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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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1809 nach dem Rücktritt Lord Castlereagh's wurde Palmerston Kriegssecretair, und
blieb in diesem Amte 19 Jahre, ohne durch die Ermordung des Premiers Percival,
die Intriguen gegen Canning, oder das gebieterische Wesen des Herzogs von Welling¬
ton sich in dem ruhigen Besitz seines Postens stören zu lassen. Merkwürdiger Weise
verrieth er während dieser Fragen lange Zeit bei keiner Gelegenheit hervorragendes
Talent. Er war wenig mehr als ein gewandter Bureaukrat, und Wenige ahnten, daß
dieses hübsche, lächelnde Gesicht, und die heitere, offene Stirn den Geist und die Ener¬
gie verbarg, welche einige Jahre später bestimmend auf die Geschicke der ganzen civili-
sirten Welt einwirken sollten. In diesem Abschnitte seiner politischen Laufbahn war
Palmerston ein standhafter Vertheidiger der Katholikenemancipation, und ein Gegner
der Parlamentsresorm, -- vielleicht aus Dankbarkeit gegen den "verfaulten Wahlflecken"
Bletchingley, der ihn ins Parlament gebracht hatte. Ritterlich hielt er bei Canning
aus, als sich dieser große Staatsmann von allen seinen Collegen verlassen sah, und
wußte mit großer Gewandtheit seine Stelle unter dem kurzen Ministerium Goderich und
dem Herzog von Wellington zu behaupten. Bis dahin hatte er zu den Tories gehal¬
ten, aber seine enge Verbindung mit Canning hatte sein Verhältniß zu ihnen schon locke¬
rer gemacht. 1834- fügte er sich in die Reform, und schloß sich den Whigs an, in
deren erstem Ministerium er Staatssecretair der auswärtigen Angelegenheiten wurde.
Seit dieser Zeit bis zu seinem erzwungenen Rücktritt im vorigen December ist seine
politische Laufbahn Jedem bekannt, der eine Zeitung liest.

Es .ist noch ein Räthsel, was Palmerston, der sonst nach dem Ruhme strebte, überall
als Vertheidiger des konstitutionellen Princips aufzutreten, so plötzlich zum Verehrer der
napoleonischen Säbelherrschaft gemacht hat. Vielleicht hat sein sehr lebhaftes persönliches
Gefühl einen großen Antheil daran, denn die Partei, welche Ludwig Napoleon am 2.
December stürzte, hat ihn von jeher am bittersten angegriffen. Nicht Wenige haben
seinen Fall beklagt, deM der edle Lord hatte sich durch seine hohe Begabung, seine
große Liebenswürdigkeit, und die dem nationalen Stolze schmeichelnde agressive Tendenz
seiner Politik zahlreiche Freunde erworben. Unter den Parlamentsrednern, nahm Lord
Palmerston eine der ersten Stellen ein. Sein Stoff war gediegen, seine Sprache flie¬
ßend und gewählt, sein Styl so correct, daß die Reporter selten Ueberflüssiges zu
streichen, oder Lücken auszufüllen hatten. Wenn er sich zu einer Rede erhob, hatte der
Sprecher nicht erst nöthig, Schweigen zu gebieten. Selbst der nimmerruhende Sib-
thorp war still, und Howard von Carlisle hielt ein in seinem Geplauder, mit dem' er
so viele audere Reden zu begleiten pflegte. Wie er allmählich wärmer wurde, riß er die
Versammlung mit sich fort, bis er zuletzt mit einer kräftigen "Rule Britannia" Phrase
einen begeisterten Beifallssturm hervorrief, wie er nur im englischen Unterhaus zu hören
ist. Seine große Vertheidigungsrede in der griechischen Frage gehört zu den schönsten
