Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht auf sich warten lassen. Wenden wir unsren Blick für einen Moment auf
die veränderte Lage Deutschlands, dieser neuen Wendung der Dinge gegenüber.

Napoleon hat feierlich erklärt, das Kaiserreich sei nicht der Krieg, sondern
der Frieden; die einzigen Eroberungen, die eS zu machen gedenke, seien die Noth-
leidenden, die erquickt, gehoben, mit der Welt versöhnt werden sollen; "kommt
her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! ich will euch trösten!" spricht
der Kaiser. Derselbe Manu hat freilich vor einigen Monaten auch erklärt, das
Kaiserreich solle nicht aufgerichtet werden, wenn die Wuth und der Haß der Parteien
ihn nicht dazu zwängen. Aber die Liebe ist stärker als der Tod," stärker als der
Haß; sie hat den Prinzen, als er sich nach dem Weinban der südlichen Provinzen
erkundigen wollte, so unerwartet und so ungestüm überfallen, daß er sich der Sehn¬
sucht seines Volks nicht länger entziehen kaun. Das Kaiserreich wird hergestellt,
ohne daß der Haß der Parteien es zum Heil der Gesellschaft nothwendig machte.
Ganz ähnlich kann die Sehnsucht und die Begeisterung der Armee ihn auch ver¬
anlassen, die Eroberungen im Gebiet der' Nothleidenden einstweilen bei Seite zu
setzen, und seine Blicke auf die reicheren Gefilde von Belgien, .der Rheinprovinz
und Savoyen zu lenken.

Die Gefahr für Deutschland ist sehr groß, und es wäre ein schweres Un¬
recht, sie sich verhehlen zu wolle". Schon nehmen die belgischen Angelegenheiten
eine drohende Wendung. Glücklicher Weise ist' wenigstens vorläufig durch das
Scheitern der ultramontanen Combination die Gefahr beseitigt, daß hier eine
friedliche Eroberung stattfände. Sollte aber gerade diese Wendung den Conflict
auf dieser Seite beschleunigen, so ergeht die ernste Mahnung an die deutschen
Großmächte, eine Stellung einzunehmen, die allen möglichen Eventualitäten vor¬
beugt. Wir siud überzeugt, daß der Krieg unvermeidlich ist, wenn Deutschland
eine Bresche darbietet/ aber eben so überzeugt sind wir von der Klugheit Louis
Napoleon's, daß er jedes Unternehmen vermeiden wird, wenn ganz Deutschland
ihm gerüstet gegenübersteht.

Wir siud > stets für den Antagonismus zwischen Preußen und Oestreich ge¬
wesen; wir haben jede Partei in Preußen unterstützt, die danach strebte, den
Staat Friedrich des Große" dem Einfluß der Habsburgischen Politik zu entziehen.
Wir werden in dieser Richtung unausgesetzt fortfahren. Aber ein Anderes ist es
in Bezug auf die auswärtige Stellung unsrer Staaten. Dem drohenden Kaiser¬
reich gegenüber soll Oestreich und Preußen sich zu der innigsten Allianz verbunden,
und diese Allianz soll etwaige Pelleitäten der übrigen deutschen 'Fürsten im Keim
ersticken.

Eine solche Allianz, die sich uach unsrer Ueberzeugung auch auf die außer-
deutschen Provinzen Oestreichs erstrecken muß, soll keinen Einfluß haben ans die
innere Politik Preußens. Im Gegentheil soll hier "in so entschiedener das Princip
der Selbstständigkeit festgehalten werden, je offener man in Bezug auf die äußeren


nicht auf sich warten lassen. Wenden wir unsren Blick für einen Moment auf
die veränderte Lage Deutschlands, dieser neuen Wendung der Dinge gegenüber.

Napoleon hat feierlich erklärt, das Kaiserreich sei nicht der Krieg, sondern
der Frieden; die einzigen Eroberungen, die eS zu machen gedenke, seien die Noth-
leidenden, die erquickt, gehoben, mit der Welt versöhnt werden sollen; „kommt
her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! ich will euch trösten!" spricht
der Kaiser. Derselbe Manu hat freilich vor einigen Monaten auch erklärt, das
Kaiserreich solle nicht aufgerichtet werden, wenn die Wuth und der Haß der Parteien
ihn nicht dazu zwängen. Aber die Liebe ist stärker als der Tod," stärker als der
Haß; sie hat den Prinzen, als er sich nach dem Weinban der südlichen Provinzen
erkundigen wollte, so unerwartet und so ungestüm überfallen, daß er sich der Sehn¬
sucht seines Volks nicht länger entziehen kaun. Das Kaiserreich wird hergestellt,
ohne daß der Haß der Parteien es zum Heil der Gesellschaft nothwendig machte.
Ganz ähnlich kann die Sehnsucht und die Begeisterung der Armee ihn auch ver¬
anlassen, die Eroberungen im Gebiet der' Nothleidenden einstweilen bei Seite zu
setzen, und seine Blicke auf die reicheren Gefilde von Belgien, .der Rheinprovinz
und Savoyen zu lenken.

