Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritiker, Historiker und Dramatiker gleich bedeutend, starb im kräftigsten Alter, an¬
scheinend in ruhiger und sorgenfreier Lage, in der Wirklichkeit jedoch gefoltert von
zwei sich feindlich gegenüberstehenden Kräften, der Stimme des Gewissens und
den Verhältnissen der Gesellschaft. Gleiches Loos, wenn auch weniger tragisch,
traf Nikvlaj Wafllewitsch Gogol, einen der bedeutendsten russischen Schriftsteller,
welcher, Jahre alt, Anfangs März in Moskau verschied.

Gogol stammt aus Mirgvrod, einer Stadt Kleinrußlands, dieser üppig
fruchtbaren, von unermeßlichen Getreidefeldern und deu schönsten Wiesen bedeckten
Ebene im südlichen Rußland; seine Landsleute gehörten noch zu Katharina's
Zeiten zu den Kosaken, welche durch die Berufung auf ihre Privilegien dem
Throne oft schlimme Tage bereiteten. Nach und nach wurde dieser ritterliche Geist
durch die Zeit .und den Einfluß der Regierung gedämpft, und den Enkeln der
thatendurstiger Gefährten Mazeppa's blieben zuletzt nur noch eine gewinnende
Gutmüthigkeit und die stillen Tugenden des häuslichen Herdes, so wie die Helden¬
sagen ihrer Ahnen im Liede übrig. Diese, so wie die patriarchalischen Sitten der
Vorfahren, für welche der Kleinrusse bis heute noch eine heilige Verehrung zeigt,
und die er deshalb jedem fremden Einflüsse sorgfältig entzieht, machten auf das
Kind einen mächtigen Eindruck, um so mehr, als anch seine Familie Namen aus¬
zuweisen hatte, welche wichtige Stelle" in der Geschichte des Laudes einnahmen. In
seinen ersten Versuchen suchte er dem, wofür er schwärmte, Worte zu geben, und, sind
gleich seine Erzählungen in enge Nahmen eingefaßt und nicht viel mehr als länd¬
liche Plaudereien, so verrathen sie doch schon dnrch eine treffliche Charakteristik
der Zeiten und Menschen den künftigen bedeutenden Schriftsteller. Besonders in
der Erzählung: "Auf welche Weise Iwan Jwanowitsch sich mit Iwan Nikeforowicz
entzweite", zeigt er sein ungewöhnliches Talent zur Satyre. Dieser Richtung ist er
anch später treu geblieben, und dadurch eine Geißel für die Dummen und Schlech¬
ten geworden. Er schlägt sie mit der Waffe des Spotts, die zwar den Lächer¬
lichkeiten tief ins Fleisch schneidet, gegen das Laster geschleudert jedoch stumpf
und schartig wird. Deshalb erregen seine Schriften Bitterkeit, wenn gleich wir
zum Lachen gezwungen werden.

> Das Hinneigen zur Ironie ist überhaupt ein charakteristisches Zeichen aller
helleren Köpfe und edleren Herzen unter den Russen. Mit dem Nachdenken über
ihre Zustände und Verhältnisse kommen sie an einen Punkt, wo ihnen der Des¬
potismus seinen eisernen Arm entgegenstreckt; sie fühlen dann, daß sie diese
Grenze nicht zu überspringen vermögen, verschließen ihre Zweifel und Wünsche im
tiefsten Innern und geben ihren Worten die Färbung des Spotts, aus dessen
Falten jedoch Bitterkeit und Verzweiflung hervorlugen.

