Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von Kunigunde der Heiligen, Zacharias Werner'schen Andenkens, gepflanzt. Ein
300 Fuß tiefer, in den Felsen gehauener Brunnen ist außerdem noch bemerkens¬
wert!).

Nürnberg besitzt zwei Gemäldesammlungen von sehr bedeutendem Werth:
den königlichen Bildersaal in der Moritzcapelle, ein Geschenk des Königs Ludwig
an die Stadt, und die Galerie im Laudauerkloster, die zu der dort befindlichen
Kunstgewerbeschule gehört. Die Moritzcapelle ist ein schlichtes gothisches Gebäude,
neben der Scbaldskirche und sehr passend zu ihrer jetzigen Bestimmung eingerichtet;
die Ordnung des Bildersaals, der etwa ISO Gemälde zählen mag, ist musterhaft;
hier, wie in Allem, was König Ludwig für die Kunst gethan hat, ist ihm hoher
Geschmack und richtige Einsicht uicht abzusprechen. Die Sammlung besteht aus¬
schließlich aus Gemälden der byzantinisch niederrheinischen und cölluischen und der
oberdeutschen Schule; van Eyk, Hemling, Hemskerk, Dürer, Kranach, Amberger
und viele andere Meister siud darin vertreten. Ich bekenne nun offen, daß ich
für die ältere deutsche Malerei vor Dürer und Krauach wenig Empfänglichkeit
besitze; um den Kunstwerth und die Schönheit dieser Kompositionen von mageren
und steifen Figuren und oft barocken Allegorien zu würdigen, gehört eine Kenner¬
schaft, deren ich mich nicht rühmen kann. Ich zweifle jedoch uicht, daß sie großes
Verdienst besitzen, und ich habe sogar schon von sehr competenter Seite die An¬
sicht aussprechen. hören, selbst ein Genius, wie Dürer, bezeichne schon ein Ab¬
weichen der deutschen Malerei von der wahren Richtung der Kunst. Andere, die
eben so viel Autorität beanspruchen können, sehen in ihm wieder deren höchste
Vollendung; dies mögen die Kenner unter sich ausmachen. Ich für meine Person
gebe zu, aus deu älter" Gemälden Einzelnes von ergreifender Schönheit und
Tiefe der Auffassung gesunden zu haben; aber das Ganze ermangelt -- für mich
natürlich nur -- eines harmonisch-schönen, mit einem Wort, ästhetischen Ein¬
drucks. Die Vorliebe unsrer alten Maler z. B. für magere Figuren ist mir schwer
begreiflich; dies entspricht denn doch weder dem Ideal, noch der Wirklichkeit. Wenn
Rubens ans seinen Heiligenbildern uns Frauengestalten von niederländischer Ueppig¬
keit vorführt, so ist es leicht erklärlich, woher er die Originale dazu nahm. Aber
unsre Vorfahren boten doch gewiß den Malern ihrer Epoche nicht so magere und
sieche Vorbilder; ich glaube fast, daß die Ascetik des Christenthums jener
Tage und die Lehre von der Sündhaftigkeit des Fleisches dazu verleitete, die
Ideale göttlicher Tugend und Reinheit so darzustellen, daß der Beschauer von
keinem Nebengedanken irdischer Lust bei ihrem Anblick vom Gefühl der Andacht
abgelenkt werde. 'Die byzantinischen Gemälde zeichnen sich meistens durch eine
außerordentliche Feinheit der Gesichter aus; unter den weiblichen besonders sind
mehrere von einer so durchgeistigten Schönheit, als ich sie irgend gesehen habe.
Ein Bild der heiligen Elisabeth in der Moritzcapelle ist mir in dieser Beziehung
vor Allem aufgefallen; die Figuren, die zu diesen herrlichen Köpfen gehören,
, sind aber so steif, dürr und unschön, als man sich es nur vorstellen mag.


von Kunigunde der Heiligen, Zacharias Werner'schen Andenkens, gepflanzt. Ein
300 Fuß tiefer, in den Felsen gehauener Brunnen ist außerdem noch bemerkens¬
wert!).