Die Gefahr für Deutschland ist sehr groß, und es wäre ein schweres Un¬
recht, sie sich verhehlen zu wolle». Schon nehmen die belgischen Angelegenheiten
eine drohende Wendung. Glücklicher Weise ist' wenigstens vorläufig durch das
Scheitern der ultramontanen Combination die Gefahr beseitigt, daß hier eine
friedliche Eroberung stattfände. Sollte aber gerade diese Wendung den Conflict
auf dieser Seite beschleunigen, so ergeht die ernste Mahnung an die deutschen
Großmächte, eine Stellung einzunehmen, die allen möglichen Eventualitäten vor¬
beugt. Wir siud überzeugt, daß der Krieg unvermeidlich ist, wenn Deutschland
eine Bresche darbietet/ aber eben so überzeugt sind wir von der Klugheit Louis
Napoleon's, daß er jedes Unternehmen vermeiden wird, wenn ganz Deutschland
ihm gerüstet gegenübersteht.

Wir siud > stets für den Antagonismus zwischen Preußen und Oestreich ge¬
wesen; wir haben jede Partei in Preußen unterstützt, die danach strebte, den
Staat Friedrich des Große» dem Einfluß der Habsburgischen Politik zu entziehen.
Wir werden in dieser Richtung unausgesetzt fortfahren. Aber ein Anderes ist es
in Bezug auf die auswärtige Stellung unsrer Staaten. Dem drohenden Kaiser¬
reich gegenüber soll Oestreich und Preußen sich zu der innigsten Allianz verbunden,
und diese Allianz soll etwaige Pelleitäten der übrigen deutschen 'Fürsten im Keim
ersticken.