Treu seiner einmal genommenen Richtung, sprang Gogol von der Erzählung
zur Komödie und schrieb den "Revisor", ein lebendiges Bild des Lebens in den
kleinen russischen Städten und der Pfiff- und Schelmenstreiche der Beamten.
'"


Kritiker, Historiker und Dramatiker gleich bedeutend, starb im kräftigsten Alter, an¬
scheinend in ruhiger und sorgenfreier Lage, in der Wirklichkeit jedoch gefoltert von
zwei sich feindlich gegenüberstehenden Kräften, der Stimme des Gewissens und
den Verhältnissen der Gesellschaft. Gleiches Loos, wenn auch weniger tragisch,
traf Nikvlaj Wafllewitsch Gogol, einen der bedeutendsten russischen Schriftsteller,
welcher, Jahre alt, Anfangs März in Moskau verschied.

Gogol stammt aus Mirgvrod, einer Stadt Kleinrußlands, dieser üppig
fruchtbaren, von unermeßlichen Getreidefeldern und deu schönsten Wiesen bedeckten
Ebene im südlichen Rußland; seine Landsleute gehörten noch zu Katharina's
Zeiten zu den Kosaken, welche durch die Berufung auf ihre Privilegien dem
Throne oft schlimme Tage bereiteten. Nach und nach wurde dieser ritterliche Geist
durch die Zeit .und den Einfluß der Regierung gedämpft, und den Enkeln der
thatendurstiger Gefährten Mazeppa's blieben zuletzt nur noch eine gewinnende
Gutmüthigkeit und die stillen Tugenden des häuslichen Herdes, so wie die Helden¬
sagen ihrer Ahnen im Liede übrig. Diese, so wie die patriarchalischen Sitten der
Vorfahren, für welche der Kleinrusse bis heute noch eine heilige Verehrung zeigt,
und die er deshalb jedem fremden Einflüsse sorgfältig entzieht, machten auf das
Kind einen mächtigen Eindruck, um so mehr, als anch seine Familie Namen aus¬
zuweisen hatte, welche wichtige Stelle» in der Geschichte des Laudes einnahmen. In
seinen ersten Versuchen suchte er dem, wofür er schwärmte, Worte zu geben, und, sind
gleich seine Erzählungen in enge Nahmen eingefaßt und nicht viel mehr als länd¬
liche Plaudereien, so verrathen sie doch schon dnrch eine treffliche Charakteristik
der Zeiten und Menschen den künftigen bedeutenden Schriftsteller. Besonders in
der Erzählung: „Auf welche Weise Iwan Jwanowitsch sich mit Iwan Nikeforowicz
entzweite", zeigt er sein ungewöhnliches Talent zur Satyre. Dieser Richtung ist er
anch später treu geblieben, und dadurch eine Geißel für die Dummen und Schlech¬
ten geworden. Er schlägt sie mit der Waffe des Spotts, die zwar den Lächer¬
lichkeiten tief ins Fleisch schneidet, gegen das Laster geschleudert jedoch stumpf
und schartig wird. Deshalb erregen seine Schriften Bitterkeit, wenn gleich wir
zum Lachen gezwungen werden.

> Das Hinneigen zur Ironie ist überhaupt ein charakteristisches Zeichen aller
helleren Köpfe und edleren Herzen unter den Russen. Mit dem Nachdenken über
ihre Zustände und Verhältnisse kommen sie an einen Punkt, wo ihnen der Des¬
potismus seinen eisernen Arm entgegenstreckt; sie fühlen dann, daß sie diese
Grenze nicht zu überspringen vermögen, verschließen ihre Zweifel und Wünsche im
tiefsten Innern und geben ihren Worten die Färbung des Spotts, aus dessen
Falten jedoch Bitterkeit und Verzweiflung hervorlugen.