Nürnberg besitzt zwei Gemäldesammlungen von sehr bedeutendem Werth:
den königlichen Bildersaal in der Moritzcapelle, ein Geschenk des Königs Ludwig
an die Stadt, und die Galerie im Laudauerkloster, die zu der dort befindlichen
Kunstgewerbeschule gehört. Die Moritzcapelle ist ein schlichtes gothisches Gebäude,
neben der Scbaldskirche und sehr passend zu ihrer jetzigen Bestimmung eingerichtet;
die Ordnung des Bildersaals, der etwa ISO Gemälde zählen mag, ist musterhaft;
hier, wie in Allem, was König Ludwig für die Kunst gethan hat, ist ihm hoher
Geschmack und richtige Einsicht uicht abzusprechen. Die Sammlung besteht aus¬
schließlich aus Gemälden der byzantinisch niederrheinischen und cölluischen und der
oberdeutschen Schule; van Eyk, Hemling, Hemskerk, Dürer, Kranach, Amberger
und viele andere Meister siud darin vertreten. Ich bekenne nun offen, daß ich
für die ältere deutsche Malerei vor Dürer und Krauach wenig Empfänglichkeit
besitze; um den Kunstwerth und die Schönheit dieser Kompositionen von mageren
und steifen Figuren und oft barocken Allegorien zu würdigen, gehört eine Kenner¬
schaft, deren ich mich nicht rühmen kann. Ich zweifle jedoch uicht, daß sie großes
Verdienst besitzen, und ich habe sogar schon von sehr competenter Seite die An¬
sicht aussprechen. hören, selbst ein Genius, wie Dürer, bezeichne schon ein Ab¬
weichen der deutschen Malerei von der wahren Richtung der Kunst. Andere, die
eben so viel Autorität beanspruchen können, sehen in ihm wieder deren höchste
Vollendung; dies mögen die Kenner unter sich ausmachen. Ich für meine Person
gebe zu, aus deu älter» Gemälden Einzelnes von ergreifender Schönheit und
Tiefe der Auffassung gesunden zu haben; aber das Ganze ermangelt — für mich
natürlich nur — eines harmonisch-schönen, mit einem Wort, ästhetischen Ein¬
drucks. Die Vorliebe unsrer alten Maler z. B. für magere Figuren ist mir schwer
begreiflich; dies entspricht denn doch weder dem Ideal, noch der Wirklichkeit. Wenn
Rubens ans seinen Heiligenbildern uns Frauengestalten von niederländischer Ueppig¬
keit vorführt, so ist es leicht erklärlich, woher er die Originale dazu nahm. Aber
unsre Vorfahren boten doch gewiß den Malern ihrer Epoche nicht so magere und
sieche Vorbilder; ich glaube fast, daß die Ascetik des Christenthums jener
Tage und die Lehre von der Sündhaftigkeit des Fleisches dazu verleitete, die
Ideale göttlicher Tugend und Reinheit so darzustellen, daß der Beschauer von
keinem Nebengedanken irdischer Lust bei ihrem Anblick vom Gefühl der Andacht
abgelenkt werde. 'Die byzantinischen Gemälde zeichnen sich meistens durch eine
außerordentliche Feinheit der Gesichter aus; unter den weiblichen besonders sind
mehrere von einer so durchgeistigten Schönheit, als ich sie irgend gesehen habe.
