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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Zustände fielen sehr mager ans, und Montalembert sowol als Guizot machten
blos der Revolution, der alten wie der neuen, den Proceß. Montalembert nahm
Droz' Hauptwerk, die Geschichte Ludwig XVI., zum Anlaß, die Constituante von
1789 aufs Entschiedenste zu bekriegen. Die ganze Opposition des neuen Mit¬
gliedes beschränkte sich daher daraus, die in der letzten Constitntionsphantaste Louis
Napoleon'S als oberste Grundsätze hingestellten Ideen von 1789 zu läugnen.
Montalembert suchte, von dem Gesichtspunkte ausgehend, daß die Revolution
noch nicht vollendet sei, zu beweisen, daß diese nnr Böses im Gefolge habe" könne
und gehabt habe. Er versieht im Interesse der Freiheit die katholische Ortho¬
doxie, und sucht die Quelle aller Uebelstände unsrer Gesellschaft in dem Mangel
an religiösem Glauben, der sich namentlich in Frankreich überall ausspreche. Er
bekämpft die Revolution in allen ihren Aeußeruugen in politischer, literarischer,
wie künstlerischer Beziehung. Er kehrt ungescheut und ohne Phase zum Mittel¬
alter zurück, und selbst die Kunst hat eine Bedeutung für ihn, in sofern sie
Ausdruck der christlichen, lies christkatholischen Idee ist. Der Panegyriker
der ungarischen Heiligen zürnt seinem Vorgänger, daß er in seinen Schriften über
Kunst nicht zum Verherrlicher der Kathedralen und Klosterbauten geworden, welche
das Mittelalter aufgeführt. Montalembert's Rede ist der Ausfluß der radicalsteu
Reaction, und man kann nicht ohne Lächeln die Verirrungen eines so geistvollen
Mannes mit ansehen. Montalembert befand sich übrigens ganz in seinem Ele¬
mente, und im Feuereifer für die katholische Propaganda fand er die schönsten
Bewegungen seiner rednerischen Blüthezeit wieder. Er gemahnte an Peter, deu
Einsiedler, und noch jetzt, wo die Ereignisse selbst seine eigenen Absichten und
Hoffnungen weit überflügelt haben, feuert er zu einer literarisch politischen und
künstlerischen römischen Expedition gegen die Civilisation an. Er predigt für einen
neuen Kreuzzug gegen die moderne Philosophie, gegen die moderne Anschauung
des Lebens, und der Präsident mag mit Erstaunen erfahren, daß er, auch abgesehen
von seinem frivolen Socialismus, wie vom Ursprünge seiner heutigen Macht,
ein Demagog ist, im Vergleiche zu dem, was der Stimmführer der klerikalen Partei
vom Chef der Negierung erwartete. Die Form der überaus langen, obgleich
vielfach abgekürzten Rede sucht vergebens die akademische Objectivität, die attische
Ruhe, die gewiegte Kälte eines vollendeten Philosophen zu erreichen; der Tribun,
der theologische Polemiker, der Journalist guckt aus jeder Zeile des akademischen
Probestücks hervor. Es ist der alte Montalembert, der Burggraf, der Redner
der Poitiersgasse, und indem er der revolutionären Partei vorwirft, die Ge¬
schichte nach ihrem philosophischem System zu verfälschen, tritt er selber mit einer
ans Unglaubliche grenzenden Entstellung der französischen Revolution auf. Der
Schluß und die Moral der langen Rede -- der Cardinalerzbischos nickte nicht
umsonst beständig Beifall -- war, daß die Kirche Alles in Allem sei, und daß
das beste Mittel, den Völkern die Freiheit zu behalten, der monarchische Absolutis-


Zustände fielen sehr mager ans, und Montalembert sowol als Guizot machten
blos der Revolution, der alten wie der neuen, den Proceß. Montalembert nahm
Droz' Hauptwerk, die Geschichte Ludwig XVI., zum Anlaß, die Constituante von
1789 aufs Entschiedenste zu bekriegen. Die ganze Opposition des neuen Mit¬
gliedes beschränkte sich daher daraus, die in der letzten Constitntionsphantaste Louis
Napoleon'S als oberste Grundsätze hingestellten Ideen von 1789 zu läugnen.
Montalembert suchte, von dem Gesichtspunkte ausgehend, daß die Revolution
noch nicht vollendet sei, zu beweisen, daß diese nnr Böses im Gefolge habe» könne
und gehabt habe. Er versieht im Interesse der Freiheit die katholische Ortho¬
doxie, und sucht die Quelle aller Uebelstände unsrer Gesellschaft in dem Mangel
an religiösem Glauben, der sich namentlich in Frankreich überall ausspreche. Er
bekämpft die Revolution in allen ihren Aeußeruugen in politischer, literarischer,
wie künstlerischer Beziehung. Er kehrt ungescheut und ohne Phase zum Mittel¬
alter zurück, und selbst die Kunst hat eine Bedeutung für ihn, in sofern sie
Ausdruck der christlichen, lies christkatholischen Idee ist. Der Panegyriker
der ungarischen Heiligen zürnt seinem Vorgänger, daß er in seinen Schriften über
Kunst nicht zum Verherrlicher der Kathedralen und Klosterbauten geworden, welche
das Mittelalter aufgeführt. Montalembert's Rede ist der Ausfluß der radicalsteu
Reaction, und man kann nicht ohne Lächeln die Verirrungen eines so geistvollen
Mannes mit ansehen. Montalembert befand sich übrigens ganz in seinem Ele¬
mente, und im Feuereifer für die katholische Propaganda fand er die schönsten
Bewegungen seiner rednerischen Blüthezeit wieder. Er gemahnte an Peter, deu
Einsiedler, und noch jetzt, wo die Ereignisse selbst seine eigenen Absichten und
Hoffnungen weit überflügelt haben, feuert er zu einer literarisch politischen und
künstlerischen römischen Expedition gegen die Civilisation an. Er predigt für einen
neuen Kreuzzug gegen die moderne Philosophie, gegen die moderne Anschauung
des Lebens, und der Präsident mag mit Erstaunen erfahren, daß er, auch abgesehen
von seinem frivolen Socialismus, wie vom Ursprünge seiner heutigen Macht,
ein Demagog ist, im Vergleiche zu dem, was der Stimmführer der klerikalen Partei
vom Chef der Negierung erwartete. Die Form der überaus langen, obgleich
vielfach abgekürzten Rede sucht vergebens die akademische Objectivität, die attische
Ruhe, die gewiegte Kälte eines vollendeten Philosophen zu erreichen; der Tribun,
der theologische Polemiker, der Journalist guckt aus jeder Zeile des akademischen
Probestücks hervor. Es ist der alte Montalembert, der Burggraf, der Redner
der Poitiersgasse, und indem er der revolutionären Partei vorwirft, die Ge¬
schichte nach ihrem philosophischem System zu verfälschen, tritt er selber mit einer
ans Unglaubliche grenzenden Entstellung der französischen Revolution auf. Der
Schluß und die Moral der langen Rede — der Cardinalerzbischos nickte nicht
umsonst beständig Beifall — war, daß die Kirche Alles in Allem sei, und daß
das beste Mittel, den Völkern die Freiheit zu behalten, der monarchische Absolutis-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/313>, abgerufen am 12.05.2024.