Treu seiner einmal genommenen Richtung, sprang Gogol von der Erzählung
zur Komödie und schrieb den „Revisor", ein lebendiges Bild des Lebens in den
kleinen russischen Städten und der Pfiff- und Schelmenstreiche der Beamten.
'"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94472"/>
          <p xml:id="ID_48" prev="#ID_47"> Kritiker, Historiker und Dramatiker gleich bedeutend, starb im kräftigsten Alter, an¬<lb/>
scheinend in ruhiger und sorgenfreier Lage, in der Wirklichkeit jedoch gefoltert von<lb/>
zwei sich feindlich gegenüberstehenden Kräften, der Stimme des Gewissens und<lb/>
den Verhältnissen der Gesellschaft. Gleiches Loos, wenn auch weniger tragisch,<lb/>
traf Nikvlaj Wafllewitsch Gogol, einen der bedeutendsten russischen Schriftsteller,<lb/>
welcher,   Jahre alt, Anfangs März in Moskau verschied.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_49"> Gogol stammt aus Mirgvrod, einer Stadt Kleinrußlands, dieser üppig<lb/>
fruchtbaren, von unermeßlichen Getreidefeldern und deu schönsten Wiesen bedeckten<lb/>
Ebene im südlichen Rußland; seine Landsleute gehörten noch zu Katharina's<lb/>
Zeiten zu den Kosaken, welche durch die Berufung auf ihre Privilegien dem<lb/>
Throne oft schlimme Tage bereiteten. Nach und nach wurde dieser ritterliche Geist<lb/>
durch die Zeit .und den Einfluß der Regierung gedämpft, und den Enkeln der<lb/>
thatendurstiger Gefährten Mazeppa's blieben zuletzt nur noch eine gewinnende<lb/>
Gutmüthigkeit und die stillen Tugenden des häuslichen Herdes, so wie die Helden¬<lb/>
sagen ihrer Ahnen im Liede übrig. Diese, so wie die patriarchalischen Sitten der<lb/>
Vorfahren, für welche der Kleinrusse bis heute noch eine heilige Verehrung zeigt,<lb/>
und die er deshalb jedem fremden Einflüsse sorgfältig entzieht, machten auf das<lb/>
Kind einen mächtigen Eindruck, um so mehr, als anch seine Familie Namen aus¬<lb/>
zuweisen hatte, welche wichtige Stelle» in der Geschichte des Laudes einnahmen. In<lb/>
seinen ersten Versuchen suchte er dem, wofür er schwärmte, Worte zu geben, und, sind<lb/>
gleich seine Erzählungen in enge Nahmen eingefaßt und nicht viel mehr als länd¬<lb/>
liche Plaudereien, so verrathen sie doch schon dnrch eine treffliche Charakteristik<lb/>
der Zeiten und Menschen den künftigen bedeutenden Schriftsteller. Besonders in<lb/>
der Erzählung: &#x201E;Auf welche Weise Iwan Jwanowitsch sich mit Iwan Nikeforowicz<lb/>
entzweite", zeigt er sein ungewöhnliches Talent zur Satyre. Dieser Richtung ist er<lb/>
anch später treu geblieben, und dadurch eine Geißel für die Dummen und Schlech¬<lb/>
ten geworden. Er schlägt sie mit der Waffe des Spotts, die zwar den Lächer¬<lb/>
lichkeiten tief ins Fleisch schneidet, gegen das Laster geschleudert jedoch stumpf<lb/>
und schartig wird. Deshalb erregen seine Schriften Bitterkeit, wenn gleich wir<lb/>
zum Lachen gezwungen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_50"> &gt; Das Hinneigen zur Ironie ist überhaupt ein charakteristisches Zeichen aller<lb/>
helleren Köpfe und edleren Herzen unter den Russen. Mit dem Nachdenken über<lb/>
ihre Zustände und Verhältnisse kommen sie an einen Punkt, wo ihnen der Des¬<lb/>
potismus seinen eisernen Arm entgegenstreckt; sie fühlen dann, daß sie diese<lb/>
Grenze nicht zu überspringen vermögen, verschließen ihre Zweifel und Wünsche im<lb/>
tiefsten Innern und geben ihren Worten die Färbung des Spotts, aus dessen<lb/>
Falten jedoch Bitterkeit und Verzweiflung hervorlugen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_51" next="#ID_52"> Treu seiner einmal genommenen Richtung, sprang Gogol von der Erzählung<lb/>
