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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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besonderer Empfänglichkeit begabte Geister giebt es eine eigene Poesie. Wer
wollte wünschen, daß aus dem Schatz unserer nationalen Musik irgend eines von
den Kleinoten fehlte, die Beethoven in der letzten Zeit seines Lebens unverkenn¬
bar in der oben charakterisirten Richtung geschaffen hat? Allein eine allgemei¬
nere Verbreitung dieser Richtung wäre offenbar der Untergang aller Kunst, denn
alle Künstler, die eine feinere Bildung haben oder sie zu besitzen glauben, werden
unwillkürlich in diese Bahn mit fortgerissen, und eben dadurch wird als
Gegensatz eine populaire Musik hervorgerufen, die aller Bildung
entbehrt. Wenn die gebildeten Musiker sich in das einsame Labyrinth ihrer
Capricen verlieret, so findet die Menge ihre Flotow's. Eben so machte die
ehemalige Weimarer Kunstperiode Kotzebue und Jffland nothwendig, eben so ver¬
schulden es kritische Schriften, die in ihrer Form ans Mystische streifen, wie Liszt's
Werke über Lohengrin und Tannhäuser, die Popularität wohlbekannter Briefe.
-- Und jene Richtung uach dem Anonymen und Capriciösen hat sich selbst in den
kleinsten ihrer ganzen Bestimmung nach populairen Formen eingebürgert. Man
denke an die Lieder von Robert Frattz und an die neuesten Werke Schumann's.

Zweitens. Noch immer scheint bei Liszt die universale Tendenz über die
individuelle Hinauszugeheu. -Die Aufgabe", die man einer Bühne stellt, müssen
doch in irgeud welchem Verhältniß zu den Kräften dieser Bühne stehen, sonst
sührt man ein schnelles, aber schwindsüchtiges Leben herbei. Die Kräfte der
Bühne von Weimar sind gut, aber sie sind doch immer nnr die Kräfte einer
Bühne zweiten Ranges und können der Natur der Dinge nach nie etwas mehr
werden, denn sie sind nothwendigerweise abhängig von den Mitteln des Publi-
cums. Was ist es nun für eine Idee, mit solchen Kräften sich an ein Werk zu
machen wie Benvenuto.Cellini! -- Wir berühren diesen Punkt hier nur obenhin,
weil er uns ferner liegt.

Drittens. Die Einseitigkeit der Richtung wird dadurch auf eine gehässige
Weise verstärkt, daß sie sich zu einer vollständig organisirten Coterie abgerundet
hat, gerade wie es die französischen Parteien sind. Dieses Parteiwesen ist der
Sache, die Liszt vertritt, nicht nützlich. Wenn eine Clique, die in einer Sprache
redet, wie man sie sonst nur von betrunkenen Eckenstehern gewohnt ist, sich ge¬
schäftig zeigt, für Liszt's Ideen Propaganda zu machen, so wird die öffentliche
Meinung nur zu geneigt sein, ihn mit zur Verantwortlichkeit zu ziehen. Liszt
wird von dem französischen Pcirteiwesen her noch sehr gut wissen, daß man für Un¬
verschämtheiten eines Parteiblattes, wenn sie sich wiederhole", nicht den namenlosen
Schriftsteller, der den Namen hergiebt, sondern den Führer der Partei verant¬
wortlich macht. Wenn solche Dinge öfters vorkommen, wie der bekannte Aufsatz
über Henriette Sontag, so würde sich Liszt die schöne Stellung, die er in
Deutschland hat, allmählich verscherzen, und seine Wirksamkeit, die eine so segens¬
reiche werden könnte, nach allen Seiten hin gelähmt werden.




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besonderer Empfänglichkeit begabte Geister giebt es eine eigene Poesie. Wer
wollte wünschen, daß aus dem Schatz unserer nationalen Musik irgend eines von
den Kleinoten fehlte, die Beethoven in der letzten Zeit seines Lebens unverkenn¬
bar in der oben charakterisirten Richtung geschaffen hat? Allein eine allgemei¬
nere Verbreitung dieser Richtung wäre offenbar der Untergang aller Kunst, denn
alle Künstler, die eine feinere Bildung haben oder sie zu besitzen glauben, werden
unwillkürlich in diese Bahn mit fortgerissen, und eben dadurch wird als
Gegensatz eine populaire Musik hervorgerufen, die aller Bildung
entbehrt. Wenn die gebildeten Musiker sich in das einsame Labyrinth ihrer
Capricen verlieret, so findet die Menge ihre Flotow's. Eben so machte die
ehemalige Weimarer Kunstperiode Kotzebue und Jffland nothwendig, eben so ver¬
schulden es kritische Schriften, die in ihrer Form ans Mystische streifen, wie Liszt's
Werke über Lohengrin und Tannhäuser, die Popularität wohlbekannter Briefe.
— Und jene Richtung uach dem Anonymen und Capriciösen hat sich selbst in den
kleinsten ihrer ganzen Bestimmung nach populairen Formen eingebürgert. Man
denke an die Lieder von Robert Frattz und an die neuesten Werke Schumann's.

