Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

beiden Leichen; und das sind nicht etwa Paradeleichen, bei denen man durch künst¬
liche Mittel die Scheußlichkeit des Todes entfernt hat, nicht Leichen, bei denen
man noch die Merkmale der Schlacht sieht, bei denen man sich also noch irgend
eine Action vorstellen kann, sondern Cadaver in der schlimmsten Bedeutung dieses
Worts. Man sieht die Stiche, mit denen das blutlose Haupt an den Leib be¬
festigt ist, und gerade die wunderbare Technik vergrößert das Entsetzliche des
Anblicks. Wenn man hin und wieder davon redet, daß man ja dabei an das
Martyrium der Freiheit denken kann, so ist das eine leere Einbildung. Die
Materie ist zu mächtig, um dem Geist Raum zu lassen.

Aber dieser schauderhafte Materialismus scheint in der belgischen Malerei
überhaupt immer mehr um sich zu greifen. Vor einiger Zeit war bei Del Vecchio
ein übrigens gut ausgeführtes Gemälde von Huysmans, die Darstellung eines
Cadavers, an welchem Rembrandt unter Anleitung eines Arztes Anatomie studirt
Der eine Arm, bereits in Fäulniß übergegangen, der andere der Haut entblößt
und mit bloßgelegten Nerven. Auf der diesmaligen Ausstellung in Antwerpen
behandelt eins der bedeutendsten Bilder von Slingeuaer folgenden Inhalt.
Lebensgroß ausgeführt die bis auf die Schwimmbosen nackte Leiche eines ertrun¬
kenen Matrosen, von den Welle" ausgeworfen auf dem gelben Ufersande liegend;
ein Adler ist ans der Luft herabgeschossen und so eben im Begriff, seinen Schnabel
in die Brust des Todten zu schlagen. Dieser liegt mit gespreizten Beinen und
Armen, deren Fäuste sich ballen, die Fußsohlen zum Bilde beraus, in einer Ver¬
kürzung, die bei dem tiefen Horizont den Kopf verschwinde" läßt. Da^u ein
graugrüner Fleischton, der deutlich zeigt, daß der Leichnam schon viele Tage im
Wasser gelegen bat. -- Wenn die älteren christlichen Maler ähnliche Gegenstände
wählten, so war das im Sinn der damaligen Kirche, die das Elend des Lebens,
das Leiden und den Schmerz göttlich verehrte; sie waren durch die Nothwendig¬
keit getrieben, und wenigstens die Besseren nnter ihnen suchten anch unter den
Zuckungen des Fleisches deu gottergebenen und daber siegreichen Geist durch¬
scheinen zu lassen.' Jetzt sind wir dieser bittern Nothwendigkeit ni'erhoben, und
der häßliche Anblick jenes Zustandes, in dem die lebende Hülle des Geistes dem
gemeinen Reich der Chemie verfällt, gebört eben so wenig in das Gebiet der
Kunst, wie in das Gebiet der Religion. Das Centrum der mittelalterlichen Re¬
ligion war der Tod; wir dagegen glauben.an das Leben, an das ewige Leben,
an das unendliche Leben. Der Tod ist ein Problem 'der Wissenschaft, aber
nicht mehr eine ideale Anschauung. --

Vor einigen Wochen sahen wir in Leipzig ein Gemälde, welches die bekannte Ge¬
schichte von dem gefangenen Römer darstellt, der, weil er keine andere Nahrung
hatte, im Kerker von seiner Tochter gesängt wurde. Der Besitzer dieses Gemäldes,
Herr Lemaire, der es dann später auch an anderen Orten ausgestellt hat, gab
es als ein Gemälde von Van Dyk, welches in irgend einem abgelegenen Winkel


beiden Leichen; und das sind nicht etwa Paradeleichen, bei denen man durch künst¬
liche Mittel die Scheußlichkeit des Todes entfernt hat, nicht Leichen, bei denen
man noch die Merkmale der Schlacht sieht, bei denen man sich also noch irgend
eine Action vorstellen kann, sondern Cadaver in der schlimmsten Bedeutung dieses
Worts. Man sieht die Stiche, mit denen das blutlose Haupt an den Leib be¬
festigt ist, und gerade die wunderbare Technik vergrößert das Entsetzliche des
Anblicks. Wenn man hin und wieder davon redet, daß man ja dabei an das
Martyrium der Freiheit denken kann, so ist das eine leere Einbildung. Die
Materie ist zu mächtig, um dem Geist Raum zu lassen.

