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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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als Rechtfertigung seines Verhältnisses mit Christiane Vulpius, die Reaction gel¬
tend , die naturgemäß hätte eintreten müssen, weil er zehn Jahre lang die Ueber-
spannung eines idealen Bündnisses mit-Frau von Stein ausgehalten habe! Goethe
ist offenbar (bei seiner Rückkehr aus Italien) der Geliebten mit unzarten Berich-'
ten über seine erotischen Abenteuer lästig gefallen, Sein Briefwechsel mit Frau
von Stein giebt hierüber sehr viele interessante Aufschlüsse. Man sieht daraus,
daß sie von derartigen Mittheilungen sich gekränkt oder vielmehr verletzt fühlte,
und es läßt sich allerdings nicht genau unterscheiden, ob nur aus natürlichem
weiblichem Zartgefühl, oder aus einer Anwandlung von Eifersucht. Der Schmerz
und Zorn über Goethe's Verhältniß zu Christiane Vulpius tritt bei Frau von
Stein später so unverholen hervor, daß ein Bruch unvermeidlich war. Obwol
mau nicht ihre Klagen kennt, so geht doch aus seinen beschwichtigenden Antwor¬
ten hervor, daß diese nicht die Ausflüsse der gewöhnlichen Eifersucht einer Fran,
die sich por einer andern verdrängt sieht, waren, sondern leidenschaftliche Trauer
über die Erniedrigung des Freundes, mit dem ihre Seele jahrelang so innig
verbunden gewesen. Hätte Goethe eine Wahl getroffen, die seiner würdig und
von der Sitte geheiligt gewesen wäre, Charlotte von Stein würde unfehlbar
seine Freundin geblieben sein, wenn auch anfangs die Entziehung eines Theiles
seiner Interessen ihr schmerzlich gewesen wäre, wie dies ja auch sogar bei Freund¬
schaftsbündnissen vorkommt. Wäre Christiane Vulpius nur gleich seine rechtmä¬
ßige Gattin geworden, so würde die Freundin ihm nie so unversöhnlich gezürnt
haben, wie sie es wegen der Doppelzüngigkeit seiner Empfindung gethan hat.
Er wollte ihr vorspiegeln, daß sein besseres Selbst ihr unbefleckt verbleibe, trotz
seines unsittlichen Verhältnisses, aber sie hatte Recht ihm uicht zu glauben; es
ist eine heidnische Fabel, nach welcher der Mensch halb Thier ist. Es ist ein
trauriges Bild der Vergänglichkeit, der Wandelbarkeit aller menschlichen Neigun¬
gen und Ueberzeugungen, dieses zerrissene Seelenbündniß zwischen Goethe und
Charlotte vou Stein. Es war so schön, es war das poesiereichste Gedicht in
Goethe's Leben. Die ideale Seite seines Wesens wurde durch diese Frau zur
Entwickelung gebracht, sie war die Muse seiner herrlichsten Dichtungen, Iphi-
genie, Tasso und zugleich das Vorbild derselben. Wie sie seine Führerin in der
idealen Welt war, stand sie auch in der wirklichen ihm als solche zur Seite;
ihr feiner Takt, ihre vollendete Lebensweisheit haben unstreitig Goethe's sichere
Stellung und weltmännische Haltung in der Hofatmosphäre vermitteln helfen.
Gleich bei seiner Ansiedelung in Weimar entstand dies eigenMmliche Verhältniß,
das beiden Betheiligten kurze Zeit ein so reines und seltenes Glück gewährte.
Goethe war damals acht und zwanzig, Frau vou Stein schon fünf und dreißig
Jahr alt; Schiller sagt von ihr, daß sie zwar nie schön, "aber eine wahrhaftig
eigene und interessante Person gewesen, ihr Gesicht drückte sanften Ernst und
eine ganz eigene Offenheit aus. Ein gesunder Verstand, Wahrheit und Gefühl


als Rechtfertigung seines Verhältnisses mit Christiane Vulpius, die Reaction gel¬
tend , die naturgemäß hätte eintreten müssen, weil er zehn Jahre lang die Ueber-
spannung eines idealen Bündnisses mit-Frau von Stein ausgehalten habe! Goethe
ist offenbar (bei seiner Rückkehr aus Italien) der Geliebten mit unzarten Berich-'
ten über seine erotischen Abenteuer lästig gefallen, Sein Briefwechsel mit Frau
von Stein giebt hierüber sehr viele interessante Aufschlüsse. Man sieht daraus,
daß sie von derartigen Mittheilungen sich gekränkt oder vielmehr verletzt fühlte,
und es läßt sich allerdings nicht genau unterscheiden, ob nur aus natürlichem
weiblichem Zartgefühl, oder aus einer Anwandlung von Eifersucht. Der Schmerz
und Zorn über Goethe's Verhältniß zu Christiane Vulpius tritt bei Frau von
Stein später so unverholen hervor, daß ein Bruch unvermeidlich war. Obwol
mau nicht ihre Klagen kennt, so geht doch aus seinen beschwichtigenden Antwor¬
ten hervor, daß diese nicht die Ausflüsse der gewöhnlichen Eifersucht einer Fran,
die sich por einer andern verdrängt sieht, waren, sondern leidenschaftliche Trauer
über die Erniedrigung des Freundes, mit dem ihre Seele jahrelang so innig
verbunden gewesen. Hätte Goethe eine Wahl getroffen, die seiner würdig und
von der Sitte geheiligt gewesen wäre, Charlotte von Stein würde unfehlbar
seine Freundin geblieben sein, wenn auch anfangs die Entziehung eines Theiles
seiner Interessen ihr schmerzlich gewesen wäre, wie dies ja auch sogar bei Freund¬
schaftsbündnissen vorkommt. Wäre Christiane Vulpius nur gleich seine rechtmä¬
ßige Gattin geworden, so würde die Freundin ihm nie so unversöhnlich gezürnt
haben, wie sie es wegen der Doppelzüngigkeit seiner Empfindung gethan hat.