Zweitens. Noch immer scheint bei Liszt die universale Tendenz über die
individuelle Hinauszugeheu. -Die Aufgabe», die man einer Bühne stellt, müssen
doch in irgeud welchem Verhältniß zu den Kräften dieser Bühne stehen, sonst
sührt man ein schnelles, aber schwindsüchtiges Leben herbei. Die Kräfte der
Bühne von Weimar sind gut, aber sie sind doch immer nnr die Kräfte einer
Bühne zweiten Ranges und können der Natur der Dinge nach nie etwas mehr
werden, denn sie sind nothwendigerweise abhängig von den Mitteln des Publi-
cums. Was ist es nun für eine Idee, mit solchen Kräften sich an ein Werk zu
machen wie Benvenuto.Cellini! — Wir berühren diesen Punkt hier nur obenhin,
weil er uns ferner liegt.

Drittens. Die Einseitigkeit der Richtung wird dadurch auf eine gehässige
Weise verstärkt, daß sie sich zu einer vollständig organisirten Coterie abgerundet
hat, gerade wie es die französischen Parteien sind. Dieses Parteiwesen ist der
Sache, die Liszt vertritt, nicht nützlich. Wenn eine Clique, die in einer Sprache
redet, wie man sie sonst nur von betrunkenen Eckenstehern gewohnt ist, sich ge¬
schäftig zeigt, für Liszt's Ideen Propaganda zu machen, so wird die öffentliche
Meinung nur zu geneigt sein, ihn mit zur Verantwortlichkeit zu ziehen. Liszt
wird von dem französischen Pcirteiwesen her noch sehr gut wissen, daß man für Un¬
verschämtheiten eines Parteiblattes, wenn sie sich wiederhole», nicht den namenlosen
Schriftsteller, der den Namen hergiebt, sondern den Führer der Partei verant¬
wortlich macht. Wenn solche Dinge öfters vorkommen, wie der bekannte Aufsatz
über Henriette Sontag, so würde sich Liszt die schöne Stellung, die er in
Deutschland hat, allmählich verscherzen, und seine Wirksamkeit, die eine so segens¬
reiche werden könnte, nach allen Seiten hin gelähmt werden.




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[0111] besonderer Empfänglichkeit begabte Geister giebt es eine eigene Poesie. Wer wollte wünschen, daß aus dem Schatz unserer nationalen Musik irgend eines von den Kleinoten fehlte, die Beethoven in der letzten Zeit seines Lebens unverkenn¬ bar in der oben charakterisirten Richtung geschaffen hat? Allein eine allgemei¬ nere Verbreitung dieser Richtung wäre offenbar der Untergang aller Kunst, denn alle Künstler, die eine feinere Bildung haben oder sie zu besitzen glauben, werden unwillkürlich in diese Bahn mit fortgerissen, und eben dadurch wird als Gegensatz eine populaire Musik hervorgerufen, die aller Bildung entbehrt. Wenn die gebildeten Musiker sich in das einsame Labyrinth ihrer Capricen verlieret, so findet die Menge ihre Flotow's. Eben so machte die ehemalige Weimarer Kunstperiode Kotzebue und Jffland nothwendig, eben so ver¬ schulden es kritische Schriften, die in ihrer Form ans Mystische streifen, wie Liszt's Werke über Lohengrin und Tannhäuser, die Popularität wohlbekannter Briefe. — Und jene Richtung uach dem Anonymen und Capriciösen hat sich selbst in den kleinsten ihrer ganzen Bestimmung nach populairen Formen eingebürgert. Man denke an die Lieder von Robert Frattz und an die neuesten Werke Schumann's. Zweitens. Noch immer scheint bei Liszt die universale Tendenz über die individuelle Hinauszugeheu. -Die Aufgabe», die man einer Bühne stellt, müssen doch in irgeud welchem Verhältniß zu den Kräften dieser Bühne stehen, sonst sührt man ein schnelles, aber schwindsüchtiges Leben herbei. Die Kräfte der Bühne von Weimar sind gut, aber sie sind doch immer nnr die Kräfte einer Bühne zweiten Ranges und können der Natur der Dinge nach nie etwas mehr werden, denn sie sind nothwendigerweise abhängig von den Mitteln des Publi- cums. Was ist es nun für eine Idee, mit solchen Kräften sich an ein Werk zu machen wie Benvenuto.Cellini! — Wir berühren diesen Punkt hier nur obenhin, weil er uns ferner liegt. Drittens. Die Einseitigkeit der Richtung wird dadurch auf eine gehässige Weise verstärkt, daß sie sich zu einer vollständig organisirten Coterie abgerundet hat, gerade wie es die französischen Parteien sind. Dieses Parteiwesen ist der Sache, die Liszt vertritt, nicht nützlich. Wenn eine Clique, die in einer Sprache redet, wie man sie sonst nur von betrunkenen Eckenstehern gewohnt ist, sich ge¬ schäftig zeigt, für Liszt's Ideen Propaganda zu machen, so wird die öffentliche Meinung nur zu geneigt sein, ihn mit zur Verantwortlichkeit zu ziehen. Liszt wird von dem französischen Pcirteiwesen her noch sehr gut wissen, daß man für Un¬ verschämtheiten eines Parteiblattes, wenn sie sich wiederhole», nicht den namenlosen Schriftsteller, der den Namen hergiebt, sondern den Führer der Partei verant¬ wortlich macht. Wenn solche Dinge öfters vorkommen, wie der bekannte Aufsatz über Henriette Sontag, so würde sich Liszt die schöne Stellung, die er in Deutschland hat, allmählich verscherzen, und seine Wirksamkeit, die eine so segens¬ reiche werden könnte, nach allen Seiten hin gelähmt werden. 13*»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/111>, abgerufen am 29.05.2024.