menschen fortdauernd in
politischen Fiebern wüst krank zu erhalten. Kaum ist eine politische Frage, soge¬
nannte Lebensfrage, welche das, gesammte Volksleben ergriffen und aufgerüttelt
hat bis auf deu Grund, glücklich überwunden, und es will die Ruhe kommen,
da werfen sie eine neue auf, das Fieber ist wieder da, in wilden Krämpfen klappern
alle Zähne .... Wie Rückfälle immer gefährlicher sind, in abgeschwächten Körpern
die Krämpfe verzehrender und greulicher (im abgeschwächten römischen Reiche
wütheten die politischen Fragen ganz anders, als in der gesunden Republik, bis
endlich das abgeschwächte Reich zerfiel, weil es die Krankheit nicht, mehr über¬
winden konnte), so wird bei jeder verfluchten Lebensfrage das politische Leben
immer verzehrender und revolutionairer, die Krankheit wird innerlicher, gefähr¬
licher, alle gesunde Kraft immer schwächer und matter .... Umsonst schreit
man dem Volke zu, sich doch nicht fort und fort aufrütteln zu lassen, doch end¬
lich einmal die ungesunden Elemente auszuscheiden, ein christliches Leben zu führen
zum Heil seiner Seele .... Das Volk wird betäubt durch die Höllenknechte,
welche mit ihren Fackeln Herumfahren und ihre Fnriowörter brüllen: Aristokraten,
Pfaffen, Reaction .... Das ist das politische Leben, eine wüste Cholera,
über welche Niemand Macht hat, als Gott allein, der da kommen, und gehen
heißt, was er gut findet zum Heil der Sünder." — Das ist nicht ein Ausbruch
des Gefühls, der allein steht, wie er bei Jeremias Gotthelf häufig vorkommt,
den man ihm aber nachsehen kann, weil er wie ein Gewitter ist, in dem sich der
lange verhaltene Unmuth Luft macht, ans den dann aber wieder heiterer Sonnen¬
schein und klare reine Luft folgt. Diesmal geht es das ganze Buch hindurch
so, und wenn Gotthelf einmal der Exclamationen müde ist, so kommen Schil¬
derungen von den radicalen Wehrwölsen, die eben keinen erfreulichem Ein¬
druck machen.

Wenn wir auch keineswegs läugnen wollen, daß selbst jenen Ueber¬
treibungen ein richtiger Gedanke zu Grunde liegt, daß die Permanenz der
politischen Aufregung ein Volk erschöpfen muß, so ist es doch ebeu so begreiflich,
daß eine solche Stimmung Alast die richtige ist, ein künstlerisches Werk zu pro-
duciren, ja nicht einmal eine treffende Polemik zu unternehmen. Wäre es wirk¬
lich so, wie Gotthelf schildert, hätte sich das Fieber in der That so gewaltig' des
gesammten Volks bemächtigt, so gäbe es doch nichts Adsurderes, als ihm fort¬
während zuzuschreien, es solle nicht im Fieber liegen. Dadurch, daß man den
Kranken schilt, trägt man Nichts zu seiner Heilung bei. Ja, es könnte wol der
Fall sein, daß der Prediger mit seinem leidenschaftlichen Ungestüm, mit seinem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93651"/>
          <p xml:id="ID_766" prev="#ID_765"> Gährung, welche das Ungesunde ausscheiden, wiederum Ruhe und Frieden ins<lb/>
Leben bringen soll. Wer meint, in einem Volke müsse ein beständiges politisches<lb/>
reges Leben sein, der täuscht sich übel, so übel wie Der, welcher wähnte, der<lb/>
Mensch müsse beständig im Fieber liegen. Nun giebt es aber gegenwärtig ganze<lb/>
Banden, welche das verruchte Handwerk treiben, die Menschen fortdauernd in<lb/>
politischen Fiebern wüst krank zu erhalten. Kaum ist eine politische Frage, soge¬<lb/>
nannte Lebensfrage, welche das, gesammte Volksleben ergriffen und aufgerüttelt<lb/>
hat bis auf deu Grund, glücklich überwunden, und es will die Ruhe kommen,<lb/>
da werfen sie eine neue auf, das Fieber ist wieder da, in wilden Krämpfen klappern<lb/>
alle Zähne .... Wie Rückfälle immer gefährlicher sind, in abgeschwächten Körpern<lb/>
die Krämpfe verzehrender und greulicher (im abgeschwächten römischen Reiche<lb/>
wütheten die politischen Fragen ganz anders, als in der gesunden Republik, bis<lb/>
endlich das abgeschwächte Reich zerfiel, weil es die Krankheit nicht, mehr über¬<lb/>
winden konnte), so wird bei jeder verfluchten Lebensfrage das politische Leben<lb/>
immer verzehrender und revolutionairer, die Krankheit wird innerlicher, gefähr¬<lb/>
licher, alle gesunde Kraft immer schwächer und matter .... Umsonst schreit<lb/>
man dem Volke zu, sich doch nicht fort und fort aufrütteln zu lassen, doch end¬<lb/>
lich einmal die ungesunden Elemente auszuscheiden, ein christliches Leben zu führen<lb/>
zum Heil seiner Seele .... Das Volk wird betäubt durch die Höllenknechte,<lb/>
welche mit ihren Fackeln Herumfahren und ihre Fnriowörter brüllen: Aristokraten,<lb/>
Pfaffen, Reaction .... Das ist das politische Leben, eine wüste Cholera,<lb/>
über welche Niemand Macht hat, als Gott allein, der da kommen, und gehen<lb/>
heißt, was er gut findet zum Heil der Sünder." &#x2014; Das ist nicht ein Ausbruch<lb/>