Leistungen neuerer Zeit. Ju einer ohne Unterbrechung von 9 Uhr Abends bis 1 Uhr
früh dauernden Rede gab der edle Lord einen Ueberblick über die Geschichte Europa's
währeud der letzten ereignißreichen.Jahre, welche an Eleganz und Klarheit der Anord¬
nung selbst für ein geschriebenes Werk zum Muster dienen könnte. Ohne sich nur eine
einzige Notiz niedergeschrieben zu haben, ohne andere Hilfe als sein Gedächtniß nahm
er die Reden seiner Ankläger nach der Reihe vor, führte ganze Stellen daraus wört¬
lich an, zergliederte Angriffe und Argumentationen und widerlegte sie siegreich, spielte
mit den Geheimnissen der Geographie, und entwirrte den Knäuel diplomatischer Intriguen,
bis das Ganze Allen so verständlich ward, wie das ABC-Buch. In den unwirthlichen
Pässen des Balkans, und in den rcichcultivirteu Ebenen der Lombardei, in den Marschen
Holsteins und an dem vcilchenreichen Ufer des Jlyssus war er gleich zu Hause, und
an jedem dieser weltentlegenen Orte legte er seine Unschuld dar und rechfertigte seine
Politik. Das Haus war fast ohne Ausnahme für ihn. Wäre er damals, im Au¬
genblick des stolzesten Sieges, zurückgetreten, wie ruhmvoll wäre er geschieden. Aber
das Ende großer Männer ist nicht immer ihrer Thaten würdig. Hannibal, nachdem er


1809 nach dem Rücktritt Lord Castlereagh's wurde Palmerston Kriegssecretair, und
blieb in diesem Amte 19 Jahre, ohne durch die Ermordung des Premiers Percival,
die Intriguen gegen Canning, oder das gebieterische Wesen des Herzogs von Welling¬
ton sich in dem ruhigen Besitz seines Postens stören zu lassen. Merkwürdiger Weise
verrieth er während dieser Fragen lange Zeit bei keiner Gelegenheit hervorragendes
Talent. Er war wenig mehr als ein gewandter Bureaukrat, und Wenige ahnten, daß
dieses hübsche, lächelnde Gesicht, und die heitere, offene Stirn den Geist und die Ener¬
gie verbarg, welche einige Jahre später bestimmend auf die Geschicke der ganzen civili-
sirten Welt einwirken sollten. In diesem Abschnitte seiner politischen Laufbahn war
Palmerston ein standhafter Vertheidiger der Katholikenemancipation, und ein Gegner
der Parlamentsresorm, — vielleicht aus Dankbarkeit gegen den „verfaulten Wahlflecken"
Bletchingley, der ihn ins Parlament gebracht hatte. Ritterlich hielt er bei Canning
aus, als sich dieser große Staatsmann von allen seinen Collegen verlassen sah, und
wußte mit großer Gewandtheit seine Stelle unter dem kurzen Ministerium Goderich und
dem Herzog von Wellington zu behaupten. Bis dahin hatte er zu den Tories gehal¬
ten, aber seine enge Verbindung mit Canning hatte sein Verhältniß zu ihnen schon locke¬
rer gemacht. 1834- fügte er sich in die Reform, und schloß sich den Whigs an, in
deren erstem Ministerium er Staatssecretair der auswärtigen Angelegenheiten wurde.
Seit dieser Zeit bis zu seinem erzwungenen Rücktritt im vorigen December ist seine
politische Laufbahn Jedem bekannt, der eine Zeitung liest.

Es .ist noch ein Räthsel, was Palmerston, der sonst nach dem Ruhme strebte, überall
als Vertheidiger des konstitutionellen Princips aufzutreten, so plötzlich zum Verehrer der
napoleonischen Säbelherrschaft gemacht hat. Vielleicht hat sein sehr lebhaftes persönliches
Gefühl einen großen Antheil daran, denn die Partei, welche Ludwig Napoleon am 2.