Ein Bild der heiligen Elisabeth in der Moritzcapelle ist mir in dieser Beziehung
vor Allem aufgefallen; die Figuren, die zu diesen herrlichen Köpfen gehören,
, sind aber so steif, dürr und unschön, als man sich es nur vorstellen mag.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95203"/>
          <p xml:id="ID_583" prev="#ID_582"> von Kunigunde der Heiligen, Zacharias Werner'schen Andenkens, gepflanzt. Ein<lb/>
300 Fuß tiefer, in den Felsen gehauener Brunnen ist außerdem noch bemerkens¬<lb/>
wert!).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_584"> Nürnberg besitzt zwei Gemäldesammlungen von sehr bedeutendem Werth:<lb/>
den königlichen Bildersaal in der Moritzcapelle, ein Geschenk des Königs Ludwig<lb/>
an die Stadt, und die Galerie im Laudauerkloster, die zu der dort befindlichen<lb/>
Kunstgewerbeschule gehört. Die Moritzcapelle ist ein schlichtes gothisches Gebäude,<lb/>
neben der Scbaldskirche und sehr passend zu ihrer jetzigen Bestimmung eingerichtet;<lb/>
die Ordnung des Bildersaals, der etwa ISO Gemälde zählen mag, ist musterhaft;<lb/>
hier, wie in Allem, was König Ludwig für die Kunst gethan hat, ist ihm hoher<lb/>
Geschmack und richtige Einsicht uicht abzusprechen.  Die Sammlung besteht aus¬<lb/>
schließlich aus Gemälden der byzantinisch niederrheinischen und cölluischen und der<lb/>
oberdeutschen Schule; van Eyk, Hemling, Hemskerk, Dürer, Kranach, Amberger<lb/>
und viele andere Meister siud darin vertreten. Ich bekenne nun offen, daß ich<lb/>
für die ältere deutsche Malerei vor Dürer und Krauach wenig Empfänglichkeit<lb/>
besitze; um den Kunstwerth und die Schönheit dieser Kompositionen von mageren<lb/>
und steifen Figuren und oft barocken Allegorien zu würdigen, gehört eine Kenner¬<lb/>
schaft, deren ich mich nicht rühmen kann. Ich zweifle jedoch uicht, daß sie großes<lb/>
Verdienst besitzen, und ich habe sogar schon von sehr competenter Seite die An¬<lb/>
sicht aussprechen. hören, selbst ein Genius, wie Dürer, bezeichne schon ein Ab¬<lb/>
weichen der deutschen Malerei von der wahren Richtung der Kunst. Andere, die<lb/>
eben so viel Autorität beanspruchen können, sehen in ihm wieder deren höchste<lb/>
Vollendung; dies mögen die Kenner unter sich ausmachen. Ich für meine Person<lb/>
gebe zu, aus deu älter» Gemälden Einzelnes von ergreifender Schönheit und<lb/>
Tiefe der Auffassung gesunden zu haben; aber das Ganze ermangelt &#x2014; für mich<lb/>
natürlich nur &#x2014; eines harmonisch-schönen, mit einem Wort, ästhetischen Ein¬<lb/>
drucks. Die Vorliebe unsrer alten Maler z. B. für magere Figuren ist mir schwer<lb/>
begreiflich; dies entspricht denn doch weder dem Ideal, noch der Wirklichkeit. Wenn<lb/>
Rubens ans seinen Heiligenbildern uns Frauengestalten von niederländischer Ueppig¬<lb/>
keit vorführt, so ist es leicht erklärlich, woher er die Originale dazu nahm. Aber<lb/>
unsre Vorfahren boten doch gewiß den Malern ihrer Epoche nicht so magere und<lb/>
sieche Vorbilder; ich glaube fast, daß die Ascetik des Christenthums jener<lb/>
Tage und die Lehre von der Sündhaftigkeit des Fleisches dazu verleitete, die<lb/>
Ideale göttlicher Tugend und Reinheit so darzustellen, daß der Beschauer von<lb/>
keinem Nebengedanken irdischer Lust bei ihrem Anblick vom Gefühl der Andacht<lb/>
abgelenkt werde. 'Die byzantinischen Gemälde zeichnen sich meistens durch eine<lb/>
außerordentliche Feinheit der Gesichter aus; unter den weiblichen besonders sind<lb/>
mehrere von einer so durchgeistigten Schönheit, als ich sie irgend gesehen habe.<lb/>