Er wollte ihr vorspiegeln, daß sein besseres Selbst ihr unbefleckt verbleibe, trotz
seines unsittlichen Verhältnisses, aber sie hatte Recht ihm uicht zu glauben; es
ist eine heidnische Fabel, nach welcher der Mensch halb Thier ist. Es ist ein
trauriges Bild der Vergänglichkeit, der Wandelbarkeit aller menschlichen Neigun¬
gen und Ueberzeugungen, dieses zerrissene Seelenbündniß zwischen Goethe und
Charlotte vou Stein. Es war so schön, es war das poesiereichste Gedicht in
Goethe's Leben. Die ideale Seite seines Wesens wurde durch diese Frau zur
Entwickelung gebracht, sie war die Muse seiner herrlichsten Dichtungen, Iphi-
genie, Tasso und zugleich das Vorbild derselben. Wie sie seine Führerin in der
idealen Welt war, stand sie auch in der wirklichen ihm als solche zur Seite;
ihr feiner Takt, ihre vollendete Lebensweisheit haben unstreitig Goethe's sichere
Stellung und weltmännische Haltung in der Hofatmosphäre vermitteln helfen.
Gleich bei seiner Ansiedelung in Weimar entstand dies eigenMmliche Verhältniß,
das beiden Betheiligten kurze Zeit ein so reines und seltenes Glück gewährte.
Goethe war damals acht und zwanzig, Frau vou Stein schon fünf und dreißig
Jahr alt; Schiller sagt von ihr, daß sie zwar nie schön, „aber eine wahrhaftig
eigene und interessante Person gewesen, ihr Gesicht drückte sanften Ernst und
eine ganz eigene Offenheit aus. Ein gesunder Verstand, Wahrheit und Gefühl


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[0394] als Rechtfertigung seines Verhältnisses mit Christiane Vulpius, die Reaction gel¬ tend , die naturgemäß hätte eintreten müssen, weil er zehn Jahre lang die Ueber- spannung eines idealen Bündnisses mit-Frau von Stein ausgehalten habe! Goethe ist offenbar (bei seiner Rückkehr aus Italien) der Geliebten mit unzarten Berich-' ten über seine erotischen Abenteuer lästig gefallen, Sein Briefwechsel mit Frau von Stein giebt hierüber sehr viele interessante Aufschlüsse. Man sieht daraus, daß sie von derartigen Mittheilungen sich gekränkt oder vielmehr verletzt fühlte, und es läßt sich allerdings nicht genau unterscheiden, ob nur aus natürlichem weiblichem Zartgefühl, oder aus einer Anwandlung von Eifersucht. Der Schmerz und Zorn über Goethe's Verhältniß zu Christiane Vulpius tritt bei Frau von Stein später so unverholen hervor, daß ein Bruch unvermeidlich war. Obwol mau nicht ihre Klagen kennt, so geht doch aus seinen beschwichtigenden Antwor¬ ten hervor, daß diese nicht die Ausflüsse der gewöhnlichen Eifersucht einer Fran, die sich por einer andern verdrängt sieht, waren, sondern leidenschaftliche Trauer über die Erniedrigung des Freundes, mit dem ihre Seele jahrelang so innig verbunden gewesen. Hätte Goethe eine Wahl getroffen, die seiner würdig und von der Sitte geheiligt gewesen wäre, Charlotte von Stein würde unfehlbar seine Freundin geblieben sein, wenn auch anfangs die Entziehung eines Theiles seiner Interessen ihr schmerzlich gewesen wäre, wie dies ja auch sogar bei Freund¬ schaftsbündnissen vorkommt. Wäre Christiane Vulpius nur gleich seine rechtmä¬ ßige Gattin geworden, so würde die Freundin ihm nie so unversöhnlich gezürnt haben, wie sie es wegen der Doppelzüngigkeit seiner Empfindung gethan hat. Er wollte ihr vorspiegeln, daß sein besseres Selbst ihr unbefleckt verbleibe, trotz seines unsittlichen Verhältnisses, aber sie hatte Recht ihm uicht zu glauben; es ist eine heidnische Fabel, nach welcher der Mensch halb Thier ist. Es ist ein trauriges Bild der Vergänglichkeit, der Wandelbarkeit aller menschlichen Neigun¬ gen und Ueberzeugungen, dieses zerrissene Seelenbündniß zwischen Goethe und Charlotte vou Stein. Es war so schön, es war das poesiereichste Gedicht in Goethe's Leben. Die ideale Seite seines Wesens wurde durch diese Frau zur Entwickelung gebracht, sie war die Muse seiner herrlichsten Dichtungen, Iphi- genie, Tasso und zugleich das Vorbild derselben. Wie sie seine Führerin in der idealen Welt war, stand sie auch in der wirklichen ihm als solche zur Seite; ihr feiner Takt, ihre vollendete Lebensweisheit haben unstreitig Goethe's sichere Stellung und weltmännische Haltung in der Hofatmosphäre vermitteln helfen. Gleich bei seiner Ansiedelung in Weimar entstand dies eigenMmliche Verhältniß, das beiden Betheiligten kurze Zeit ein so reines und seltenes Glück gewährte. Goethe war damals acht und zwanzig, Frau vou Stein schon fünf und dreißig Jahr alt; Schiller sagt von ihr, daß sie zwar nie schön, „aber eine wahrhaftig eigene und interessante Person gewesen, ihr Gesicht drückte sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit aus. Ein gesunder Verstand, Wahrheit und Gefühl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/394>, abgerufen am 28.05.2024.