zur Komödie und schrieb den &#x201E;Revisor", ein lebendiges Bild des Lebens in den<lb/>
kleinen russischen Städten und der Pfiff- und Schelmenstreiche der Beamten.<lb/>
'"</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] Kritiker, Historiker und Dramatiker gleich bedeutend, starb im kräftigsten Alter, an¬ scheinend in ruhiger und sorgenfreier Lage, in der Wirklichkeit jedoch gefoltert von zwei sich feindlich gegenüberstehenden Kräften, der Stimme des Gewissens und den Verhältnissen der Gesellschaft. Gleiches Loos, wenn auch weniger tragisch, traf Nikvlaj Wafllewitsch Gogol, einen der bedeutendsten russischen Schriftsteller, welcher, Jahre alt, Anfangs März in Moskau verschied. Gogol stammt aus Mirgvrod, einer Stadt Kleinrußlands, dieser üppig fruchtbaren, von unermeßlichen Getreidefeldern und deu schönsten Wiesen bedeckten Ebene im südlichen Rußland; seine Landsleute gehörten noch zu Katharina's Zeiten zu den Kosaken, welche durch die Berufung auf ihre Privilegien dem Throne oft schlimme Tage bereiteten. Nach und nach wurde dieser ritterliche Geist durch die Zeit .und den Einfluß der Regierung gedämpft, und den Enkeln der thatendurstiger Gefährten Mazeppa's blieben zuletzt nur noch eine gewinnende Gutmüthigkeit und die stillen Tugenden des häuslichen Herdes, so wie die Helden¬ sagen ihrer Ahnen im Liede übrig. Diese, so wie die patriarchalischen Sitten der Vorfahren, für welche der Kleinrusse bis heute noch eine heilige Verehrung zeigt, und die er deshalb jedem fremden Einflüsse sorgfältig entzieht, machten auf das Kind einen mächtigen Eindruck, um so mehr, als anch seine Familie Namen aus¬ zuweisen hatte, welche wichtige Stelle» in der Geschichte des Laudes einnahmen. In seinen ersten Versuchen suchte er dem, wofür er schwärmte, Worte zu geben, und, sind gleich seine Erzählungen in enge Nahmen eingefaßt und nicht viel mehr als länd¬ liche Plaudereien, so verrathen sie doch schon dnrch eine treffliche Charakteristik der Zeiten und Menschen den künftigen bedeutenden Schriftsteller. Besonders in der Erzählung: „Auf welche Weise Iwan Jwanowitsch sich mit Iwan Nikeforowicz entzweite", zeigt er sein ungewöhnliches Talent zur Satyre. Dieser Richtung ist er anch später treu geblieben, und dadurch eine Geißel für die Dummen und Schlech¬ ten geworden. Er schlägt sie mit der Waffe des Spotts, die zwar den Lächer¬ lichkeiten tief ins Fleisch schneidet, gegen das Laster geschleudert jedoch stumpf und schartig wird. Deshalb erregen seine Schriften Bitterkeit, wenn gleich wir zum Lachen gezwungen werden. > Das Hinneigen zur Ironie ist überhaupt ein charakteristisches Zeichen aller helleren Köpfe und edleren Herzen unter den Russen. Mit dem Nachdenken über ihre Zustände und Verhältnisse kommen sie an einen Punkt, wo ihnen der Des¬ potismus seinen eisernen Arm entgegenstreckt; sie fühlen dann, daß sie diese Grenze nicht zu überspringen vermögen, verschließen ihre Zweifel und Wünsche im tiefsten Innern und geben ihren Worten die Färbung des Spotts, aus dessen Falten jedoch Bitterkeit und Verzweiflung hervorlugen. Treu seiner einmal genommenen Richtung, sprang Gogol von der Erzählung zur Komödie und schrieb den „Revisor", ein lebendiges Bild des Lebens in den kleinen russischen Städten und der Pfiff- und Schelmenstreiche der Beamten. '"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/31
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/31>, abgerufen am 28.05.2024.