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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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auf dem Lande seinen Ruf auf's Spiel setzte, wenn er seinen Kranken den Ge¬
nuß des reinen, oder, wie der Bauer sagt, des blanken Wassers verordnete;
allmählich ist jedoch der Ruf von der Wasserheilkunde auch zur ländlichen Bevölke¬
rung gedrungen, und sie läßt sich das Wasser wenigstens als Cur gefallen.

Was die anderen Getränke angeht, so ist der Franzwein (Bordeaux), der
vorzugsweise in dem-bis jetzt noch bestehenden Steuerverein getrunken wird, so
wohlfeil die geringen Sorten anch sein mögen, dennoch ein Gegenstand des Luxus;
und auch das Bier, obgleich es mehr und mehr in Aufnahme kommt, ist immer
noch zu gering oder zu theuer. So bleibt der ärmern Klasse nur der Brannt¬
wein übrig, der eher ein Feind als ein Freund des Menschen ist. Bier und
Wein machen den Menschen fröhlich; an den Orten, wo sie gespendet werden,
herrscht Lachen und Gesang. In den Branntweinschänken geht es still zu; die
Gäste sitzen im Oldenburgischen meistens nicht einmal, sondern gießen stehend, auf
kalter Hausflur, das Feuerwasser in sich hinein, stumm und stier vor sich hinblickend,
und von Zeit zu Zeit durch Ausklopfen ein zweites Glas fordernd. Kommt es
zur Lustigkeit, so ist es eine bestialische. An die Reben und ihren goldenen Saft
knüpft sich eine Fülle von Poesie; die Biertrinker haben wenigstens den, König
Gambrinus zum Patron; aber der Schnapps ist ein gottverlassenes, brutales Ge¬
tränk. Es giebt freilich achtzig- und neunzigjährige Branntweintrint'er; man wird
deshalb Bedenken tragen, den Branntwein, in kleinen Quantitäten und überhaupt
mäßig genossen, als schädlich für derbe Menschen darzustellen, wie das vou vielen
Eiferern der Mäßigkeitsvereine geschehen ist. Die Gefahr liegt in der leichten
Verlockung zum Uebermaß; das Zuviel grenzt hier so nahe an das Nichtzuviel,
und wirkt, wenn es zur Gewohnheit wird, so verderblich, daß meiner Meinung
nach dieses Getränke mit allen Waffen bekämpft werden muß. Seine Unentbehr-
lichkeit in gewissen Fällen behaupten zu wolle", ist thöricht, da unsre Vorfahren,
die uns an Rüstigkeit eher übertrafen als uns nachstanden, ihn überhaupt gar
nicht gekannt haben. Wer es noch bezweifelt, daß der Branntwein ein physisches
und moralisches Gift sei, der durchforsche die Hütten der oldcnburger Landleute;
er sehe, wie schreiende Kinder mit Branntwein beruhigt, d. h. betäubt werden;
wie nicht allein der Mann, sondern auch die Frau, mit der Schnappsflasche in
der Hand, ins Feld ziehen, um daraus für sich, für ihre Knaben und Mädchen
eine vermeintliche Stärkung zur Arbeit zu gewinnen, welche aber Nichts ist als
eine Aufreizung, flüchtig wirkend wie ein Peitschenhieb, und tarw in Mattigkeit
umschlagend; er sehe, wie sonst achtbare Familienhäupter, ja die ganze Familie
selbst und ganze Districte, dem Schnappstenfcl verfallen, der sie ans Wohlstand
in bettelhafte Armuth, ans Glück und Unschuld in Unfrieden und Verbrechen, aus
Ehre in die tiefste Schmach und Schande stürzt, und er wird sagen müssen, daß
der Branntwein der Hauptfeind und Tyrann des sonst so gut gearteten olden-
bnrger Volkes sei.


auf dem Lande seinen Ruf auf's Spiel setzte, wenn er seinen Kranken den Ge¬
nuß des reinen, oder, wie der Bauer sagt, des blanken Wassers verordnete;
allmählich ist jedoch der Ruf von der Wasserheilkunde auch zur ländlichen Bevölke¬
rung gedrungen, und sie läßt sich das Wasser wenigstens als Cur gefallen.

