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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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einförmig in die Augen fällt, indem jedes derselben drei in verschiedenen Farben
gemalte Schichten enthält, die mit einander correspc-ndiren, ist daraus vollkommen
zu erklären und zu rechtfertigen. Er versteht es, in den edelsten Linien zu grup-
piren und lebenskräftige und lebensfähige Gestalten zu schaffen. Wo er in Action
übergeht, weiß er nicht immer den natürlichen Ausdruck zu treffen, weil er sich
seine Anschauung erst symbolisch vermittelt. Von der "Hunnenschlacht" gilt das
nicht, und wenn dieser wunderbar schöne Carton, was man früher für ganz un¬
möglich hielt, was man aber jetzt, da Kaulbach bewiesen hat, daß er in der Farbe
auch das Unmögliche mit spielender Leichtigkeit lösen kann, wol erwarten darf, in
Farben ausgeführt und in die Reihe der übrigen Wandgemälde aufgestellt sein
wird, so werden wenigstens nach meiner Ueberzeugung die anderen Bilder sehr in
Schatten treten. Von den ganz oder zum Theil ausgeführten Wandgemälden
ist "der babylonische Thurmbau" das bedeutendste, aber auch hier eigentlich nur
die drei Vordergruppen, denn die mittlere um den König versammelte Gruppe
ist durchaus theatralisch. In der "Zerstörung Jerusalems" sind der Intentionen
zu viel; mau kaun sie sich nur durch die Reflexion vermitteln, obgleich die grellen
Lichteffecte die Aufgabe erleichtern. "Die Jugend Griechenlands" dürfte das
schwächste unter diesen Gemälden sein. -- Da wir einmal bei diesem Gegenstand
stehen, so müssen wir auch auf die Cartons von Cornelius eingehen, die für den
Campo santo des neuen Doms bestimmt sind. Da dieses eben so großartige
als verworrene Bauwerk, dessen trümmerartige Vorarbeiten man jetzt mit einer
Mischung von Achtung und Verwunderung durchwandert, schon längere Zeit zu
ruhen scheint, so ist es fraglich, ob der würdigste Meister der modernen Kunst
die vollständige Ausführung seiner Entwürfe noch erleben wird. Uns scheinen
diese Entwürfe vor den Leistungen seines Schülers Kaulbach entschieden den
Vorzug zu verdienen. Zwar behandeln sie die Apokalypse, also eine Mythologie,
die an Verworrenheit mit der indischen wetteifert, aber der Meister hat es ver¬
standen, diese unklaren Gebilde in so großem, edlem und einfachem Styl aufzu¬
fassen und sie dabei durch einzelne gemüthliche, aber dem Styl in keiner Weise
widersprechende Züge dem Menschlichen zu nähern, daß sie ihren Eindruck nicht
verfehlen, anch wo man über den Gegenstand nicht klar wird. So ist z. B. das
Gemälde .von den sieben apokalyptischen Reitern, welche von dem Zorn des
Herrn getrieben das Geschlecht der Erde vor sich niedermähen, in so großem
Sinn aufgefaßt, daß man gar nicht daran denkt, nach irgend welcher symbolischen
oder historischen Bedeutung zu fragen. Es ist eine in die lebendigste Gestaltung
übersetzte, vollkommen klare und ergreifende Empfindung, wie etwa eine Sym¬
phonie von Beethoven. Der Strich der Linien, in welchem die Menschen wie
die Garben niedergemäht erscheinen, ist ein unvergleichliches Meisterstück. In
den anderen Gemälden, die eine so gewaltige, fortreißende Action nicht zulassen,
sind neben der vollständigen Herrschaft über die Bewegung jene schon berührten


einförmig in die Augen fällt, indem jedes derselben drei in verschiedenen Farben
gemalte Schichten enthält, die mit einander correspc-ndiren, ist daraus vollkommen
zu erklären und zu rechtfertigen. Er versteht es, in den edelsten Linien zu grup-
piren und lebenskräftige und lebensfähige Gestalten zu schaffen. Wo er in Action
übergeht, weiß er nicht immer den natürlichen Ausdruck zu treffen, weil er sich
seine Anschauung erst symbolisch vermittelt. Von der „Hunnenschlacht" gilt das
nicht, und wenn dieser wunderbar schöne Carton, was man früher für ganz un¬
möglich hielt, was man aber jetzt, da Kaulbach bewiesen hat, daß er in der Farbe
auch das Unmögliche mit spielender Leichtigkeit lösen kann, wol erwarten darf, in
Farben ausgeführt und in die Reihe der übrigen Wandgemälde aufgestellt sein
wird, so werden wenigstens nach meiner Ueberzeugung die anderen Bilder sehr in
Schatten treten. Von den ganz oder zum Theil ausgeführten Wandgemälden
ist „der babylonische Thurmbau" das bedeutendste, aber auch hier eigentlich nur
die drei Vordergruppen, denn die mittlere um den König versammelte Gruppe
ist durchaus theatralisch. In der „Zerstörung Jerusalems" sind der Intentionen
zu viel; mau kaun sie sich nur durch die Reflexion vermitteln, obgleich die grellen
Lichteffecte die Aufgabe erleichtern. „Die Jugend Griechenlands" dürfte das
schwächste unter diesen Gemälden sein. — Da wir einmal bei diesem Gegenstand
stehen, so müssen wir auch auf die Cartons von Cornelius eingehen, die für den
Campo santo des neuen Doms bestimmt sind. Da dieses eben so großartige
als verworrene Bauwerk, dessen trümmerartige Vorarbeiten man jetzt mit einer
Mischung von Achtung und Verwunderung durchwandert, schon längere Zeit zu
ruhen scheint, so ist es fraglich, ob der würdigste Meister der modernen Kunst
die vollständige Ausführung seiner Entwürfe noch erleben wird. Uns scheinen
diese Entwürfe vor den Leistungen seines Schülers Kaulbach entschieden den
Vorzug zu verdienen. Zwar behandeln sie die Apokalypse, also eine Mythologie,
die an Verworrenheit mit der indischen wetteifert, aber der Meister hat es ver¬
standen, diese unklaren Gebilde in so großem, edlem und einfachem Styl aufzu¬
fassen und sie dabei durch einzelne gemüthliche, aber dem Styl in keiner Weise
widersprechende Züge dem Menschlichen zu nähern, daß sie ihren Eindruck nicht
verfehlen, anch wo man über den Gegenstand nicht klar wird. So ist z. B. das
Gemälde .von den sieben apokalyptischen Reitern, welche von dem Zorn des
Herrn getrieben das Geschlecht der Erde vor sich niedermähen, in so großem
Sinn aufgefaßt, daß man gar nicht daran denkt, nach irgend welcher symbolischen
oder historischen Bedeutung zu fragen. Es ist eine in die lebendigste Gestaltung
übersetzte, vollkommen klare und ergreifende Empfindung, wie etwa eine Sym¬
phonie von Beethoven. Der Strich der Linien, in welchem die Menschen wie
die Garben niedergemäht erscheinen, ist ein unvergleichliches Meisterstück. In
den anderen Gemälden, die eine so gewaltige, fortreißende Action nicht zulassen,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/108>, abgerufen am 15.06.2024.