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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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so feindlich sie auch den politischen Ueberstürzungen der Neuzeit, erörtert die
russischen Heerzustände warnend, gerecht gegen die deutschen Armeen, wahrhaft
patriotisch. Dadurch hat sie den ungeheuer" Vortheil vor Haxthausen's Schrift
voraus, von dem russischen Heerleben, von den inneren Zuständen, von der Ver¬
fassung desselben, von seinem moralischen und intellectuellen Geiste nicht Dinge zu
erzählen, welche Jedermann sofort als Eiugeuommenheiten und Uebertreibungen
erkennen muß. An und für sich wäre vielleicht dieser Schaden nicht gar groß.
Aber in sofern kann er's werden, als handwerkernde Rodomontaden-Schriftstellerei
durch den Nachweis einzelner derartiger Daten leicht wieder die öffentliche Meinung
zur alten Verachtung der russischen Militärmacht verführen kann. Trotz der
gegenwärtigen Ruhe in den Massen und der Lutents corcliale triM des Nordens
sind aber schwerlich die Entscheidungsschlachten unsres Jahrhunderts schon geschlagen,
und die Wiederkehr jener leichtsinnigen Täuschungen könnte Enropa's Kosakischwerden
leichter zur Folge haben, als eine allgemeine Herrschaft des Jacobinismus.




Wochenbericht.
Die Zollvereinsconferenzen.

-- Der erste entscheidende Schritt wäre
nun geschehen. Preußen hat die weitere^ Theilnahme der bisher zum Zollverein ge¬
hörigen Staaten an den Verhandlungen von der Annahme seines Programms abhängig
gemacht. Wir können über dieses Ereigniß nur unsere vollständige Befriedigung aus¬
sprechen, und wenn Preußen in dieser Bahn bleibt, so wollen wir nachträglich auch
alle die Zögerungen rechtfertigen, die wir nur darum angefochten haben, weil wir sie
als ein Symptom der Schwäche und Unentschlossenheit auffaßten. Waren sie nichts
weiter, als die schuldige Rücksicht gegen die übrigen gleichberechtigten deutschen Mächte,
so waren sie vollständig in der Ordnung. Was bisher Preußen in so üblen Kredit
gebracht hat, war seine Neigung, zuerst sehr ungestüm und gebieterisch aufzutreten, aber
nachzugeben, sobald ihm ein entschlossener Wille begegnete. Wenn diesmal sein Ver¬
fahren ein umgekehrtes war, so können wir es als die Eröffnung eines neuen Weges
nur mit Freuden begrüßen. Denn daß die Vorwürfe, die man von Seiten der Koali¬
tion Preußen wegen seiner Kündigung des Zollvereins gemacht hat, als ob es die
übrigen Staaten dadurch habe brusIren wollen, aller Begründung entbehren, zeigt das
Verhalten eben derselben Coalition gegen Braunschweig und die thüringischen Fürsten.
Der Zollverein sollte auf einer neuen Basis reconstituirt werden, und da man niHt
wußte, ob seine sämmtlichen Theilnehmer sich mit dieser neuen Basis einverstanden er¬
klären würden, so mußte man ihn an dem vertragsmäßig festgesetzten Termin kündigen,
um sich selbst und den übrigen Staaten die volle Freiheit der Wahl wiederzugeben.
Es wurden nachher Versuche angestellt, ob nicht der ganze frühere Zollverein aus der
neuen Grundlage wieder hergestellt werden könnte. ' Diese Versuche zeigten, daß in
materieller Beziehung eine Ausgleichung der verschiedenen Interessen wol möglich sei,
daß aber Alles an den formalen Bedingungen der Coalition scheitern müßte; denn das


so feindlich sie auch den politischen Ueberstürzungen der Neuzeit, erörtert die
russischen Heerzustände warnend, gerecht gegen die deutschen Armeen, wahrhaft
patriotisch. Dadurch hat sie den ungeheuer» Vortheil vor Haxthausen's Schrift
voraus, von dem russischen Heerleben, von den inneren Zuständen, von der Ver¬
fassung desselben, von seinem moralischen und intellectuellen Geiste nicht Dinge zu
erzählen, welche Jedermann sofort als Eiugeuommenheiten und Uebertreibungen
erkennen muß. An und für sich wäre vielleicht dieser Schaden nicht gar groß.
Aber in sofern kann er's werden, als handwerkernde Rodomontaden-Schriftstellerei
durch den Nachweis einzelner derartiger Daten leicht wieder die öffentliche Meinung
zur alten Verachtung der russischen Militärmacht verführen kann. Trotz der
gegenwärtigen Ruhe in den Massen und der Lutents corcliale triM des Nordens
sind aber schwerlich die Entscheidungsschlachten unsres Jahrhunderts schon geschlagen,
und die Wiederkehr jener leichtsinnigen Täuschungen könnte Enropa's Kosakischwerden
leichter zur Folge haben, als eine allgemeine Herrschaft des Jacobinismus.




Wochenbericht.
Die Zollvereinsconferenzen.

— Der erste entscheidende Schritt wäre
nun geschehen. Preußen hat die weitere^ Theilnahme der bisher zum Zollverein ge¬
hörigen Staaten an den Verhandlungen von der Annahme seines Programms abhängig
gemacht. Wir können über dieses Ereigniß nur unsere vollständige Befriedigung aus¬
sprechen, und wenn Preußen in dieser Bahn bleibt, so wollen wir nachträglich auch
alle die Zögerungen rechtfertigen, die wir nur darum angefochten haben, weil wir sie
als ein Symptom der Schwäche und Unentschlossenheit auffaßten. Waren sie nichts
weiter, als die schuldige Rücksicht gegen die übrigen gleichberechtigten deutschen Mächte,
so waren sie vollständig in der Ordnung. Was bisher Preußen in so üblen Kredit
gebracht hat, war seine Neigung, zuerst sehr ungestüm und gebieterisch aufzutreten, aber
nachzugeben, sobald ihm ein entschlossener Wille begegnete. Wenn diesmal sein Ver¬
fahren ein umgekehrtes war, so können wir es als die Eröffnung eines neuen Weges
nur mit Freuden begrüßen. Denn daß die Vorwürfe, die man von Seiten der Koali¬
tion Preußen wegen seiner Kündigung des Zollvereins gemacht hat, als ob es die
übrigen Staaten dadurch habe brusIren wollen, aller Begründung entbehren, zeigt das
Verhalten eben derselben Coalition gegen Braunschweig und die thüringischen Fürsten.
Der Zollverein sollte auf einer neuen Basis reconstituirt werden, und da man niHt
wußte, ob seine sämmtlichen Theilnehmer sich mit dieser neuen Basis einverstanden er¬
klären würden, so mußte man ihn an dem vertragsmäßig festgesetzten Termin kündigen,
um sich selbst und den übrigen Staaten die volle Freiheit der Wahl wiederzugeben.
Es wurden nachher Versuche angestellt, ob nicht der ganze frühere Zollverein aus der
neuen Grundlage wieder hergestellt werden könnte. ' Diese Versuche zeigten, daß in
materieller Beziehung eine Ausgleichung der verschiedenen Interessen wol möglich sei,
daß aber Alles an den formalen Bedingungen der Coalition scheitern müßte; denn das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/42>, abgerufen am 22.05.2024.