Eine solche Allianz, die sich uach unsrer Ueberzeugung auch auf die außer-
deutschen Provinzen Oestreichs erstrecken muß, soll keinen Einfluß haben ans die
innere Politik Preußens. Im Gegentheil soll hier »in so entschiedener das Princip
der Selbstständigkeit festgehalten werden, je offener man in Bezug auf die äußeren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95177"/>
          <p xml:id="ID_512" prev="#ID_511"> nicht auf sich warten lassen. Wenden wir unsren Blick für einen Moment auf<lb/>
die veränderte Lage Deutschlands, dieser neuen Wendung der Dinge gegenüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_513"> Napoleon hat feierlich erklärt, das Kaiserreich sei nicht der Krieg, sondern<lb/>
der Frieden; die einzigen Eroberungen, die eS zu machen gedenke, seien die Noth-<lb/>
leidenden, die erquickt, gehoben, mit der Welt versöhnt werden sollen; &#x201E;kommt<lb/>
her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! ich will euch trösten!" spricht<lb/>
der Kaiser. Derselbe Manu hat freilich vor einigen Monaten auch erklärt, das<lb/>
Kaiserreich solle nicht aufgerichtet werden, wenn die Wuth und der Haß der Parteien<lb/>
ihn nicht dazu zwängen. Aber die Liebe ist stärker als der Tod," stärker als der<lb/>
Haß; sie hat den Prinzen, als er sich nach dem Weinban der südlichen Provinzen<lb/>
erkundigen wollte, so unerwartet und so ungestüm überfallen, daß er sich der Sehn¬<lb/>
sucht seines Volks nicht länger entziehen kaun. Das Kaiserreich wird hergestellt,<lb/>
ohne daß der Haß der Parteien es zum Heil der Gesellschaft nothwendig machte.<lb/>
Ganz ähnlich kann die Sehnsucht und die Begeisterung der Armee ihn auch ver¬<lb/>
anlassen, die Eroberungen im Gebiet der' Nothleidenden einstweilen bei Seite zu<lb/>
setzen, und seine Blicke auf die reicheren Gefilde von Belgien, .der Rheinprovinz<lb/>
und Savoyen zu lenken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514"> Die Gefahr für Deutschland ist sehr groß, und es wäre ein schweres Un¬<lb/>
recht, sie sich verhehlen zu wolle». Schon nehmen die belgischen Angelegenheiten<lb/>
eine drohende Wendung. Glücklicher Weise ist' wenigstens vorläufig durch das<lb/>
Scheitern der ultramontanen Combination die Gefahr beseitigt, daß hier eine<lb/>
friedliche Eroberung stattfände. Sollte aber gerade diese Wendung den Conflict<lb/>
auf dieser Seite beschleunigen, so ergeht die ernste Mahnung an die deutschen<lb/>
Großmächte, eine Stellung einzunehmen, die allen möglichen Eventualitäten vor¬<lb/>
beugt. Wir siud überzeugt, daß der Krieg unvermeidlich ist, wenn Deutschland<lb/>
eine Bresche darbietet/ aber eben so überzeugt sind wir von der Klugheit Louis<lb/>
Napoleon's, daß er jedes Unternehmen vermeiden wird, wenn ganz Deutschland<lb/>
ihm gerüstet gegenübersteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515"> Wir siud &gt; stets für den Antagonismus zwischen Preußen und Oestreich ge¬<lb/>
wesen; wir haben jede Partei in Preußen unterstützt, die danach strebte, den<lb/>
Staat Friedrich des Große» dem Einfluß der Habsburgischen Politik zu entziehen.<lb/>
Wir werden in dieser Richtung unausgesetzt fortfahren. Aber ein Anderes ist es<lb/>
in Bezug auf die auswärtige Stellung unsrer Staaten. Dem drohenden Kaiser¬<lb/>
reich gegenüber soll Oestreich und Preußen sich zu der innigsten Allianz verbunden,<lb/>
und diese Allianz soll etwaige Pelleitäten der übrigen deutschen 'Fürsten im Keim<lb/>
ersticken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_516" next="#ID_517"> Eine solche Allianz, die sich uach unsrer Ueberzeugung auch auf die außer-<lb/>
deutschen Provinzen Oestreichs erstrecken muß, soll keinen Einfluß haben ans die<lb/>
innere Politik Preußens. Im Gegentheil soll hier »in so entschiedener das Princip<lb/>
der Selbstständigkeit festgehalten werden, je offener man in Bezug auf die äußeren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] nicht auf sich warten lassen. Wenden wir unsren Blick für einen Moment auf die veränderte Lage Deutschlands, dieser neuen Wendung der Dinge gegenüber. Napoleon hat feierlich erklärt, das Kaiserreich sei nicht der Krieg, sondern der Frieden; die einzigen Eroberungen, die eS zu machen gedenke, seien die Noth- leidenden, die erquickt, gehoben, mit der Welt versöhnt werden sollen; „kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! ich will euch trösten!" spricht der Kaiser. Derselbe Manu hat freilich vor einigen Monaten auch erklärt, das Kaiserreich solle nicht aufgerichtet werden, wenn die Wuth und der Haß der Parteien ihn nicht dazu zwängen. Aber die Liebe ist stärker als der Tod," stärker als der Haß; sie hat den Prinzen, als er sich nach dem Weinban der südlichen Provinzen erkundigen wollte, so unerwartet und so ungestüm überfallen, daß er sich der Sehn¬ sucht seines Volks nicht länger entziehen kaun. Das Kaiserreich wird hergestellt, ohne daß der Haß der Parteien es zum Heil der Gesellschaft nothwendig machte. Ganz ähnlich kann die Sehnsucht und die Begeisterung der Armee ihn auch ver¬ anlassen, die Eroberungen im Gebiet der' Nothleidenden einstweilen bei Seite zu setzen, und seine Blicke auf die reicheren Gefilde von Belgien, .der Rheinprovinz und Savoyen zu lenken. Die Gefahr für Deutschland ist sehr groß, und es wäre ein schweres Un¬ recht, sie sich verhehlen zu wolle». Schon nehmen die belgischen Angelegenheiten eine drohende Wendung. Glücklicher Weise ist' wenigstens vorläufig durch das Scheitern der ultramontanen Combination die Gefahr beseitigt, daß hier eine friedliche Eroberung stattfände. Sollte aber gerade diese Wendung den Conflict auf dieser Seite beschleunigen, so ergeht die ernste Mahnung an die deutschen Großmächte, eine Stellung einzunehmen, die allen möglichen Eventualitäten vor¬ beugt. Wir siud überzeugt, daß der Krieg unvermeidlich ist, wenn Deutschland eine Bresche darbietet/ aber eben so überzeugt sind wir von der Klugheit Louis Napoleon's, daß er jedes Unternehmen vermeiden wird, wenn ganz Deutschland ihm gerüstet gegenübersteht. Wir siud > stets für den Antagonismus zwischen Preußen und Oestreich ge¬ wesen; wir haben jede Partei in Preußen unterstützt, die danach strebte, den Staat Friedrich des Große» dem Einfluß der Habsburgischen Politik zu entziehen. Wir werden in dieser Richtung unausgesetzt fortfahren. Aber ein Anderes ist es in Bezug auf die auswärtige Stellung unsrer Staaten. Dem drohenden Kaiser¬ reich gegenüber soll Oestreich und Preußen sich zu der innigsten Allianz verbunden, und diese Allianz soll etwaige Pelleitäten der übrigen deutschen 'Fürsten im Keim ersticken. Eine solche Allianz, die sich uach unsrer Ueberzeugung auch auf die außer- deutschen Provinzen Oestreichs erstrecken muß, soll keinen Einfluß haben ans die innere Politik Preußens. Im Gegentheil soll hier »in so entschiedener das Princip der Selbstständigkeit festgehalten werden, je offener man in Bezug auf die äußeren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/196
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/196>, abgerufen am 16.06.2024.