December stürzte, hat ihn von jeher am bittersten angegriffen. Nicht Wenige haben
seinen Fall beklagt, deM der edle Lord hatte sich durch seine hohe Begabung, seine
große Liebenswürdigkeit, und die dem nationalen Stolze schmeichelnde agressive Tendenz
seiner Politik zahlreiche Freunde erworben. Unter den Parlamentsrednern, nahm Lord
Palmerston eine der ersten Stellen ein. Sein Stoff war gediegen, seine Sprache flie¬
ßend und gewählt, sein Styl so correct, daß die Reporter selten Ueberflüssiges zu
streichen, oder Lücken auszufüllen hatten. Wenn er sich zu einer Rede erhob, hatte der
Sprecher nicht erst nöthig, Schweigen zu gebieten. Selbst der nimmerruhende Sib-
thorp war still, und Howard von Carlisle hielt ein in seinem Geplauder, mit dem' er
so viele audere Reden zu begleiten pflegte. Wie er allmählich wärmer wurde, riß er die
Versammlung mit sich fort, bis er zuletzt mit einer kräftigen „Rule Britannia" Phrase
einen begeisterten Beifallssturm hervorrief, wie er nur im englischen Unterhaus zu hören
ist. Seine große Vertheidigungsrede in der griechischen Frage gehört zu den schönsten
Leistungen neuerer Zeit. Ju einer ohne Unterbrechung von 9 Uhr Abends bis 1 Uhr
früh dauernden Rede gab der edle Lord einen Ueberblick über die Geschichte Europa's
währeud der letzten ereignißreichen.Jahre, welche an Eleganz und Klarheit der Anord¬
nung selbst für ein geschriebenes Werk zum Muster dienen könnte. Ohne sich nur eine
einzige Notiz niedergeschrieben zu haben, ohne andere Hilfe als sein Gedächtniß nahm
er die Reden seiner Ankläger nach der Reihe vor, führte ganze Stellen daraus wört¬
lich an, zergliederte Angriffe und Argumentationen und widerlegte sie siegreich, spielte
mit den Geheimnissen der Geographie, und entwirrte den Knäuel diplomatischer Intriguen,
bis das Ganze Allen so verständlich ward, wie das ABC-Buch. In den unwirthlichen
Pässen des Balkans, und in den rcichcultivirteu Ebenen der Lombardei, in den Marschen
Holsteins und an dem vcilchenreichen Ufer des Jlyssus war er gleich zu Hause, und
an jedem dieser weltentlegenen Orte legte er seine Unschuld dar und rechfertigte seine
Politik. Das Haus war fast ohne Ausnahme für ihn. Wäre er damals, im Au¬
genblick des stolzesten Sieges, zurückgetreten, wie ruhmvoll wäre er geschieden. Aber
das Ende großer Männer ist nicht immer ihrer Thaten würdig. Hannibal, nachdem er


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[0526] 1809 nach dem Rücktritt Lord Castlereagh's wurde Palmerston Kriegssecretair, und blieb in diesem Amte 19 Jahre, ohne durch die Ermordung des Premiers Percival, die Intriguen gegen Canning, oder das gebieterische Wesen des Herzogs von Welling¬ ton sich in dem ruhigen Besitz seines Postens stören zu lassen. Merkwürdiger Weise verrieth er während dieser Fragen lange Zeit bei keiner Gelegenheit hervorragendes Talent. Er war wenig mehr als ein gewandter Bureaukrat, und Wenige ahnten, daß dieses hübsche, lächelnde Gesicht, und die heitere, offene Stirn den Geist und die Ener¬ gie verbarg, welche einige Jahre später bestimmend auf die Geschicke der ganzen civili- sirten Welt einwirken sollten. In diesem Abschnitte seiner politischen Laufbahn war Palmerston ein standhafter Vertheidiger der Katholikenemancipation, und ein Gegner der Parlamentsresorm, — vielleicht aus Dankbarkeit gegen den „verfaulten Wahlflecken" Bletchingley, der ihn ins Parlament gebracht hatte. Ritterlich hielt er bei Canning aus, als sich dieser große Staatsmann von allen seinen Collegen verlassen sah, und wußte mit großer Gewandtheit seine Stelle unter dem kurzen Ministerium Goderich und dem Herzog von Wellington zu behaupten. Bis dahin hatte er zu den Tories gehal¬ ten, aber seine enge Verbindung mit Canning hatte sein Verhältniß zu ihnen schon locke¬ rer gemacht. 