des Gefühls, der allein steht, wie er bei Jeremias Gotthelf häufig vorkommt,<lb/>
den man ihm aber nachsehen kann, weil er wie ein Gewitter ist, in dem sich der<lb/>
lange verhaltene Unmuth Luft macht, ans den dann aber wieder heiterer Sonnen¬<lb/>
schein und klare reine Luft folgt. Diesmal geht es das ganze Buch hindurch<lb/>
so, und wenn Gotthelf einmal der Exclamationen müde ist, so kommen Schil¬<lb/>
derungen von den radicalen Wehrwölsen, die eben keinen erfreulichem Ein¬<lb/>
druck machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_767" next="#ID_768"> Wenn wir auch keineswegs läugnen wollen, daß selbst jenen Ueber¬<lb/>
treibungen ein richtiger Gedanke zu Grunde liegt, daß die Permanenz der<lb/>
politischen Aufregung ein Volk erschöpfen muß, so ist es doch ebeu so begreiflich,<lb/>
daß eine solche Stimmung Alast die richtige ist, ein künstlerisches Werk zu pro-<lb/>
duciren, ja nicht einmal eine treffende Polemik zu unternehmen. Wäre es wirk¬<lb/>
lich so, wie Gotthelf schildert, hätte sich das Fieber in der That so gewaltig' des<lb/>
gesammten Volks bemächtigt, so gäbe es doch nichts Adsurderes, als ihm fort¬<lb/>
während zuzuschreien, es solle nicht im Fieber liegen. Dadurch, daß man den<lb/>
Kranken schilt, trägt man Nichts zu seiner Heilung bei. Ja, es könnte wol der<lb/>
Fall sein, daß der Prediger mit seinem leidenschaftlichen Ungestüm, mit seinem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0286] Gährung, welche das Ungesunde ausscheiden, wiederum Ruhe und Frieden ins Leben bringen soll. Wer meint, in einem Volke müsse ein beständiges politisches reges Leben sein, der täuscht sich übel, so übel wie Der, welcher wähnte, der Mensch müsse beständig im Fieber liegen. Nun giebt es aber gegenwärtig ganze Banden, welche das verruchte Handwerk treiben, die Menschen fortdauernd in politischen Fiebern wüst krank zu erhalten. Kaum ist eine politische Frage, soge¬ nannte Lebensfrage, welche das, gesammte Volksleben ergriffen und aufgerüttelt hat bis auf deu Grund, glücklich überwunden, und es will die Ruhe kommen, da werfen sie eine neue auf, das Fieber ist wieder da, in wilden Krämpfen klappern alle Zähne .... Wie Rückfälle immer gefährlicher sind, in abgeschwächten Körpern die Krämpfe verzehrender und greulicher (im abgeschwächten römischen Reiche wütheten die politischen Fragen ganz anders, als in der gesunden Republik, bis endlich das abgeschwächte Reich zerfiel, weil es die Krankheit nicht, mehr über¬ winden konnte), so wird bei jeder verfluchten Lebensfrage das politische Leben immer verzehrender und revolutionairer, die Krankheit wird innerlicher, gefähr¬ licher, alle gesunde Kraft immer schwächer und matter .... Umsonst schreit man dem Volke zu, sich doch nicht fort und fort aufrütteln zu lassen, doch end¬ lich einmal die ungesunden Elemente auszuscheiden, ein christliches Leben zu führen zum Heil seiner Seele .... Das Volk wird betäubt durch die Höllenknechte, welche mit ihren Fackeln Herumfahren und ihre Fnriowörter brüllen: Aristokraten, Pfaffen, Reaction .... Das ist das politische Leben, eine wüste Cholera, über welche Niemand Macht hat, als Gott allein, der da kommen, und gehen heißt, was er gut findet zum Heil der Sünder." — Das ist nicht ein Ausbruch des Gefühls, der allein steht, wie er bei Jeremias Gotthelf häufig vorkommt, den man ihm aber nachsehen kann, weil er wie ein Gewitter ist, in dem sich der lange verhaltene Unmuth Luft macht, ans den dann aber wieder heiterer Sonnen¬ schein und klare reine Luft folgt. Diesmal geht es das ganze Buch hindurch so, und wenn Gotthelf einmal der Exclamationen müde ist, so kommen Schil¬ derungen von den radicalen Wehrwölsen, die eben keinen erfreulichem Ein¬ druck machen. Wenn wir auch keineswegs läugnen wollen, daß selbst jenen Ueber¬ treibungen ein richtiger Gedanke zu Grunde liegt, daß die Permanenz der politischen Aufregung ein Volk erschöpfen muß, so ist es doch ebeu so begreiflich, daß eine solche Stimmung Alast die richtige ist, ein künstlerisches Werk zu pro- duciren, ja nicht einmal eine treffende Polemik zu unternehmen. Wäre es wirk¬ lich so, wie Gotthelf schildert, hätte sich das Fieber in der That so gewaltig' des gesammten Volks bemächtigt, so gäbe es doch nichts Adsurderes, als ihm fort¬ während zuzuschreien, es solle nicht im Fieber liegen. Dadurch, daß man den Kranken schilt, trägt man Nichts zu seiner Heilung bei. Ja, es könnte wol der Fall sein, daß der Prediger mit seinem leidenschaftlichen Ungestüm, mit seinem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/286
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/286>, abgerufen am 14.05.2024.