Aber dieser schauderhafte Materialismus scheint in der belgischen Malerei
überhaupt immer mehr um sich zu greifen. Vor einiger Zeit war bei Del Vecchio
ein übrigens gut ausgeführtes Gemälde von Huysmans, die Darstellung eines
Cadavers, an welchem Rembrandt unter Anleitung eines Arztes Anatomie studirt
Der eine Arm, bereits in Fäulniß übergegangen, der andere der Haut entblößt
und mit bloßgelegten Nerven. Auf der diesmaligen Ausstellung in Antwerpen
behandelt eins der bedeutendsten Bilder von Slingeuaer folgenden Inhalt.
Lebensgroß ausgeführt die bis auf die Schwimmbosen nackte Leiche eines ertrun¬
kenen Matrosen, von den Welle» ausgeworfen auf dem gelben Ufersande liegend;
ein Adler ist ans der Luft herabgeschossen und so eben im Begriff, seinen Schnabel
in die Brust des Todten zu schlagen. Dieser liegt mit gespreizten Beinen und
Armen, deren Fäuste sich ballen, die Fußsohlen zum Bilde beraus, in einer Ver¬
kürzung, die bei dem tiefen Horizont den Kopf verschwinde» läßt. Da^u ein
graugrüner Fleischton, der deutlich zeigt, daß der Leichnam schon viele Tage im
Wasser gelegen bat. — Wenn die älteren christlichen Maler ähnliche Gegenstände
wählten, so war das im Sinn der damaligen Kirche, die das Elend des Lebens,
das Leiden und den Schmerz göttlich verehrte; sie waren durch die Nothwendig¬
keit getrieben, und wenigstens die Besseren nnter ihnen suchten anch unter den
Zuckungen des Fleisches deu gottergebenen und daber siegreichen Geist durch¬
scheinen zu lassen.' Jetzt sind wir dieser bittern Nothwendigkeit ni'erhoben, und
der häßliche Anblick jenes Zustandes, in dem die lebende Hülle des Geistes dem
gemeinen Reich der Chemie verfällt, gebört eben so wenig in das Gebiet der
Kunst, wie in das Gebiet der Religion. Das Centrum der mittelalterlichen Re¬
ligion war der Tod; wir dagegen glauben.an das Leben, an das ewige Leben,
an das unendliche Leben. Der Tod ist ein Problem 'der Wissenschaft, aber
nicht mehr eine ideale Anschauung. —

