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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Färbung, auf die sittliche Grundstimmung, die den Gegenstand erst in daS
Bereich der Kunst zieht, eine an's Wunderbare streifende Unklarheit und Rat¬
losigkeit.

Man hat in früherer Zeit mit dem Ausdruck Subjektivität und Objectivität
viel Mißbrauch getrieben. Der wirkliche Dichter ist immer objectiv, das heißt, er wählt
die reale" Charaktere nud Ereignisse so, wie er sie für sein Ideal braucht, und
er wendet diejenigen Farben und Striche an, die dazu geeignet sind, diesem Ideal
Lebendigkeit zu verleihen. Goethe's lyrische Gedichte sind darin allerdings das
vollständigste Muster, und es mochte ihm auch nnter den großen Dichtern der
übrigen Völker keiner zur Seite stehen; aber auch bei Schiller's besseren Gedichten wer¬
den wir diese Objectivität nicht vermissen, und wenn wir auch z. B. in den "Göttern
Griechenlands", oder in den "Künstlern" durch den Glanz der Bilder etwas
betäubt werden, so werden wir doch zugeben müssen, daß dieser Glanz von dem
Gegenstand nicht zu trennen ist, und daß, wenn der Dichter diesen Gegenstand
überhaupt behandeln wollte, er ihn nicht anders behandeln konnte, als er's wirk¬
lich gethan. Wir haben immer das Gefühl der innern Nothwendigkeit, welches
der wesentlichste Prüfstein für den Werth eines Gedichtes ist. Heut zu Tage ist es
unsren Dichtern absolut unmöglich, sich aus längere Zeit in einen Gegenstand mit
Andacht zu vertiefen. Wenn sie nicht bei der Gelegenheit ihre Ansichten über Gott
und Welt, ihre Kenntnisse in der Naturwissenschaft und im Kontrapunkt, ihre
metaphysischen Grundsätze und die Reminiscenzen ans dem Salongeschwätz an¬
bringen können, so erscheint ihnen die simple Beschäftigung mit einer Begebenheit
oder mit einem Gefühl höchst verächtlich und gemein. In dieser Beziehung sollten
sie einmal ein Gedicht, ans welches man jetzt so geringschätzig herabsieht, wie etwa
die Lenore, studiren. Schade was um die Hurre dürre, hopp hopp hopp n.s. w,!
Von dergleichen einzelnen Geschmacklosigkeiten kann man leicht absehen, im Uebrigen
wird man aber eine Technik und eine Correctheit darin finden, von der unsre heutigen
Dichter keinen Begriff mehr haben. Jene alte" Dichter verehrten in der Poesie
die Kunst; sie begnügten sich nicht mit gelegentlichen Einfallen? sondern sie studir-
ten mit Ausdauer und Andacht die Gesetze ihres Schaffens. Wenn aber heut
zu Tage ein junger Dichter einiges Sprachtalent hat, so liest er den Byron, den
Faust, den Heine, Lena", Grün n. s. w. und wirst die Brocken, die ihm davon
übrig bleiben, wenn es hoch kommt, in einer neu erfundenen Manier zusammen,
in der Regel aber ohne alle Manier, wie es gerade fällt. Das ist aber nicht
der Weg, ans dem die Kunst vorwärts komme" kann.

Allerdings müssen wir noch hinzufügen, daß jene großen Dichter, namentlich
in ihren dramatischen Werken schon Vieles gethan haben, was diesen Verfall der
Kunst vorbereiten mußte. Schiller tritt in seinen Dramen nur zu häufig aus
der Sache heraus, wie z. B. in seinem Wallenstein, wo Max über die Astrologie seines
Feldherr" auf eine Weise reflectirt, die weder dem Geist der Zeit, noch der


Färbung, auf die sittliche Grundstimmung, die den Gegenstand erst in daS
Bereich der Kunst zieht, eine an's Wunderbare streifende Unklarheit und Rat¬
losigkeit.

Man hat in früherer Zeit mit dem Ausdruck Subjektivität und Objectivität
viel Mißbrauch getrieben. Der wirkliche Dichter ist immer objectiv, das heißt, er wählt
die reale» Charaktere nud Ereignisse so, wie er sie für sein Ideal braucht, und
er wendet diejenigen Farben und Striche an, die dazu geeignet sind, diesem Ideal
Lebendigkeit zu verleihen. Goethe's lyrische Gedichte sind darin allerdings das
vollständigste Muster, und es mochte ihm auch nnter den großen Dichtern der
übrigen Völker keiner zur Seite stehen; aber auch bei Schiller's besseren Gedichten wer¬
den wir diese Objectivität nicht vermissen, und wenn wir auch z. B. in den „Göttern
Griechenlands", oder in den „Künstlern" durch den Glanz der Bilder etwas
betäubt werden, so werden wir doch zugeben müssen, daß dieser Glanz von dem
Gegenstand nicht zu trennen ist, und daß, wenn der Dichter diesen Gegenstand
überhaupt behandeln wollte, er ihn nicht anders behandeln konnte, als er's wirk¬
lich gethan. Wir haben immer das Gefühl der innern Nothwendigkeit, welches
der wesentlichste Prüfstein für den Werth eines Gedichtes ist. Heut zu Tage ist es
unsren Dichtern absolut unmöglich, sich aus längere Zeit in einen Gegenstand mit
Andacht zu vertiefen. Wenn sie nicht bei der Gelegenheit ihre Ansichten über Gott
und Welt, ihre Kenntnisse in der Naturwissenschaft und im Kontrapunkt, ihre
metaphysischen Grundsätze und die Reminiscenzen ans dem Salongeschwätz an¬
bringen können, so erscheint ihnen die simple Beschäftigung mit einer Begebenheit
oder mit einem Gefühl höchst verächtlich und gemein. In dieser Beziehung sollten
sie einmal ein Gedicht, ans welches man jetzt so geringschätzig herabsieht, wie etwa
die Lenore, studiren. Schade was um die Hurre dürre, hopp hopp hopp n.s. w,!
Von dergleichen einzelnen Geschmacklosigkeiten kann man leicht absehen, im Uebrigen
wird man aber eine Technik und eine Correctheit darin finden, von der unsre heutigen
Dichter keinen Begriff mehr haben. Jene alte» Dichter verehrten in der Poesie
die Kunst; sie begnügten sich nicht mit gelegentlichen Einfallen? sondern sie studir-
ten mit Ausdauer und Andacht die Gesetze ihres Schaffens. Wenn aber heut
zu Tage ein junger Dichter einiges Sprachtalent hat, so liest er den Byron, den
Faust, den Heine, Lena», Grün n. s. w. und wirst die Brocken, die ihm davon
übrig bleiben, wenn es hoch kommt, in einer neu erfundenen Manier zusammen,
in der Regel aber ohne alle Manier, wie es gerade fällt. Das ist aber nicht
der Weg, ans dem die Kunst vorwärts komme» kann.

