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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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er hat die Welt geschaffen und sie unbedingt geleitet, während der eigentliche liebe
Gott (Agathodämon), der nach diesem Gedicht ein ziemlich dummer Teufel zu
sein scheint und von Lucifer tüchtig in die Schule genommen werden muß, müßig
zusieht; aber sobald die ersten allgemeinen Abstractionen, die Weltschöpfung :c.,
überwunden sind, und wir in das wirkliche Leben geführt werden, sehen wir die
alte wohlbekannte MephistvphelcSmaskc vor uns. Nun hat Goethe zwar unter
dieser Firma eine Reihe der vortrefflichsten und schlagendsten Einfälle in die Welt
gesetzt, aber einmal glauben wir nicht, baß es auch ihm gelungen ist, aus diesen
Einfällen einen wirklichen Charakter zusammenzusetzen, und jede Aufmhruug des
Faust, auch von den besten Künstlern, wird diese Ansicht bekräftigen; außerdem
aber halten wir es-auch für überflüssig, diesen an sich ziemlich uninteressanter
Charakter durch Duplicate zu vervielfältigen. Dieser gescheidte spitzbübische
Bediente, der immer Alles besser wissen will, weil er beim Kleiderputzen und
dergleichen Manches sieht, was Andere nicht bemerken, und weil er seinen Herrn
durch kleine Pfiffigkeiten betrügt, wird entschieden langweilig, sobald er seine
Livree auszieht. Eigentlich ist er nur eine Moliere'sche Lustspielfigur: auf den
Kothurn gehört er nicht. -- Auf eine ähnliche Weise ist auch der andere Held
des Stücks dem Faust nachgebildet. Zwar hat er selber den Faust gelesen und
macht einen entschiedenen Unterschied zwischen sich und dem Helden der Vorzeit,
auch ist er eigentlich der liebe Gott, der nur von Mephistopheles in einen
Menschen verwandelt ist, und diesen Umstand vergessen hat, aber das Alles sind
doch nur Nebensachen, er bleibt immer nnr die alte Weltschmcrzfigur mit greisen¬
hafter Reflexion und knabenhaften Willen.

Daß an eine Einheit der Handlung, an einen innern Zusammenhang der Ereig¬
nisse unter diesen Umständen nicht zu denken sein wird, versteht sich von selbst. Auch
hier hat die gewöhnliche Faust'sche Schablone wieder zum Vorbild gedient. Als
Kunstwerk im Ganzen müssen wir also dieses Gedicht verwerfen, und lassen uus
auch nicht durch den Umstand irren, daß es sich nnr als erster Theil bezeichnet,
denn La es nicht die geringste Spannung hinterläßt, so würde auch ein glän¬
zender ausgeführter zweiter Theil die Fehler deö ersten uicht wieder gut machen.

Anders müssen wir aber urtheilen, wenn wir die poetische Kraft, die in
diesem verfehlten Versuch verwendet ist, ins Auge fassen. Hier finden wir ein
sehr bedeutendes lyrisches Talent, und einzelne Stellen, phantastische Natur-
schilderungen, aber auch Reflexionen sind vollkommen poetisch durchgeführt. Ob
der Dichter auch die größere Kraft besitzt, wirkliche Gestalten zu concipiren und
sie in's Leben zu setzen, können wir noch nicht beurtheilen, denn vorläufig hat er
sich nur unter Schatten bewegt. Auch sein Styl ist durch den Versuch, Goethe
nachzubilden, häufig verkümmert worden. Daß er aber, wenn er seiue eigene
Sprache redet, ein gutes und kräftiges Deutsch zu handhaben versteht, das
wollen wir an einem Beispiel zeigen, welches wir uicht aus einer der specifisch


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er hat die Welt geschaffen und sie unbedingt geleitet, während der eigentliche liebe
Gott (Agathodämon), der nach diesem Gedicht ein ziemlich dummer Teufel zu
sein scheint und von Lucifer tüchtig in die Schule genommen werden muß, müßig
zusieht; aber sobald die ersten allgemeinen Abstractionen, die Weltschöpfung :c.,
überwunden sind, und wir in das wirkliche Leben geführt werden, sehen wir die
alte wohlbekannte MephistvphelcSmaskc vor uns. Nun hat Goethe zwar unter
dieser Firma eine Reihe der vortrefflichsten und schlagendsten Einfälle in die Welt
gesetzt, aber einmal glauben wir nicht, baß es auch ihm gelungen ist, aus diesen
Einfällen einen wirklichen Charakter zusammenzusetzen, und jede Aufmhruug des
Faust, auch von den besten Künstlern, wird diese Ansicht bekräftigen; außerdem
aber halten wir es-auch für überflüssig, diesen an sich ziemlich uninteressanter
Charakter durch Duplicate zu vervielfältigen. Dieser gescheidte spitzbübische
Bediente, der immer Alles besser wissen will, weil er beim Kleiderputzen und
dergleichen Manches sieht, was Andere nicht bemerken, und weil er seinen Herrn
durch kleine Pfiffigkeiten betrügt, wird entschieden langweilig, sobald er seine
Livree auszieht. Eigentlich ist er nur eine Moliere'sche Lustspielfigur: auf den
Kothurn gehört er nicht. — Auf eine ähnliche Weise ist auch der andere Held
des Stücks dem Faust nachgebildet. Zwar hat er selber den Faust gelesen und
macht einen entschiedenen Unterschied zwischen sich und dem Helden der Vorzeit,
auch ist er eigentlich der liebe Gott, der nur von Mephistopheles in einen
Menschen verwandelt ist, und diesen Umstand vergessen hat, aber das Alles sind
doch nur Nebensachen, er bleibt immer nnr die alte Weltschmcrzfigur mit greisen¬
hafter Reflexion und knabenhaften Willen.

Daß an eine Einheit der Handlung, an einen innern Zusammenhang der Ereig¬
nisse unter diesen Umständen nicht zu denken sein wird, versteht sich von selbst. Auch
hier hat die gewöhnliche Faust'sche Schablone wieder zum Vorbild gedient. Als
Kunstwerk im Ganzen müssen wir also dieses Gedicht verwerfen, und lassen uus
auch nicht durch den Umstand irren, daß es sich nnr als erster Theil bezeichnet,
denn La es nicht die geringste Spannung hinterläßt, so würde auch ein glän¬
zender ausgeführter zweiter Theil die Fehler deö ersten uicht wieder gut machen.

Anders müssen wir aber urtheilen, wenn wir die poetische Kraft, die in
diesem verfehlten Versuch verwendet ist, ins Auge fassen. Hier finden wir ein
sehr bedeutendes lyrisches Talent, und einzelne Stellen, phantastische Natur-
schilderungen, aber auch Reflexionen sind vollkommen poetisch durchgeführt. Ob
der Dichter auch die größere Kraft besitzt, wirkliche Gestalten zu concipiren und
sie in's Leben zu setzen, können wir noch nicht beurtheilen, denn vorläufig hat er
sich nur unter Schatten bewegt. Auch sein Styl ist durch den Versuch, Goethe
nachzubilden, häufig verkümmert worden. Daß er aber, wenn er seiue eigene
Sprache redet, ein gutes und kräftiges Deutsch zu handhaben versteht, das
wollen wir an einem Beispiel zeigen, welches wir uicht aus einer der specifisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/189>, abgerufen am 16.06.2024.