Was die anderen Getränke angeht, so ist der Franzwein (Bordeaux), der
vorzugsweise in dem-bis jetzt noch bestehenden Steuerverein getrunken wird, so
wohlfeil die geringen Sorten anch sein mögen, dennoch ein Gegenstand des Luxus;
und auch das Bier, obgleich es mehr und mehr in Aufnahme kommt, ist immer
noch zu gering oder zu theuer. So bleibt der ärmern Klasse nur der Brannt¬
wein übrig, der eher ein Feind als ein Freund des Menschen ist. Bier und
Wein machen den Menschen fröhlich; an den Orten, wo sie gespendet werden,
herrscht Lachen und Gesang. In den Branntweinschänken geht es still zu; die
Gäste sitzen im Oldenburgischen meistens nicht einmal, sondern gießen stehend, auf
kalter Hausflur, das Feuerwasser in sich hinein, stumm und stier vor sich hinblickend,
und von Zeit zu Zeit durch Ausklopfen ein zweites Glas fordernd. Kommt es
zur Lustigkeit, so ist es eine bestialische. An die Reben und ihren goldenen Saft
knüpft sich eine Fülle von Poesie; die Biertrinker haben wenigstens den, König
Gambrinus zum Patron; aber der Schnapps ist ein gottverlassenes, brutales Ge¬
tränk. Es giebt freilich achtzig- und neunzigjährige Branntweintrint'er; man wird
deshalb Bedenken tragen, den Branntwein, in kleinen Quantitäten und überhaupt
mäßig genossen, als schädlich für derbe Menschen darzustellen, wie das vou vielen
Eiferern der Mäßigkeitsvereine geschehen ist. Die Gefahr liegt in der leichten
Verlockung zum Uebermaß; das Zuviel grenzt hier so nahe an das Nichtzuviel,
und wirkt, wenn es zur Gewohnheit wird, so verderblich, daß meiner Meinung
nach dieses Getränke mit allen Waffen bekämpft werden muß. Seine Unentbehr-
lichkeit in gewissen Fällen behaupten zu wolle», ist thöricht, da unsre Vorfahren,
die uns an Rüstigkeit eher übertrafen als uns nachstanden, ihn überhaupt gar
nicht gekannt haben. Wer es noch bezweifelt, daß der Branntwein ein physisches
und moralisches Gift sei, der durchforsche die Hütten der oldcnburger Landleute;
er sehe, wie schreiende Kinder mit Branntwein beruhigt, d. h. betäubt werden;
wie nicht allein der Mann, sondern auch die Frau, mit der Schnappsflasche in
der Hand, ins Feld ziehen, um daraus für sich, für ihre Knaben und Mädchen
eine vermeintliche Stärkung zur Arbeit zu gewinnen, welche aber Nichts ist als
eine Aufreizung, flüchtig wirkend wie ein Peitschenhieb, und tarw in Mattigkeit
umschlagend; er sehe, wie sonst achtbare Familienhäupter, ja die ganze Familie
selbst und ganze Districte, dem Schnappstenfcl verfallen, der sie ans Wohlstand
in bettelhafte Armuth, ans Glück und Unschuld in Unfrieden und Verbrechen, aus
Ehre in die tiefste Schmach und Schande stürzt, und er wird sagen müssen, daß
der Branntwein der Hauptfeind und Tyrann des sonst so gut gearteten olden-
bnrger Volkes sei.


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[0436] auf dem Lande seinen Ruf auf's Spiel setzte, wenn er seinen Kranken den Ge¬ nuß des reinen, oder, wie der Bauer sagt, des blanken Wassers verordnete; allmählich ist jedoch der Ruf von der Wasserheilkunde auch zur ländlichen Bevölke¬ rung gedrungen, und sie läßt sich das Wasser wenigstens als Cur gefallen. Was die anderen Getränke angeht, so ist der Franzwein (Bordeaux), der vorzugsweise in dem-bis jetzt noch bestehenden Steuerverein getrunken wird, so wohlfeil die geringen Sorten anch sein mögen, dennoch ein Gegenstand des Luxus; und auch das Bier, obgleich es mehr und mehr in Aufnahme kommt, ist immer noch zu gering oder zu theuer. So bleibt der ärmern Klasse nur der Brannt¬ wein übrig, der eher ein Feind als ein Freund des Menschen ist. Bier und Wein machen den Menschen fröhlich; an den Orten, wo sie gespendet werden, herrscht Lachen und Gesang. In den Branntweinschänken geht es still zu; die Gäste sitzen im Oldenburgischen meistens nicht einmal, sondern gießen stehend, auf kalter Hausflur, das Feuerwasser in sich hinein, stumm und stier vor sich hinblickend, und von Zeit zu Zeit durch Ausklopfen ein zweites Glas fordernd. Kommt es zur Lustigkeit, so ist es eine bestialische. An die Reben und ihren goldenen Saft knüpft sich eine Fülle von Poesie; die Biertrinker haben wenigstens den, König Gambrinus zum Patron; aber der Schnapps ist ein gottverlassenes, brutales Ge¬ tränk. Es giebt freilich achtzig- und neunzigjährige Branntweintrint'er; man wird deshalb Bedenken tragen, den Branntwein, in kleinen Quantitäten und überhaupt mäßig genossen, als schädlich für derbe Menschen darzustellen, wie das vou vielen Eiferern der Mäßigkeitsvereine geschehen ist. Die Gefahr liegt in der leichten Verlockung zum Uebermaß; das Zuviel grenzt hier so nahe an das Nichtzuviel, und wirkt, wenn es zur Gewohnheit wird, so verderblich, daß meiner Meinung nach dieses Getränke mit allen Waffen bekämpft werden muß. Seine Unentbehr- lichkeit in gewissen Fällen behaupten zu wolle», ist thöricht, da unsre Vorfahren, die uns an Rüstigkeit eher übertrafen als uns nachstanden, ihn überhaupt gar nicht gekannt haben. Wer es noch bezweifelt, daß der Branntwein ein physisches und moralisches Gift sei, der durchforsche die Hütten der oldcnburger Landleute; er sehe, wie schreiende Kinder mit Branntwein beruhigt, d. h. betäubt werden; wie nicht allein der Mann, sondern auch die Frau, mit der Schnappsflasche in der Hand, ins Feld ziehen, um daraus für sich, für ihre Knaben und Mädchen eine vermeintliche Stärkung zur Arbeit zu gewinnen, welche aber Nichts ist als eine Aufreizung, flüchtig wirkend wie ein Peitschenhieb, und tarw in Mattigkeit umschlagend; er sehe, wie sonst achtbare Familienhäupter, ja die ganze Familie selbst und ganze Districte, dem Schnappstenfcl verfallen, der sie ans Wohlstand in bettelhafte Armuth, ans Glück und Unschuld in Unfrieden und Verbrechen, aus Ehre in die tiefste Schmach und Schande stürzt, und er wird sagen müssen, daß der Branntwein der Hauptfeind und Tyrann des sonst so gut gearteten olden- bnrger Volkes sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/436>, abgerufen am 22.05.2024.