Allerdings müssen wir noch hinzufügen, daß jene großen Dichter, namentlich
in ihren dramatischen Werken schon Vieles gethan haben, was diesen Verfall der
Kunst vorbereiten mußte. Schiller tritt in seinen Dramen nur zu häufig aus
der Sache heraus, wie z. B. in seinem Wallenstein, wo Max über die Astrologie seines
Feldherr» auf eine Weise reflectirt, die weder dem Geist der Zeit, noch der


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[0132] Färbung, auf die sittliche Grundstimmung, die den Gegenstand erst in daS Bereich der Kunst zieht, eine an's Wunderbare streifende Unklarheit und Rat¬ losigkeit. Man hat in früherer Zeit mit dem Ausdruck Subjektivität und Objectivität viel Mißbrauch getrieben. Der wirkliche Dichter ist immer objectiv, das heißt, er wählt die reale» Charaktere nud Ereignisse so, wie er sie für sein Ideal braucht, und er wendet diejenigen Farben und Striche an, die dazu geeignet sind, diesem Ideal Lebendigkeit zu verleihen. Goethe's lyrische Gedichte sind darin allerdings das vollständigste Muster, und es mochte ihm auch nnter den großen Dichtern der übrigen Völker keiner zur Seite stehen; aber auch bei Schiller's besseren Gedichten wer¬ den wir diese Objectivität nicht vermissen, und wenn wir auch z. B. in den „Göttern Griechenlands", oder in den „Künstlern" durch den Glanz der Bilder etwas betäubt werden, so werden wir doch zugeben müssen, daß dieser Glanz von dem Gegenstand nicht zu trennen ist, und daß, wenn der Dichter diesen Gegenstand überhaupt behandeln wollte, er ihn nicht anders behandeln konnte, als er's wirk¬ lich gethan. Wir haben immer das Gefühl der innern Nothwendigkeit, welches der wesentlichste Prüfstein für den Werth eines Gedichtes ist. Heut zu Tage ist es unsren Dichtern absolut unmöglich, sich aus längere Zeit in einen Gegenstand mit Andacht zu vertiefen. Wenn sie nicht bei der Gelegenheit ihre Ansichten über Gott und Welt, ihre Kenntnisse in der Naturwissenschaft und im Kontrapunkt, ihre metaphysischen Grundsätze und die Reminiscenzen ans dem Salongeschwätz an¬ bringen können, so erscheint ihnen die simple Beschäftigung mit einer Begebenheit oder mit einem Gefühl höchst verächtlich und gemein. In dieser Beziehung sollten sie einmal ein Gedicht, ans welches man jetzt so geringschätzig herabsieht, wie etwa die Lenore, studiren. Schade was um die Hurre dürre, hopp hopp hopp n.s. w,! Von dergleichen einzelnen Geschmacklosigkeiten kann man leicht absehen, im Uebrigen wird man aber eine Technik und eine Correctheit darin finden, von der unsre heutigen Dichter keinen Begriff mehr haben. Jene alte» Dichter verehrten in der Poesie die Kunst; sie begnügten sich nicht mit gelegentlichen Einfallen? sondern sie studir- ten mit Ausdauer und Andacht die Gesetze ihres Schaffens. Wenn aber heut zu Tage ein junger Dichter einiges Sprachtalent hat, so liest er den Byron, den Faust, den Heine, Lena», Grün n. s. w. und wirst die Brocken, die ihm davon übrig bleiben, wenn es hoch kommt, in einer neu erfundenen Manier zusammen, in der Regel aber ohne alle Manier, wie es gerade fällt. Das ist aber nicht der Weg, ans dem die Kunst vorwärts komme» kann. Allerdings müssen wir noch hinzufügen, daß jene großen Dichter, namentlich in ihren dramatischen Werken schon Vieles gethan haben, was diesen Verfall der Kunst vorbereiten mußte. Schiller tritt in seinen Dramen nur zu häufig aus der Sache heraus, wie z. B. in seinem Wallenstein, wo Max über die Astrologie seines Feldherr» auf eine Weise reflectirt, die weder dem Geist der Zeit, noch der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/132>, abgerufen am 15.06.2024.