Ein Bild der heiligen Elisabeth in der Moritzcapelle ist mir in dieser Beziehung<lb/>
vor Allem aufgefallen; die Figuren, die zu diesen herrlichen Köpfen gehören,<lb/>
, sind aber so steif, dürr und unschön, als man sich es nur vorstellen mag.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] von Kunigunde der Heiligen, Zacharias Werner'schen Andenkens, gepflanzt. Ein 300 Fuß tiefer, in den Felsen gehauener Brunnen ist außerdem noch bemerkens¬ wert!). Nürnberg besitzt zwei Gemäldesammlungen von sehr bedeutendem Werth: den königlichen Bildersaal in der Moritzcapelle, ein Geschenk des Königs Ludwig an die Stadt, und die Galerie im Laudauerkloster, die zu der dort befindlichen Kunstgewerbeschule gehört. Die Moritzcapelle ist ein schlichtes gothisches Gebäude, neben der Scbaldskirche und sehr passend zu ihrer jetzigen Bestimmung eingerichtet; die Ordnung des Bildersaals, der etwa ISO Gemälde zählen mag, ist musterhaft; hier, wie in Allem, was König Ludwig für die Kunst gethan hat, ist ihm hoher Geschmack und richtige Einsicht uicht abzusprechen. Die Sammlung besteht aus¬ schließlich aus Gemälden der byzantinisch niederrheinischen und cölluischen und der oberdeutschen Schule; van Eyk, Hemling, Hemskerk, Dürer, Kranach, Amberger und viele andere Meister siud darin vertreten. Ich bekenne nun offen, daß ich für die ältere deutsche Malerei vor Dürer und Krauach wenig Empfänglichkeit besitze; um den Kunstwerth und die Schönheit dieser Kompositionen von mageren und steifen Figuren und oft barocken Allegorien zu würdigen, gehört eine Kenner¬ schaft, deren ich mich nicht rühmen kann. Ich zweifle jedoch uicht, daß sie großes Verdienst besitzen, und ich habe sogar schon von sehr competenter Seite die An¬ sicht aussprechen. hören, selbst ein Genius, wie Dürer, bezeichne schon ein Ab¬ weichen der deutschen Malerei von der wahren Richtung der Kunst. Andere, die eben so viel Autorität beanspruchen können, sehen in ihm wieder deren höchste Vollendung; dies mögen die Kenner unter sich ausmachen. Ich für meine Person gebe zu, aus deu älter» Gemälden Einzelnes von ergreifender Schönheit und Tiefe der Auffassung gesunden zu haben; aber das Ganze ermangelt — für mich natürlich nur — eines harmonisch-schönen, mit einem Wort, ästhetischen Ein¬ drucks. Die Vorliebe unsrer alten Maler z. B. für magere Figuren ist mir schwer begreiflich; dies entspricht denn doch weder dem Ideal, noch der Wirklichkeit. Wenn Rubens ans seinen Heiligenbildern uns Frauengestalten von niederländischer Ueppig¬ keit vorführt, so ist es leicht erklärlich, woher er die Originale dazu nahm. Aber unsre Vorfahren boten doch gewiß den Malern ihrer Epoche nicht so magere und sieche Vorbilder; ich glaube fast, daß die Ascetik des Christenthums jener Tage und die Lehre von der Sündhaftigkeit des Fleisches dazu verleitete, die Ideale göttlicher Tugend und Reinheit so darzustellen, daß der Beschauer von keinem Nebengedanken irdischer Lust bei ihrem Anblick vom Gefühl der Andacht abgelenkt werde. 'Die byzantinischen Gemälde zeichnen sich meistens durch eine außerordentliche Feinheit der Gesichter aus; unter den weiblichen besonders sind mehrere von einer so durchgeistigten Schönheit, als ich sie irgend gesehen habe. Ein Bild der heiligen Elisabeth in der Moritzcapelle ist mir in dieser Beziehung vor Allem aufgefallen; die Figuren, die zu diesen herrlichen Köpfen gehören, , sind aber so steif, dürr und unschön, als man sich es nur vorstellen mag.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/222>, abgerufen am 05.06.2024.