Vor einigen Wochen sahen wir in Leipzig ein Gemälde, welches die bekannte Ge¬
schichte von dem gefangenen Römer darstellt, der, weil er keine andere Nahrung
hatte, im Kerker von seiner Tochter gesängt wurde. Der Besitzer dieses Gemäldes,
Herr Lemaire, der es dann später auch an anderen Orten ausgestellt hat, gab
es als ein Gemälde von Van Dyk, welches in irgend einem abgelegenen Winkel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95095"/>
          <p xml:id="ID_284" prev="#ID_283"> beiden Leichen; und das sind nicht etwa Paradeleichen, bei denen man durch künst¬<lb/>
liche Mittel die Scheußlichkeit des Todes entfernt hat, nicht Leichen, bei denen<lb/>
man noch die Merkmale der Schlacht sieht, bei denen man sich also noch irgend<lb/>
eine Action vorstellen kann, sondern Cadaver in der schlimmsten Bedeutung dieses<lb/>
Worts. Man sieht die Stiche, mit denen das blutlose Haupt an den Leib be¬<lb/>
festigt ist, und gerade die wunderbare Technik vergrößert das Entsetzliche des<lb/>
Anblicks. Wenn man hin und wieder davon redet, daß man ja dabei an das<lb/>
Martyrium der Freiheit denken kann, so ist das eine leere Einbildung. Die<lb/>
Materie ist zu mächtig, um dem Geist Raum zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_285"> Aber dieser schauderhafte Materialismus scheint in der belgischen Malerei<lb/>
überhaupt immer mehr um sich zu greifen. Vor einiger Zeit war bei Del Vecchio<lb/>
ein übrigens gut ausgeführtes Gemälde von Huysmans, die Darstellung eines<lb/>
Cadavers, an welchem Rembrandt unter Anleitung eines Arztes Anatomie studirt<lb/>
Der eine Arm, bereits in Fäulniß übergegangen, der andere der Haut entblößt<lb/>
und mit bloßgelegten Nerven. Auf der diesmaligen Ausstellung in Antwerpen<lb/>
behandelt eins der bedeutendsten Bilder von Slingeuaer folgenden Inhalt.<lb/>
Lebensgroß ausgeführt die bis auf die Schwimmbosen nackte Leiche eines ertrun¬<lb/>
kenen Matrosen, von den Welle» ausgeworfen auf dem gelben Ufersande liegend;<lb/>
ein Adler ist ans der Luft herabgeschossen und so eben im Begriff, seinen Schnabel<lb/>
in die Brust des Todten zu schlagen. Dieser liegt mit gespreizten Beinen und<lb/>
Armen, deren Fäuste sich ballen, die Fußsohlen zum Bilde beraus, in einer Ver¬<lb/>
kürzung, die bei dem tiefen Horizont den Kopf verschwinde» läßt. Da^u ein<lb/>
graugrüner Fleischton, der deutlich zeigt, daß der Leichnam schon viele Tage im<lb/>
Wasser gelegen bat. &#x2014; Wenn die älteren christlichen Maler ähnliche Gegenstände<lb/>
wählten, so war das im Sinn der damaligen Kirche, die das Elend des Lebens,<lb/>
das Leiden und den Schmerz göttlich verehrte; sie waren durch die Nothwendig¬<lb/>
keit getrieben, und wenigstens die Besseren nnter ihnen suchten anch unter den<lb/>
Zuckungen des Fleisches deu gottergebenen und daber siegreichen Geist durch¬<lb/>
scheinen zu lassen.' Jetzt sind wir dieser bittern Nothwendigkeit ni'erhoben, und<lb/>
der häßliche Anblick jenes Zustandes, in dem die lebende Hülle des Geistes dem<lb/>
gemeinen Reich der Chemie verfällt, gebört eben so wenig in das Gebiet der<lb/>
Kunst, wie in das Gebiet der Religion. Das Centrum der mittelalterlichen Re¬<lb/>
ligion war der Tod; wir dagegen glauben.an das Leben, an das ewige Leben,<lb/>
an das unendliche Leben. Der Tod ist ein Problem 'der Wissenschaft, aber<lb/>
nicht mehr eine ideale Anschauung. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_286" next="#ID_287"> Vor einigen Wochen sahen wir in Leipzig ein Gemälde, welches die bekannte Ge¬<lb/>
schichte von dem gefangenen Römer darstellt, der, weil er keine andere Nahrung<lb/>
hatte, im Kerker von seiner Tochter gesängt wurde. Der Besitzer dieses Gemäldes,<lb/>
Herr Lemaire, der es dann später auch an anderen Orten ausgestellt hat, gab<lb/>
es als ein Gemälde von Van Dyk, welches in irgend einem abgelegenen Winkel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0114] beiden Leichen; und das sind nicht etwa Paradeleichen, bei denen man durch künst¬ liche Mittel die Scheußlichkeit des Todes entfernt hat, nicht Leichen, bei denen man noch die Merkmale der Schlacht sieht, bei denen man sich also noch irgend eine Action vorstellen kann, sondern Cadaver in der schlimmsten Bedeutung dieses Worts. Man sieht die Stiche, mit denen das blutlose Haupt an den Leib be¬ festigt ist, und gerade die wunderbare Technik vergrößert das Entsetzliche des Anblicks. Wenn man hin und wieder davon redet, daß man ja dabei an das Martyrium der Freiheit denken kann, so ist das eine leere Einbildung. Die Materie ist zu mächtig, um dem Geist Raum zu lassen. Aber dieser schauderhafte Materialismus scheint in der belgischen Malerei überhaupt immer mehr um sich zu greifen. Vor einiger Zeit war bei Del Vecchio ein übrigens gut ausgeführtes Gemälde von Huysmans, die Darstellung eines Cadavers, an welchem Rembrandt unter Anleitung eines Arztes Anatomie studirt Der eine Arm, bereits in Fäulniß übergegangen, der andere der Haut entblößt und mit bloßgelegten Nerven. Auf der diesmaligen Ausstellung in Antwerpen behandelt eins der bedeutendsten Bilder von Slingeuaer folgenden Inhalt. Lebensgroß ausgeführt die bis auf die Schwimmbosen nackte Leiche eines ertrun¬ kenen Matrosen, von den Welle» ausgeworfen auf dem gelben Ufersande liegend; ein Adler ist ans der Luft herabgeschossen und so eben im Begriff, seinen Schnabel in die Brust des Todten zu schlagen. Dieser liegt mit gespreizten Beinen und Armen, deren Fäuste sich ballen, die Fußsohlen zum Bilde beraus, in einer Ver¬ kürzung, die bei dem tiefen Horizont den Kopf verschwinde» läßt. Da^u ein graugrüner Fleischton, der deutlich zeigt, daß der Leichnam schon viele Tage im Wasser gelegen bat. — Wenn die älteren christlichen Maler ähnliche Gegenstände wählten, so war das im Sinn der damaligen Kirche, die das Elend des Lebens, das Leiden und den Schmerz göttlich verehrte; sie waren durch die Nothwendig¬ keit getrieben, und wenigstens die Besseren nnter ihnen suchten anch unter den Zuckungen des Fleisches deu gottergebenen und daber siegreichen Geist durch¬ scheinen zu lassen.' Jetzt sind wir dieser bittern Nothwendigkeit ni'erhoben, und der häßliche Anblick jenes Zustandes, in dem die lebende Hülle des Geistes dem gemeinen Reich der Chemie verfällt, gebört eben so wenig in das Gebiet der Kunst, wie in das Gebiet der Religion. Das Centrum der mittelalterlichen Re¬ ligion war der Tod; wir dagegen glauben.an das Leben, an das ewige Leben, an das unendliche Leben. Der Tod ist ein Problem 'der Wissenschaft, aber nicht mehr eine ideale Anschauung. — Vor einigen Wochen sahen wir in Leipzig ein Gemälde, welches die bekannte Ge¬ schichte von dem gefangenen Römer darstellt, der, weil er keine andere Nahrung hatte, im Kerker von seiner Tochter gesängt wurde. Der Besitzer dieses Gemäldes, Herr Lemaire, der es dann später auch an anderen Orten ausgestellt hat, gab es als ein Gemälde von Van Dyk, welches in irgend einem abgelegenen Winkel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/114
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/114>, abgerufen am 16.06.2024.