1834- fügte er sich in die Reform, und schloß sich den Whigs an, in deren erstem Ministerium er Staatssecretair der auswärtigen Angelegenheiten wurde. Seit dieser Zeit bis zu seinem erzwungenen Rücktritt im vorigen December ist seine politische Laufbahn Jedem bekannt, der eine Zeitung liest. Es .ist noch ein Räthsel, was Palmerston, der sonst nach dem Ruhme strebte, überall als Vertheidiger des konstitutionellen Princips aufzutreten, so plötzlich zum Verehrer der napoleonischen Säbelherrschaft gemacht hat. Vielleicht hat sein sehr lebhaftes persönliches Gefühl einen großen Antheil daran, denn die Partei, welche Ludwig Napoleon am 2. December stürzte, hat ihn von jeher am bittersten angegriffen. Nicht Wenige haben seinen Fall beklagt, deM der edle Lord hatte sich durch seine hohe Begabung, seine große Liebenswürdigkeit, und die dem nationalen Stolze schmeichelnde agressive Tendenz seiner Politik zahlreiche Freunde erworben. Unter den Parlamentsrednern, nahm Lord Palmerston eine der ersten Stellen ein. Sein Stoff war gediegen, seine Sprache flie¬ ßend und gewählt, sein Styl so correct, daß die Reporter selten Ueberflüssiges zu streichen, oder Lücken auszufüllen hatten. Wenn er sich zu einer Rede erhob, hatte der Sprecher nicht erst nöthig, Schweigen zu gebieten. Selbst der nimmerruhende Sib- thorp war still, und Howard von Carlisle hielt ein in seinem Geplauder, mit dem' er so viele audere Reden zu begleiten pflegte. Wie er allmählich wärmer wurde, riß er die Versammlung mit sich fort, bis er zuletzt mit einer kräftigen „Rule Britannia" Phrase einen begeisterten Beifallssturm hervorrief, wie er nur im englischen Unterhaus zu hören ist. Seine große Vertheidigungsrede in der griechischen Frage gehört zu den schönsten Leistungen neuerer Zeit. Ju einer ohne Unterbrechung von 9 Uhr Abends bis 1 Uhr früh dauernden Rede gab der edle Lord einen Ueberblick über die Geschichte Europa's währeud der letzten ereignißreichen.Jahre, welche an Eleganz und Klarheit der Anord¬ nung selbst für ein geschriebenes Werk zum Muster dienen könnte. Ohne sich nur eine einzige Notiz niedergeschrieben zu haben, ohne andere Hilfe als sein Gedächtniß nahm er die Reden seiner Ankläger nach der Reihe vor, führte ganze Stellen daraus wört¬ lich an, zergliederte Angriffe und Argumentationen und widerlegte sie siegreich, spielte mit den Geheimnissen der Geographie, und entwirrte den Knäuel diplomatischer Intriguen, bis das Ganze Allen so verständlich ward, wie das ABC-Buch. In den unwirthlichen Pässen des Balkans, und in den rcichcultivirteu Ebenen der Lombardei, in den Marschen Holsteins und an dem vcilchenreichen Ufer des Jlyssus war er gleich zu Hause, und an jedem dieser weltentlegenen Orte legte er seine Unschuld dar und rechfertigte seine Politik. Das Haus war fast ohne Ausnahme für ihn. Wäre er damals, im Au¬ genblick des stolzesten Sieges, zurückgetreten, wie ruhmvoll wäre er geschieden. Aber das Ende großer Männer ist nicht immer ihrer Thaten würdig. Hannibal, nachdem er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/526>, abgerufen am 13.05.2024.