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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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und bei manchen Sorten ist ein öfteres Umfüllen auch der Flaschen nöthig, um
den Wein von seiner Vergangenheit, die er ausscheidet, zu befreien und ihm eine
gesunde Zukunft zu sichern. Trotzdem ist es einigen Arten eigen, daß sie anch
bei der sorgfältigstell Behandlung den Proceß der feinen Nachgährnng viele Jahre
hindurch mit einer selbst für das Auge bemerkbaren Lebhaftigkeit durchmachen. Sie
gerathen, so oft die Luft deö Frühjahrs in den Keller dringt, in eine innere Auf¬
regung, werden trübe und werfen wol gar- kleine Blasen an die Oberfläche. Der
Deutsche uennut diese Thätigkeit ihr Arbeiten. Während der Zeit soll man sie
nicht stören. Sie sind auch nicht genießbar, denn ein eigenthümlicher, säuerlich
prickelnder Geschmack verletzt an der Zunge, ihr Aroma und ihr Wohlschmack
sind viel geringer. Nach einigen Wochen aber finden sie Ruhe und innere Har¬
monie wieder, und erscheinen ein wenig, aber doch bemerkbar verändert; sie haben
etwas an Süßigkeit verloren, aber an Feuer und Wohlgeruch gewonnen, und
ihre Farbe ist meist Heller geworden. Dunkelrothe Weine werden durch das Alter
rosafarben, wie Schiller, ja zuletzt ganz hell. Süße Weine werden endlich fast
ganz herb.

Die hervorstechendste Eigenthümlichkeit des Ungarweins aber, sein origineller
Geschmack , ist in Worten freilich nicht darzustellen, obgleich die Sprache für ihn
die Bezeichnungen "süß" und ,,herb" in ganz bestimmtem jSiune braucht. Die
Herbheit des ungarischen unterscheidet sich sehr deutlich von der Säure des
Rheinweins und von dem prickelnden Geschmack der französischen Weine. Aber
auch seine Konsistenz-ist größer, als bei seinen westlichen Brüdern. Er ist fetter,
dem Oel ähnlicher, und hängt sich wie das Oel an die Seitenwände des Glases,
das thut uicht uur der süße, bei welchem der Ueberschuß an Zuckerstoff die
größere Dicke leicht erklärt.

Die Sonne Ungarns liegt heiß aus deu Weingeländen und kocht die Bee¬
ren bis zur süßen Reife und darüber hinaus so stark, daß sie zuletzt in der Traube
zusammenschrumpfen und den Rosinen ähnlich bräunliche und bläuliche Farbe er¬
halten. Dann ist ihr schöner Saft zur Syrupdicke zusammen gekocht, und in diesem
Zustande nennt mau sie Trockenbeeren. Diese Trockenbeeren spielen eine wichtige
Rolle im ungarischen Weinbau, durch deu Zusatz ihres dicken Saftes zu dem
Moste aus gewöhnlichen reifen Beeren wird in manchen glückseligen Gegenden der
Ausbruch gemacht.

Die Behandlung des Weines an der Rebe, Traube und im Keller ist noch
häufig sehr naiv und ungenügend, obgleich der Weinbauer in Ungarn, Magyar
oder Deutscher, gewöhnlich ein fleißiger Mensch zu sein pflegt, der sich vortheilhaft
von dem ungarischen Feldbauer unterscheidet. Es ist sür deu Ungar Freude und
Stolz Weingärten zu haben, und die Reichen bringen manchmal große Opfer, um
ein gutes Gewächs von eigenen Bergen in ihren Kellern beherbergen zu können.
In der Nähe großer Städte sind es die reichen Bürger, tiefer im Land die


und bei manchen Sorten ist ein öfteres Umfüllen auch der Flaschen nöthig, um
den Wein von seiner Vergangenheit, die er ausscheidet, zu befreien und ihm eine
gesunde Zukunft zu sichern. Trotzdem ist es einigen Arten eigen, daß sie anch
bei der sorgfältigstell Behandlung den Proceß der feinen Nachgährnng viele Jahre
hindurch mit einer selbst für das Auge bemerkbaren Lebhaftigkeit durchmachen. Sie
gerathen, so oft die Luft deö Frühjahrs in den Keller dringt, in eine innere Auf¬
regung, werden trübe und werfen wol gar- kleine Blasen an die Oberfläche. Der
Deutsche uennut diese Thätigkeit ihr Arbeiten. Während der Zeit soll man sie
nicht stören. Sie sind auch nicht genießbar, denn ein eigenthümlicher, säuerlich
prickelnder Geschmack verletzt an der Zunge, ihr Aroma und ihr Wohlschmack
sind viel geringer. Nach einigen Wochen aber finden sie Ruhe und innere Har¬
monie wieder, und erscheinen ein wenig, aber doch bemerkbar verändert; sie haben
etwas an Süßigkeit verloren, aber an Feuer und Wohlgeruch gewonnen, und
ihre Farbe ist meist Heller geworden. Dunkelrothe Weine werden durch das Alter
rosafarben, wie Schiller, ja zuletzt ganz hell. Süße Weine werden endlich fast
ganz herb.

Die hervorstechendste Eigenthümlichkeit des Ungarweins aber, sein origineller
Geschmack , ist in Worten freilich nicht darzustellen, obgleich die Sprache für ihn
die Bezeichnungen „süß" und ,,herb" in ganz bestimmtem jSiune braucht. Die
Herbheit des ungarischen unterscheidet sich sehr deutlich von der Säure des
Rheinweins und von dem prickelnden Geschmack der französischen Weine. Aber
auch seine Konsistenz-ist größer, als bei seinen westlichen Brüdern. Er ist fetter,
dem Oel ähnlicher, und hängt sich wie das Oel an die Seitenwände des Glases,
das thut uicht uur der süße, bei welchem der Ueberschuß an Zuckerstoff die
größere Dicke leicht erklärt.

Die Sonne Ungarns liegt heiß aus deu Weingeländen und kocht die Bee¬
ren bis zur süßen Reife und darüber hinaus so stark, daß sie zuletzt in der Traube
zusammenschrumpfen und den Rosinen ähnlich bräunliche und bläuliche Farbe er¬
halten. Dann ist ihr schöner Saft zur Syrupdicke zusammen gekocht, und in diesem
Zustande nennt mau sie Trockenbeeren. Diese Trockenbeeren spielen eine wichtige
Rolle im ungarischen Weinbau, durch deu Zusatz ihres dicken Saftes zu dem
Moste aus gewöhnlichen reifen Beeren wird in manchen glückseligen Gegenden der
Ausbruch gemacht.

Die Behandlung des Weines an der Rebe, Traube und im Keller ist noch
häufig sehr naiv und ungenügend, obgleich der Weinbauer in Ungarn, Magyar
oder Deutscher, gewöhnlich ein fleißiger Mensch zu sein pflegt, der sich vortheilhaft
von dem ungarischen Feldbauer unterscheidet. Es ist sür deu Ungar Freude und
Stolz Weingärten zu haben, und die Reichen bringen manchmal große Opfer, um
ein gutes Gewächs von eigenen Bergen in ihren Kellern beherbergen zu können.
In der Nähe großer Städte sind es die reichen Bürger, tiefer im Land die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/37>, abgerufen am 12.05.2024.