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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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sondern selbst in seine Zeichnung etwas Unflates und nebelhaftes, wenn auch
einzelne Empfindungen und einzelne Züge mit wahrer Poesie ausgearbeitet sind.
Eben diese öfters hervortretenden Spuren von Poesie lassen uns die Verirrungen
des Dichters so lebhaft bedauern. Wir wollen als ein kleines Beispiel seines
Talents hier ein kleines Gedicht anführen, das die Empfindungen beim Eintritt
in's Kloster ausdrückt:


Marie, o lerne beten
Zum Gott der Schmerzen,
Er hat zertreten
Viel tausend Menschenherzen.
Es blutet aus heiligen Wunden
Der Welterrctter,
Wer soll gesunden,
Wenn krank die co'gen Götter?
Im bleichen Antlitz beben
Tod und Verderben,
O wer soll leben.
Wenn ewige Götter sterben?

Das ist sehr hübsch ausgedrückt, und so finden wir noch viele andere Stellen.
Indem wir nun aber auf deu Styl übergehen, tritt die Verirrung deö Geschmacks
wo möglich noch greller hervor, - als in Bezug auf die sittliche Auffassung. Am
meisten Styl finden wir noch in der Einleitung, weil man in einem Dithyrambus
eine gewisse Freiheit und Kühnheit der Bilder erträgt; in der eigentlichen Ge¬
schichte dagegen, wo uus zuerst Marie als ein unschuldiges, aumuthiges Mädchen
dargestellt werden soll, wendet der Dichter gleich von vornherein eine Heine'sche
Ironie an, die seinem Zweck widerspricht. Gleich die erste stille Neigung zu einem
blonden Kandidaten wird bespöttelt. Noch schlimmer ist es, als Marie zuerst ihre
Bestimmung mitgetheilt wird, in's Kloster zu gehen. Die Anrede, die hier an
sie gehalten wird, mußte entweder im Sinne ihrer Angehörigen gefaßt sein, oder
sie mußte die Empfindungen des Mädchens selbst wiederspiegeln. Das konnte
nun Furcht vor dieser düstern unbekannten Stätte sein, vielleicht mit etwas
Schwärmerei gemischt, Andacht und Schalkhaftigkeit, oder was der Dichter sonst
in ihrer Seele finden wollte. Statt dessen wendet er Bilder an, wie sie in dem
bekannten Wettgesang des Nomanzero, wo der erboste Rabbi ans den erbosten
Mönch schimpft, sehr wohl angebracht sind, die aber in die Seele eines jungen
Mädchen verlegt, einen geradezu scheußlichen Eindruck machen, z. B.:


Du wirst die Braut von Jesu Christ,
Durch himmlische Liebe verklärt:
Und nebenbei, was das Beste ist,
Ganz sorgenfrei ernährt!

sondern selbst in seine Zeichnung etwas Unflates und nebelhaftes, wenn auch
einzelne Empfindungen und einzelne Züge mit wahrer Poesie ausgearbeitet sind.
Eben diese öfters hervortretenden Spuren von Poesie lassen uns die Verirrungen
des Dichters so lebhaft bedauern. Wir wollen als ein kleines Beispiel seines
Talents hier ein kleines Gedicht anführen, das die Empfindungen beim Eintritt
in's Kloster ausdrückt:


Marie, o lerne beten
Zum Gott der Schmerzen,
Er hat zertreten
Viel tausend Menschenherzen.
Es blutet aus heiligen Wunden
Der Welterrctter,
Wer soll gesunden,
Wenn krank die co'gen Götter?
Im bleichen Antlitz beben
Tod und Verderben,
O wer soll leben.
Wenn ewige Götter sterben?

Das ist sehr hübsch ausgedrückt, und so finden wir noch viele andere Stellen.
Indem wir nun aber auf deu Styl übergehen, tritt die Verirrung deö Geschmacks
wo möglich noch greller hervor, - als in Bezug auf die sittliche Auffassung. Am
meisten Styl finden wir noch in der Einleitung, weil man in einem Dithyrambus
eine gewisse Freiheit und Kühnheit der Bilder erträgt; in der eigentlichen Ge¬
schichte dagegen, wo uus zuerst Marie als ein unschuldiges, aumuthiges Mädchen
dargestellt werden soll, wendet der Dichter gleich von vornherein eine Heine'sche
Ironie an, die seinem Zweck widerspricht. Gleich die erste stille Neigung zu einem
blonden Kandidaten wird bespöttelt. Noch schlimmer ist es, als Marie zuerst ihre
Bestimmung mitgetheilt wird, in's Kloster zu gehen. Die Anrede, die hier an
sie gehalten wird, mußte entweder im Sinne ihrer Angehörigen gefaßt sein, oder
sie mußte die Empfindungen des Mädchens selbst wiederspiegeln. Das konnte
nun Furcht vor dieser düstern unbekannten Stätte sein, vielleicht mit etwas
Schwärmerei gemischt, Andacht und Schalkhaftigkeit, oder was der Dichter sonst
in ihrer Seele finden wollte. Statt dessen wendet er Bilder an, wie sie in dem
bekannten Wettgesang des Nomanzero, wo der erboste Rabbi ans den erbosten
Mönch schimpft, sehr wohl angebracht sind, die aber in die Seele eines jungen
Mädchen verlegt, einen geradezu scheußlichen Eindruck machen, z. B.:


Du wirst die Braut von Jesu Christ,
Durch himmlische Liebe verklärt:
Und nebenbei, was das Beste ist,
Ganz sorgenfrei ernährt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/138>, abgerufen am 15.06.2024.